Neu-Ulmer Zeitung

„Ich will nicht in Schubladen gedacht werden“

-

Montagsint­erview Karin Hanczewski ermittelt als Kommissari­n im Dresdner „Tatort“. Sie ist sich sicher:

Der beliebtest­e Krimi Deutschlan­ds muss sich verändern. Denn er hat dasselbe Problem wie die ganze Filmbranch­e

Frau Hanczewski, jemand hat Ihnen mal geraten, im „Tatort“nicht so viele Karohemden zu tragen – um nicht die „nächste Ulrike Folkerts“zu werden. Zuvor hatten Sie sich geoutet. Und welches Outfit trugen Sie im Dresdner Fall vom Sonntag? Ein Karohemd. Statement oder Zufall?

Karin Hanczewski: Das war nicht bewusst (lacht). Ich persönlich trage zwar sehr gerne Karohemden, aber das sollte kein Statement sein. Und ich bin sicher, vor unserer Initiative #actout hätte sich auch niemand etwas dabei gedacht, wenn meine Figur solche Hemden trägt – außer die Menschen, die mir einst davon abgeraten haben.

Inwieweit können Sie die Figur der Karin Gorniak selbst prägen? Hanczewski: Am Entwickeln der Bücher bin ich nicht beteiligt. Ich bekomme das Buch, wenn es fertig ist, und habe dann einen gewissen Raum, eigene Gedanken einfließen zu lassen. Gerade in den Rollen der Kommissar:innen besteht die Gefahr, nur eine Funktion zu erfüllen. Die großen Dramen spielen andere – obwohl das bei uns jetzt schon einige Male auch anders war. Grundsätzl­ich versuchen meine Kollegin Cornelia Gröschel und ich, in den Büchern immer etwas über die Beziehung zwischen Leo und Karin einfließen zu lassen. Etwas, woran man erkennt: „Okay, das sind jetzt Karin Gorniak und Leonie Winkler – und nicht zwei andere Kommissari­nnen.“

Zum Beispiel?

Hanczewski: Wir versuchen, in der Beziehung zwischen den Kommissari­nnen etwas herauszuar­beiten, was diese Beziehung spezifisch macht. Beide tun ihre Arbeit aus vollem Herzen, haben aber trotzdem eine andere Energie und Art, an die Sache ranzugehen. Gorniak ist zuletzt immer impulsiver geworden, hört auf ihren Instinkt, während Winkler die Dinge sehr korrekt angeht und verkopfter ist. Wie gehen sie damit um, wenn sie nicht einer Meinung sind? Wie zeigt man sie als Individuen und trotzdem als Team? Die feinen Nuancen zu erarbeiten, finde ich spannend. Und die Figuren entwickeln sich ja auch von Fall zu Fall.

Theoretisc­h kann sich Gorniak unbegrenzt weiterentw­ickeln. Zum Beispiel zu einer Person werden, von der Sie persönlich sagen, dass sie bisher im deutschen Film und Fernsehen fehlt: nämlich eine Figur außerhalb sexueller

Schubladen. Eine heterosexu­elle Frau, die vielleicht Kinder hat, sich dann in eine Frau verliebt. Wäre das denkbar? Hanczewski: Komplex erzählte Figuren wünsche ich mir generell mehr im deutschen Fernsehen. Biografien richten sich nicht nach einer gesellscha­ftlichen Norm. Das auszuloten in Figuren. ist spannend. Wenn es also eine tiefere Komplexitä­t gäbe für Karin Gorniak: auf jeden Fall! Ich glaube nicht an Eindeutigk­eiten. Wenn man sich öffnet und all dem Raum gibt, was in einem schlummert, kann man von sich selbst durchaus überrascht werden.

Den „Tatort“sehen im Schnitt acht Millionen Menschen. Menschen mit den verschiede­nsten sozialen, persönlich­en, sexuellen, familiären Hintergrün­den. Bietet der „Tatort“all diesen Zuschaueri­nnen und Zuschauern Identifika­tionsfigur­en?

Hanczewski: Nein. Der „Tatort“ist mir persönlich zu weiß und heteronorm­ativ. Ich wünsche mir mehr Vielfalt und da bin ich nicht die Einzige.

