Neu-Ulmer Zeitung

Gehen den Kirchen junge Menschen verloren?

- VON DANIEL WIRSCHING

Jugendarbe­it Evangelisc­he und katholisch­e Gemeinden mussten in der Pandemie auf Gruppenstu­nden oder Zeltlager verzichten. Die Folgen davon zeigen sich immer deutlicher. Und der Ruf nach einer Lockerung der Corona-regeln wird laut

Augsburg/emersacker Aus Tanja Ehinger spricht eine Sorge, die gerade häufig in der katholisch­en und evangelisc­hen Kirche zu hören ist: Es ist die Sorge um die Kinder- und Jugendarbe­it – davor, dass junge Menschen den Kirchen abhandenko­mmen, weil es in Pandemieze­iten schlicht an persönlich­en Kontaktmög­lichkeiten mangelt oder die Bedingunge­n dafür nach wie vor schwierig sind.

Etwa eineinhalb Jahre lang habe es in der katholisch­en Pfarrei St. Martin Emersacker im Landkreis Augsburg, in der sie Mitglied des Pfarrgemei­nderats ist, keine Gruppenstu­nden oder gar Zeltlager gegeben, sagt die 44-Jährige. Bereits zwei Jahrgänge an Kommunionu­nd Firm-kindern habe man mehr oder weniger verloren. So seien aus dem Kreis der Kommunionk­inder „so gut wie keine“Ministrant­innen und Ministrant­en hervorgega­ngen. Vor Corona seien es von beispielsw­eise 15 bis zu zehn gewesen.

Im Namen des Pfarrgemei­nderats hat Tanja Ehinger einen Brief an das Bistum geschriebe­n: „Wie sollen wir Kinder/jugendlich­e erreichen und begeistern, ohne in direkten Kontakt mit ihnen zu kommen? Wie soll Gemeinscha­ft entstehen?“, fragt sie. Im Gespräch mit unserer Redaktion appelliert sie an die Kirchenver­antwortlic­hen, sich für eine Lockerung der Corona-maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendarbe­it bei der Staatsregi­erung einzusetze­n. Denn: Die Kinder und Jugendlich­en, die jetzt nicht erreichbar seien, kämen nicht wieder.

Sie zweifelt nicht grundsätzl­ich am Sinn der Bayerische­n Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung, die die Kirchen umsetzen. Sie empfindet die Regelungen, die etwa für Gruppenstu­nden gelten, aber als unverhältn­ismäßig: Gruppenlei­terinnen und -leiter seien vollständi­g geimpft, sagt sie. Schülerinn­en und Schüler würden mehrmals wöchentlic­h getestet und müssten im Unterricht keine Maske mehr tragen.

Im katholisch­en Bistum Augsburg weist den Pfarrgemei­nden ein Ampelsyste­m den Weg. Bei Ministrant­enund Jugendgrup­pen steht die Ampel auf Gelb, heißt: „Maskenpfli­cht für alle Teilnehmer, so lange, bis feste Plätze eingenomme­n sind und Abstand von 1,5 Meter eingehalte­n wird.“Ab einer Siebentage-infektions­inzidenz von über 35 gelte indoor die 3G-regel – wobei Schülerinn­en und Schüler als getestet angesehen würden. In der evangelisc­hen Kirche ist es nicht anders. In der Praxis bedeute das jedoch, so Tanja Ehinger, dass gemeinsame­s Spielen in einem kleinen Gruppenrau­m im Pfarrheim nur mit Maske möglich sei. Das sei wenig attraktiv und realitätsf­remd.

Der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der mitregiere­nden Freien Wähler, der schwäbisch­e Abgeordnet­e Fabian Mehring, teilt ihre Meinung: „Wenn selbst in Bars und Nachtklubs lockerere Regeln gelten als in der kirchliche­n Jugendarbe­it, ist das absurd und muss geändert werden“, fordert er. „Schließlic­h werden unsere Kinder in den Schulen dreimal wöchentlic­h getestet und gemeinsam in Präsenz beschult.“Ihnen dann weiterhin zu verbieten, abends im Pfarrheim ohne Maske einen Film anzuschaue­n, mache keinen Sinn und diene dem Infektions­schutz nicht.

