Das Volkstheater eröffnet sein neues Haus
Premiere Keine Verzögerungen und keine Kostensteigerungen: Der Neubau im Münchner Schlachthofviertel wertet
das Viertel auf. Innendrin taucht Intendant Christian Stückl für die Auftaktpremiere alles in Pink
München Fast haben sich die Münchner daran gewöhnt, jeden Freitag einen neuen Kulturtempel zu eröffnen, freute sich der Oberbürgermeister. Dieter Reiter meinte das kokett, denn mit der Eröffnung des Volkstheater-neubaus wird diese Reihe auch schon wieder abbrechen. Aber dahinter steckt auch der Stolz darüber, innerhalb von kürzester Zeit für das Kulturleben der Landeshauptstadt einige Weichen neu gestellt zu haben.
Zunächst bekam die freie Theaterund Tanzszene mit dem Neubau des Schwere Reiter ein schmuckes Domizil rechts von der Dachauer Straße. Dann nahm die Isarphilharmonie ihren Betrieb auf. Hier finden die Münchner Philharmoniker mehr als nur ein Dach über dem Kopf, bis der „Kulturbunker“Gasteig in Haidhausen saniert ist. Schon zur Eröffnung war klar, dass der vergleichsweise schlichte Bau im Schatten des Heizkraftwerks Süd als Provisorium viel zu schade ist.
Dort, wo einst die Rinderställe des Schlachthofs standen, steht nun das seit dem Wochenende bespielte Volkstheater. Die Furcht, das Projekt könnte einen ebenso desaströsen Verlauf nehmen wie Hamburgs Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen, begleitete die dreijährige Bauzeit. Aber das Chaos blieb aus. Rechtzeitig konnten das Ensemble, die Gewerke und die Verwaltung einziehen, die Eröffnung fand planmäßig statt und mit 131 Millionen Euro blieb man sogar unter dem genehmigten Kostenrahmen.
An alles habe man im 1200-seitigen Bauantrag gedacht, erinnert sich Arno Lederer, nur nicht an die Schönheit. Die sei mit dem Theaterneubau sein Geschenk an die Münchner, erklärte der Architekt aus Stuttgart am Abend der Eröffnung. Tatsächlich ist der Neubau des Münchner Volkstheaters ein städtebauliches Juwel, das das ehemalige Schlachthofviertel mit nobler Dezenz aufwertet. Einziger Kulturhotspot war bisher und gleich um die Ecke das Wirtshaus des Schlachthofs, das ein vielfältiges Angebot an Konzerten und Kleinkunst zeigt.
Das neue Theater greift die roten Klinkerfassaden, die für diesen Stadtteil seit Mitte des 19. Jahrhunderts charakteristisch sind, auf und bietet auf 25000 Quadratmetern Nutzfläche vieles, was Christian Stückl in seiner mittlerweile 19 Jahre währenden Intendanz im Haus am Stiglmaierplatz vermisste: eine wirklich große Große Bühne mit Seitenbühnen und Hinterbühne sowie einem Schnürboden in einem geräumigen Bühnenturm. Dazu gibt es noch zwei weitere Spielstätten mit 200 und 99 Plätzen. Zusammen mit der Bühne 1 finden hier 900 Zuschauer gleichzeitig Platz.
Wer sich in den letzten Jahren an den diskreten Charme der Improvisation am früheren Standort in einer umgerüsteten Sporthalle des Bayerischen Fußballverbands gewöhnt hat, wird im neuen Gebäude das eine oder andere Déjà-vu-erlebnis haben. Die Decke des Foyers zitiert die Gestaltung des alten Volkstheaters, ein schwungvolles Treppenhaus führt wieder nach oben in den Rang und nach unten zu den Toiletten. Auch die Bühne 1 ist als die Große Bühne wiederzuerkennen mit den wie riesige Regale offenen Seitenwänden, auf denen Scheinwerfer und Technik Platz finden.
Abgesehen von kleinen Pannen, die bei einem komplexen Bau anfangs auftreten können, sei die Übergabe des Theaters reibungslos gelaufen. Nur die Drehbühne drehte sich nicht. Bei der Premiere am Eröffnungsabend mit „Edward II.“von Christopher Marlowe konnten sich die Festgäste davon überzeugen, dass auch dieses Problem gelöst werden konnte.
Das Rotieren ist ein zentraler Effekt, der die auf 110 Minuten verschlankte Tragödie aus dem 16. Jahrhundert buchstäblich in Bewegung versetzt. Die erste Szene bleibt allerdings noch reglos. Alles ist erbarmungslos pink: Die Rückwand mit der Tapete von der Anmutung eines englischen Gartens ist ebenso grell wie die Kostüme. Wie zu einem Foto ist der Hofstaat aufgestellt: Isabella, die Gemahlin des Königs Edward (Liv Stapelfeldt), dessen Bruder Edmund, der Graf von Kent (Lorenz Hochhuth), der Erzbischof von Canterbury (Pascal Fligg) sowie die Grafen Mortimer (Silas Breiding) und Lancaster (Janek Baudrich).
Erst dann entschwebt die Kulisse und nach einer halben Drehung ist der nächste Schauplatz erreicht: die königliche Badewanne, natürlich in Pink und mit viel Schaumbad. Darin tummeln sich Edward (Jan Meeno Jürgens) und sein Geliebter Gaveston (Alexandros Koutsoulis). Leidenschaftlich küssen sie sich und es wird schnell klar, dass es nicht nur um eine Amour fou im royalen Rahmen geht. „Lass mich an deinem Herzen ruhn und mit der ganzen Welt verfeindet sein“, schwärmt Edward einmal.
Die Feinde sind in unmittelbarer Nähe zu finden. Stückl spitzt die Konflikte, die Marlowes erzählt, vor allem auf den Kampf der Kirche gegen Homosexualität zu. Der Erzbischof zieht gegen die „widernatürliche Geilheit“zu Felde und das höhnische Gelächter, das da und dort im Saal zu hören war, macht klar, dass die Kirche ihre Kompetenz in Fragen der Moral längst eingebüßt hat.
Die explizit brutalen Darstellungen, die das Publikum Marlowes und auch Shakespeares schätzten, sind bei Stückl überraschend dezent. Mordwaffen sind die bischöfliche Stola oder ein zierlicher Dolch. Vieles auf der von Hausausstatter Stefan Hageneier in der Dunkelheit der ansonsten karg möblierten Bühne verläuft eingebremst und statisch. Mit einem Edward II., dessen Friseur nicht zufällig an den „Kini“Ludwig II. erinnert, begann die Zukunft des Münchner Volkstheaters überraschend unspektakulär, aber in Pink hübsch anzuschauen.