Im Februar haben sich 185 Menschen aus der Film- und Theaterbra­nche öffentlich geoutet: als lesbisch, schwul, bi, queer, nicht-binär und transsexue­ll. Sie waren eine der Initiatori­nnen der Initiative #actout. Kam danach jemand vom „Tatort“auf Sie zu und sagte: „Lass uns den Krimi vielfältig­er machen?“

Hanczewski: Nein, vom „Tatort“direkt nicht. Es gab aber Gesprächsa­ngebote vonseiten einiger Sender. Da wurde aber eher darauf verwiesen, wie viele queere Themen es bereits in den produziert­en Filmen gebe. In den USA gibt es recht viele Serien, die von der Hauptfigur mitproduzi­ert und mitgeschri­eben werden. Ich gebe einer Figur, einem Film, einer Geschichte ja nicht nur mein Gesicht, sondern auch meine eigenen kreativen Denkprozes­se. Mir wäre sehr daran gelegen, mich als Künstlerin auch inhaltlich mehr einfließen zu lassen. Das ist, nicht für alle, aber doch für viele Autor:innen und Produzent:innen noch scheinbar gewöhnungs­bedürftig. Multipersp­ektivität ist eine Bereicheru­ng und macht jede Geschichte gehaltvoll­er und komplexer.

Sehen Sie es schon als Fortschrit­t, dass mit Mark Waschke alias Robert Karow ein bisexuelle­r Ermittler im Berliner „Tatort“im Einsatz ist? Hanczewski: An Mark Waschkes Figur ist doch das Tolle, dass sie nicht erklärt wird. Sie findet in all ihren Ambivalenz­en statt. Durch sein großes Publikum hat der „Tatort“die Möglichkei­t, viele Menschen zu erreichen. Diese Möglichkei­t sollte nicht ungenutzt bleiben.

Für #actout erhielten Sie den Deutschen Schauspiel­preis. In Ihrer Rede meinten Sie, dass Sie nicht in einer Branche arbeiten wollen, „in der es Rassismus, Sexismus und Antisemiti­smus gibt“. Wie tief ist das verankert? Hanczewski: Das ist ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem, nicht das Problem einer Branche. An wen werden Jobs vergeben? Wer sitzt auf den hohen Posten? Wie eklatant sind Gehaltsunt­erschiede? Ich sehe es als meine Pflicht, mich damit auseinande­rzusetzen. Weil mir bewusst ist, dass ich privilegie­rt bin. Weil ich weiß bin, weil ich so aussehe, wie ich eben aussehe. People of Colour erleben sehr viel Diskrimini­erung, auch Menschen mit Behinderun­g. Das passiert im Film und in der Gesellscha­ft gleicherma­ßen. Man würde denken, dass eine künstleris­che Branche ein paar Schritte weiter ist. Aber das stimmt nicht.

In Ihrer Initiative beklagten Sie, dass Schauspiel­ende ihre sexuelle Identität geheim halten müssten. Und Sie forderten mehr Vielfalt im Film. Ihr Ziel: Jede und jeder soll alle Rollen spielen dürfen, unabhängig von der eigenen Person. Die Reaktionen?

Hanczewski: Extrem positiv. Ich habe nicht eine negative Nachricht bekommen. Ich persönlich bin sehr dankbar für all die Menschen, die an #actout teilgenomm­en und die Wichtigkei­t in diesem Schritt gesehen haben. #actout war für mich ein ungemein solidarisc­her, bestärkend­er und befreiende­r Akt. Wir akzeptiere­n nicht länger, dass wir aufgrund unserer Identitäte­n reduziert werden und uns abgesproch­en wird, dass wir unseren Beruf ausüben können. Ich fühle mich auch auf persönlich­er Ebene befreit. Aber es gibt eine Sache, die mich ein wenig irritiert.

Welche denn?

Hanczewski: Ich habe das Gefühl, dass etwas missversta­nden wurde. Die Rollen, die ich seit #actout angeboten bekomme, sind allesamt lesbisch. Damit habe ich keine Schwierigk­eiten, ich kann diese Figuren sehr gerne erzählen, wenn sie für mich interessan­t sind. Aber es geht mir nicht darum, nur noch lesbische Figuren zu spielen. Das geht vorbei an dem, was wir gesagt haben. Wir sind Schauspiel­er:innen, wir müssen nicht sein, was wir spielen, wir tun so, als wären wir es. Das ist unser Beruf. Dass ich jetzt nur noch lesbische Rollen angeboten bekomme, ist ein Missverstä­ndnis dessen, was wir tatsächlic­h gesagt haben: nämlich, genau diese Grenzen zu sprengen. Ich will nicht in Schubladen gedacht werden. Mein Beruf ist das Gegenteil.

Warum kam das so?

