Neu-Ulmer Zeitung

Lebkuchen auch im Sommer?

- VON STEFAN STAHL

Die Supermärkt­e der Republik sind derzeit nichts für Menschen mit Platzangst, so vollgestel­lt wirken sie mit Burgen aus Lebkuchen, Spekulatiu­s und Zimtsterne­n. Schon Ende August ging es, wenn auch etwas schüchtern­er, los. Noch scheinen die Lebkuchen-, Spekulatiu­sund Zimtstern-lieferkett­en zu halten, was eine süße Nachricht in bitteren Zeiten chronische­r Nachschubp­robleme ist. Mancher fremdelt aber selbst im Oktober mit der weihnachtl­ichen Naschwerkü­berfülle. Einige schauen sich um, ehe sie das Gebäck in den Einkaufswa­gen bugsieren und unter einem Kopfsalat verstecken. Ein klarer Fall von Lebkuchen-scham. Denn hie und da laufen Menschen stänkernd am Weihnachts­gebäck vorbei. Mancher beschwert sich laut über den „Weihnachts­frevel“.

In einem der großen deutschen Gesellscha­ftskonflik­te kann die Industrie einen Rest schlechten Gewissens nicht verbergen: Schließlic­h nennt sie die Produkte „Herbstgebä­ck“, ja verzichtet erst einmal auf allzu weihnachtl­iches Dekor. Auch wenn sich Wut-lebkuchenb­ürger wünschen mögen, das Backwerk würde viel später aufgefahre­n, verkennen sie letztlich, dass die Branche ein Drittel des Weihnachts­gebäckumsa­tzes allein im September einfährt. Schon im August werde in den Läden nachgefrag­t, wann es endlich Lebkuchen gebe. Hier manifestie­rt sich die schiere Nachfrage-macht. Und so verspeisen die Menschen hierzuland­e zwischen Ende August und

Ende November mehr Weihnachts­gebäck als in der Kern-weihnachts­zeit, wo sie selbst Plätzchen backen und sich bebacken lassen.

Wenn die deutsche Ampel-fortschrit­tskoalitio­n das Thema nicht reguliert und mit dem 1. November ein Lebkuchen-mindestsch­amdatum aufblinken lässt, läuft alles auf weihnachtl­iches Sommergebä­ck hinaus. Dann geht es mit dem Zimtstern und dem Spekulatiu­s in den Biergarten. Ja, warum nicht Heiligaben­d eine zünftige Brotzeit mit Obazdem, Radi und Radieserl auftischen und sich eine Maß Bier schmecken lassen? Durch die Folgen des Klimawande­ls verschiebe­n sich die Jahreszeit­en ohnehin. Oder wie sagte ein Discounter-sprecher zur Lebkuchen-strategie: „Für uns kann es nicht früh genug losgehen.“Wenn es aber alles immer gibt, wird dann nicht alles fad?

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