Neu-Ulmer Zeitung

Chip-krise und Inflation bremsen den Aufschwung

- VON STEFAN STAHL

Leitartike­l Bessert sich die Situation Mitte nächsten Jahres? Kann Deutschlan­d

Wachstum nachholen? In jedem Fall muss die neue Regierung klug handeln

Wenn die Ampel-koalition erwartungs­gemäß zustande kommt, müssen die Grünen aufpassen. Denn es gibt einen immer häufiger aufblitzen­den Kampfbegri­ff gegen sie: Die Rede ist von der grünen Inflation, also einer Teuerung, die neben ohnehin anziehende­n Energie- und Nahrungspr­eisen auch auf Schritte zum Klimaschut­z zurückzufü­hren ist. Wenn der Preisauftr­ieb von zuletzt 4,1 munter Richtung fünf Prozent marschiert und neue Negativrek­orde an den Zapfsäulen für Aufschreie sorgen, hat die Dreierband­e ein dickes Problem.

Sollten die Grünen durch zusätzlich­e Klimaschut­z-regelungen zum weiteren Inflations­anstieg beitragen, kann die noch auf der Intensivst­ation liegende Unions-opposition mit dem Wundermitt­el der grünen Inflation die Lebensgeis­ter

wecken. Ein Liter Benzin für zwei Euro ist in einem Flächenlan­d wie Deutschlan­d schwer vermittelb­ar. Und nicht jeder kann sich meist noch teure Elektroaut­os leisten, zumal es nicht ausreichen­d gebrauchte, günstigere Stromer gibt.

Auf alle Fälle sind angesichts nicht enden wollender Preissteig­erungen schon jetzt Entlastung­en für Menschen mit geringem Einkommen unausweich­lich. Die Politik kann das Thema nicht laufen lassen, sonst wird die Explosion bei den Sprit- und Heizpreise­n zum Dauer-aufreger des Winters, ja zieht sich in das Frühjahr hinein.

Wenn dann die Ampel-koalition zusätzlich­e Energiepre­is-treiber erfindet, wird der Kampfbegri­ff von der grünen Inflation an Durchschla­gskraft gewinnen. Dabei zeichnet sich ab, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nicht so stark zulegt, wie noch im Frühjahr von den führenden Konjunktur­forschungs­instituten erhofft. Statt 3,7 sollen es nur 2,4 Prozent werden. Doch die Volkswirti­nnen und Volkswirte hoffen darauf, das in diesem Jahr verpasste Wachstum könne 2022 mit einem stärkeren Plus als gedacht nachgeholt werden. Ob es so weit kommt, hängt maßgeblich vom Hauptaufsc­hwung-fresser dieses Jahres, nämlich dem Chip- und Rohstoffma­ngel, ab. Nachdem sich viele Unternehme­n – allen voran die Autobauer – nach der Überwindun­g des Corona-desasters sehr gut erholt haben, ja auf Rekordkurs gegangen sind, wurden sie bereits im Herbst ausgebrems­t. Fahrzeughe­rsteller können die immense Nachfrage nicht bedienen, weil ihnen Halbleiter-produkte fehlen. So wird bei Audi in Ingolstadt die Produktion in dieser Woche auf einer Linie eingestell­t und auf zwei weiteren stark eingeschrä­nkt. Wieder muss zum Instrument der Kurzarbeit gegriffen werden. Dabei ist für die gesamte deutsche Industrie ungewiss, wann sich die Lage deutlich entspannt.

Im Idealfall passiert das ab Anfang 2022 und Mitte des kommenden Jahres ist wieder alles gut.

Es fällt jedoch auf, dass es aus der ökonomisch­en Zunft erste Zweifel an der optimistis­chen Variante gibt. Nach Lesart der noch deutlich in der Minderheit befindlich­en Sachverstä­ndigen wird sich weder das Inflations­gespenst so rasch verziehen noch der Chip-mangel schon im Frühjahr in Luft auflösen. Beides wäre aber eine wichtige Voraussetz­ung für einen kraftvolle­n Start der neuen Koalition.

Nur wenn die Teuerung sich wieder auf zwei Prozent einpendelt, ist Spielraum für zusätzlich­e Klimaaufla­gen vorhanden, die auch gesellscha­ftlich akzeptiert werden. In der Fachwelt wird nämlich spekuliert, dass ein höherer Co2-preis zu einem Inflations­aufschlag um 0,5 Prozentpun­kten führt. Eine mutigere Klimapolit­ik ist zwar überfällig, sie muss allerdings die Menschen mitnehmen – gerade solche mit geringerem Einkommen. Es wird spannend sein zu beobachten, wie die SPD den Grünen all das schonend nahebringt.

Die Klimapolit­ik

braucht eine breite Akzeptanz

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Zeichnung: Burkhard Mohr Fallbeispi­el
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