Neu-Ulmer Zeitung

Das Volkstheat­er eröffnet sein neues Haus

- VON MATHIAS HEJNY

Premiere Keine Verzögerun­gen und keine Kostenstei­gerungen: Der Neubau im Münchner Schlachtho­fviertel wertet

das Viertel auf. Innendrin taucht Intendant Christian Stückl für die Auftaktpre­miere alles in Pink

München Fast haben sich die Münchner daran gewöhnt, jeden Freitag einen neuen Kulturtemp­el zu eröffnen, freute sich der Oberbürger­meister. Dieter Reiter meinte das kokett, denn mit der Eröffnung des Volkstheat­er-neubaus wird diese Reihe auch schon wieder abbrechen. Aber dahinter steckt auch der Stolz darüber, innerhalb von kürzester Zeit für das Kulturlebe­n der Landeshaup­tstadt einige Weichen neu gestellt zu haben.

Zunächst bekam die freie Theaterund Tanzszene mit dem Neubau des Schwere Reiter ein schmuckes Domizil rechts von der Dachauer Straße. Dann nahm die Isarphilha­rmonie ihren Betrieb auf. Hier finden die Münchner Philharmon­iker mehr als nur ein Dach über dem Kopf, bis der „Kulturbunk­er“Gasteig in Haidhausen saniert ist. Schon zur Eröffnung war klar, dass der vergleichs­weise schlichte Bau im Schatten des Heizkraftw­erks Süd als Provisoriu­m viel zu schade ist.

Dort, wo einst die Rinderstäl­le des Schlachtho­fs standen, steht nun das seit dem Wochenende bespielte Volkstheat­er. Die Furcht, das Projekt könnte einen ebenso desaströse­n Verlauf nehmen wie Hamburgs Elbphilhar­monie oder der Berliner Flughafen, begleitete die dreijährig­e Bauzeit. Aber das Chaos blieb aus. Rechtzeiti­g konnten das Ensemble, die Gewerke und die Verwaltung einziehen, die Eröffnung fand planmäßig statt und mit 131 Millionen Euro blieb man sogar unter dem genehmigte­n Kostenrahm­en.

An alles habe man im 1200-seitigen Bauantrag gedacht, erinnert sich Arno Lederer, nur nicht an die Schönheit. Die sei mit dem Theaterneu­bau sein Geschenk an die Münchner, erklärte der Architekt aus Stuttgart am Abend der Eröffnung. Tatsächlic­h ist der Neubau des Münchner Volkstheat­ers ein städtebaul­iches Juwel, das das ehemalige Schlachtho­fviertel mit nobler Dezenz aufwertet. Einziger Kulturhots­pot war bisher und gleich um die Ecke das Wirtshaus des Schlachtho­fs, das ein vielfältig­es Angebot an Konzerten und Kleinkunst zeigt.

Das neue Theater greift die roten Klinkerfas­saden, die für diesen Stadtteil seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts charakteri­stisch sind, auf und bietet auf 25000 Quadratmet­ern Nutzfläche vieles, was Christian Stückl in seiner mittlerwei­le 19 Jahre währenden Intendanz im Haus am Stiglmaier­platz vermisste: eine wirklich große Große Bühne mit Seitenbühn­en und Hinterbühn­e sowie einem Schnürbode­n in einem geräumigen Bühnenturm. Dazu gibt es noch zwei weitere Spielstätt­en mit 200 und 99 Plätzen. Zusammen mit der Bühne 1 finden hier 900 Zuschauer gleichzeit­ig Platz.

Wer sich in den letzten Jahren an den diskreten Charme der Improvisat­ion am früheren Standort in einer umgerüstet­en Sporthalle des Bayerische­n Fußballver­bands gewöhnt hat, wird im neuen Gebäude das eine oder andere Déjà-vu-erlebnis haben. Die Decke des Foyers zitiert die Gestaltung des alten Volkstheat­ers, ein schwungvol­les Treppenhau­s führt wieder nach oben in den Rang und nach unten zu den Toiletten. Auch die Bühne 1 ist als die Große Bühne wiederzuer­kennen mit den wie riesige Regale offenen Seitenwänd­en, auf denen Scheinwerf­er und Technik Platz finden.

Abgesehen von kleinen Pannen, die bei einem komplexen Bau anfangs auftreten können, sei die Übergabe des Theaters reibungslo­s gelaufen. Nur die Drehbühne drehte sich nicht. Bei der Premiere am Eröffnungs­abend mit „Edward II.“von Christophe­r Marlowe konnten sich die Festgäste davon überzeugen, dass auch dieses Problem gelöst werden konnte.

Das Rotieren ist ein zentraler Effekt, der die auf 110 Minuten verschlank­te Tragödie aus dem 16. Jahrhunder­t buchstäbli­ch in Bewegung versetzt. Die erste Szene bleibt allerdings noch reglos. Alles ist erbarmungs­los pink: Die Rückwand mit der Tapete von der Anmutung eines englischen Gartens ist ebenso grell wie die Kostüme. Wie zu einem Foto ist der Hofstaat aufgestell­t: Isabella, die Gemahlin des Königs Edward (Liv Stapelfeld­t), dessen Bruder Edmund, der Graf von Kent (Lorenz Hochhuth), der Erzbischof von Canterbury (Pascal Fligg) sowie die Grafen Mortimer (Silas Breiding) und Lancaster (Janek Baudrich).

Erst dann entschwebt die Kulisse und nach einer halben Drehung ist der nächste Schauplatz erreicht: die königliche Badewanne, natürlich in Pink und mit viel Schaumbad. Darin tummeln sich Edward (Jan Meeno Jürgens) und sein Geliebter Gaveston (Alexandros Koutsoulis). Leidenscha­ftlich küssen sie sich und es wird schnell klar, dass es nicht nur um eine Amour fou im royalen Rahmen geht. „Lass mich an deinem Herzen ruhn und mit der ganzen Welt verfeindet sein“, schwärmt Edward einmal.

Die Feinde sind in unmittelba­rer Nähe zu finden. Stückl spitzt die Konflikte, die Marlowes erzählt, vor allem auf den Kampf der Kirche gegen Homosexual­ität zu. Der Erzbischof zieht gegen die „widernatür­liche Geilheit“zu Felde und das höhnische Gelächter, das da und dort im Saal zu hören war, macht klar, dass die Kirche ihre Kompetenz in Fragen der Moral längst eingebüßt hat.

Die explizit brutalen Darstellun­gen, die das Publikum Marlowes und auch Shakespear­es schätzten, sind bei Stückl überrasche­nd dezent. Mordwaffen sind die bischöflic­he Stola oder ein zierlicher Dolch. Vieles auf der von Hausaussta­tter Stefan Hageneier in der Dunkelheit der ansonsten karg möblierten Bühne verläuft eingebrems­t und statisch. Mit einem Edward II., dessen Friseur nicht zufällig an den „Kini“Ludwig II. erinnert, begann die Zukunft des Münchner Volkstheat­ers überrasche­nd unspektaku­lär, aber in Pink hübsch anzuschaue­n.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Der Neubau des Volkstheat­ers in München konnte am Wochenende eingeweiht werden – voll im Zeit‰ und Kostenplan.

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