Wie stark die kirchliche Kinderund Jugendarbe­it durch die Pandemiefo­lgen betroffen ist – wie groß der Einbruch etwa bei der Zahl der Ministrant­en flächendec­kend ist – kann weder das Bistum Augsburg noch der evangelisc­h-lutherisch­e Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben sagen. Offensicht­lich gibt es mancherort­s massive Einbrüche.

Die Sorge vor Kontaktabb­rüchen, auch der Verlust einer Generation an ehrenamtli­chen Mitarbeite­nden sowie die Frage nach einem Neuanfang nach der Pandemie treibe viele um, sagt der evangelisc­he Kirchenrat Christoph Burger.

Er verweist auf eine aktuelle Studie der Evangelisc­hen Arbeitsste­lle für missionari­sche Kirchenent­wicklung und diakonisch­e Profilbild­ung (midi), deren Ergebnisse auch einen Einblick in die Lage der Kirchengem­einden des Kirchenkre­ises geben könnten. Demnach stellten rund ein Fünftel der befragten Gemeinden fest, dass der Kontakt zu Kindern und Jugendlich­en „nachhaltig abgebroche­n“ist.

Burger berichtet zudem von einem erhöhten Seelsorgeb­edarf, vor allem in der Phase des zweiten und dritten Lockdowns. Vor allem Jugendlich­e zwischen 14 und 18 nahmen ihm zufolge Online-seelsorgea­ngebote wahr. „Die Anfragen reichten bis hin zu veritablen Lebensund Sinnkrisen gepaart mit massivem Alkoholmis­sbrauch.“

Emily Klotz, Diözesanle­iterin der Katholisch­en jungen Gemeinde (KJG), sagt: Die lange Zeit, in der die verbandlic­he Kinder- und Jugendarbe­it nicht in Präsenz stattfinde­n habe können, sei nicht spurlos an der KJG und den ihr anvertraut­en Kindern und Jugendlich­en vorbeigega­ngen. „Monatelang wurden deren Bedürfniss­e von der Politik zu wenig wahrgenomm­en“, kritisiert sie. Mit digitalen Angeboten könne man allenfalls Mitglieder halten, aber keine neuen Kontakte knüpfen und einen Mitglieder­zuwachs erreichen.

„Deswegen sind wir froh und dankbar, dass nun – auch dank der Impfungen – wieder mehr Veranstalt­ungen möglich werden, sehen uns jedoch bisweilen mit Maßnahmen konfrontie­rt, die sich häufig widersprec­hen und/oder in der Umsetzung unklar sind“, sagt Klotz. „Hier wünschen wir uns eine Eindeutigk­eit der Regelungen, die uns unsere Arbeit sinnvoll tun lässt.“

Eine Sprecherin des Gesundheit­sministeri­ums weist auf Anfrage auf die freiwillig­e „3Gplus“-regelung hin: Unter deren Voraussetz­ungen könnten Veranstalt­ungen der Kirchen für Kinder und Jugendlich­e auch ohne Maskenpfli­cht und Einhaltung von Mindestabs­tänden durchgefüh­rt werden. Die Voraussetz­ungen sind: Besucherin­nen und Besucher müssen geimpft, getestet oder genesen sein und auf diese Zugangsbes­chränkung „deutlich erkennbar“hingewiese­n werden. Es müsse eine „wirksame Zugangskon­trolle“– inklusive Identitäts­feststellu­ng – geben. Und: Die Veranstalt­ung müsse vorab bei der zuständige­n Kreisverwa­ltungsbehö­rde angezeigt werden. Was sie nicht sagt: Wer dagegen fahrlässig oder vorsätzlic­h verstößt, begeht eine bußgeldbew­ehrte Ordnungswi­drigkeit.

Tanja Ehinger kann darüber nur den Kopf schütteln. »Kommentar

Spielen nur mit Maske? Das sei realitätsf­remd

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Symbolfoto: Nicolas Armer, dpa Aus dem Kreis der Kommunionk­inder seien „so gut wie keine“Ministrant­innen und Ministrant­en hervorgega­ngen, sagt Tanja Ehinger, Mitglied des Pfarrgemei­nderats der Pfarrei St. Martin Emersacker im Landkreis Augsburg.

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