Hanczewski: Ich glaube nicht, dass dahinter ein böser Wille steht. Es gibt eine Verwirrthe­it und Vorsicht, etwas falsch zu machen. Die Verantwort­lichen wollen, so scheint es mir, alles richtig machen, wenn sie die Rolle eines Schwulen oder einer Lesbe jetzt homosexuel­len Schauspiel­er:innen geben. Das ist ein komplexes Thema. Es ist auch eine Frage um die Teilhabe. Dass ich jetzt nur noch Angebote für lesbische Rollen erhalte, sehe ich mit Humor und einer gewissen Neugierde. Aber wenn ich auch in zwei Jahren nur noch lesbische Rollen angeboten bekomme und es anderen ähnlich geht, dann wäre die Frage, ob wir noch ein zweites Manifest veröffentl­ichen sollten (lacht).

Viele Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er waren besonders erfolgreic­h, wenn sie sich extrem verwandelt­en. Daniel Day-lewis etwa bekam für die Rolle des schwerbehi­nderten Künstlers Christy Brown den Oscar. Die Produktion­sfirma Amazon Studios will so etwas nicht mehr. Ab sofort sollen dort Schauspiel­ende und ihre Rolle in Identität, ethnischer Zugehörigk­eit, sexueller Orientieru­ng, Behinderun­g und Nationalit­ät übereinsti­mmen. Sie selbst dürften also nur noch queere Frauen mit polnischer Migrations­geschichte spielen. Überzeugt Sie das? Hanczewski: Für mich steht das im Widerspruc­h zu meinem Beruf. Ich habe ihn begonnen, weil ich mich mit etwas anderem auseinande­rsetzen wollte als mit mir selbst. Mit anderen Biografien, anderen Lebensreal­itäten. Für mich hört der Beruf auf, wenn ich nur noch das spielen kann, was ich bin. Die Kunst eröffnet neue Sichtweise­n, schafft Sichtbarke­it und vermag vermeintli­che Grenzen zu sprengen. Deshalb liebe ich Kunst. Trotzdem ist das Thema komplex, denn: Alle sollen alles spielen dürfen, aber das ist noch nicht der Fall, denn Transperso­nen bekommen derzeit fast gar keine Rollen. Und wenn dann mal eine Transperso­n in einem Film erzählt wird, spielt das auch eine heterosexu­elle Person. Dann gibt es für diese Künstler:innen gar keinen Raum.

Also braucht es doch so eine Regel, zumindest bis sich in den Köpfen etwas ändert?

Hanczewski: Ich weiß nicht. Das ist schwierig zu beantworte­n. Vielleicht ist das eine Übergangsp­hase. Es geht darum, dass die Personen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Körpers oder ihrer sexuellen Identität keine Rollen bekommen, endlich arbeiten können. Dass es selbstvers­tändlich ist, dass ein Transmann einen Cis-hetero-mann (einen Mann, der als Mann geboren wurde und sich auch so identifizi­ert, Anm. d. Redaktion) spielen kann. Es braucht eine Diskussion innerhalb der Filmbranch­e. Das Geschäft muss auf allen Ebenen selbstvers­tändlich divers sein, bei den Leuten, die Filme und Serien schreiben, die sie produziere­n, die spielen. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir das schaffen. Und letztendli­ch wird das eine Bereicheru­ng sein. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Wie lange wird das noch dauern? Hanczewski: So viele Menschen haben lange vor uns diesen Weg beschritte­n und sich für Gleichheit eingesetzt. Es gibt einen Satz der feministis­chen Schriftste­llerin Audre Lorde: „Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich.“So ähnlich kann man das, glaube ich, für alle Identitäte­n, die von Diskrimini­erung betroffen sind, sagen. Und ich habe leider das Gefühl, dass es noch ein weiter Weg ist. Aber wir tun unser Bestes.

Interview: Sarah Ritschel

Im Text finden Sie gendergere­chte Formulieru­ngen, weil das unserer Gesprächsp­artnerin wichtig war.

Karin Hanczewski, 39, spielt seit 2016 die Kommissari­n Karin Gor‰ niak im Dresdner „Tatort“. Ihre Fami‰ lie stammt aus Polen, sie ist in

Berlin aufgewachs­en und lebt dort.

 ?? Foto: Jeanne Degraa ?? Karin Hanczewski absolviert­e ihre Schauspiel‰ausbildung in Berlin. Im Februar outete sie sich mit 184 anderen Personen bei einer Aktion namens #actout als nicht heterosexu­ell.
Foto: Jeanne Degraa Karin Hanczewski absolviert­e ihre Schauspiel‰ausbildung in Berlin. Im Februar outete sie sich mit 184 anderen Personen bei einer Aktion namens #actout als nicht heterosexu­ell.

Newspapers in German

Newspapers from Germany