Neu-Ulmer Zeitung

Machtprobe im Parlament

- VON KATRIN PRIBYL

Europa Wer auf Signale der Entspannun­g gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Der zwischen Polen und

der Eu-kommission geführte Streit über die Säulen der Gemeinscha­ft droht weiter zu eskalieren

Brüssel Als sich Mateusz Morawiecki nach 34 Minuten unter „Bravo“-rufen seiner Parteikoll­egen wieder an seinen Platz setzte, ließ es sich der amtierende Parlaments­präsident nicht nehmen, den polnischen Regierungs­chef mit einem zynischen Kommentar zu rügen. „Die Einhaltung der Redezeit zeigt auch, dass Sie Respekt haben vor dem Haus der europäisch­en Demokratie.“Für Morawiecki waren im Euparlamen­t in Straßburg eigentlich nur fünf Minuten vorgesehen. Das schien Polens Ministerpr­äsidenten nicht zu kümmern. Er ließ sich Zeit für seine Tirade gegen die EU – und präsentier­te seine nationalko­nservative Pis-regierung als Opfer von Brüssel. „Ich bin nicht damit einverstan­den, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen.“Die Kompetenze­n der EU hätten ihre Grenzen erreicht. „Wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschrit­ten werden.“Übersetzen ließe sich seine Botschaft aber auch so: Warschau will sich nur noch nach eigenem Gutdünken an Eurecht halten. Am Ende bezeichnet­e Morawiecki Europa noch als „besten Ort überhaupt“, als seien die Debatte um Rechtsstaa­tlichkeit lediglich ein Scherz.

Die Stimmung im Saal war da längst im Keller, der Ton ist ohnehin seit Monaten vergiftet, die Machtprobe eskaliert zunehmend. Das ließ sich trotz Gesichtsma­ske an der versteiner­ten Miene von Eukommissi­onschefin Ursula von der Leyen während Morawiecki­s Ausführung­en ablesen. Die Deutsche hatte sich zuvor in ihrer Ansprache „zutiefst besorgt“geäußert über die Lage in dem osteuropäi­schen Land, wo die Regierung seit Jahren das Justizwese­n umbaut – oder vielmehr zerlegt. Gerade erst sorgten die Richter des politisch besetzten Warschauer Verfassung­stribunals mit ihrer Entscheidu­ng, dass zentrale Teile des Eu-vertrags unvereinba­r mit der nationalen Verfassung seien, für Empörung. Damit untergräbt Polen das Fundament der EU, jenes Prinzip, dass die Rechtsprec­hung der Staatengem­einschaft über der ihrer Mitglieder steht. Von der Leyen betonte: „Ja, die Demokratie und die Rechtsstaa­tlichkeit sind langsamer als die Autokratie­n, weil sie alle anhören, bevor ein Urteil gefällt wird oder eine Lösung gefunden wird. Aber genau das unterschei­det uns ja von den Autokraten und den Diktatoren dieser Welt.“Die EU werde „handeln“, versprach sie.

Doch wie soll die Union mit Polen umgehen? Statt konkrete Strafmaßna­hmen anzukündig­en, zeigte von der Leyen mögliche Sanktionen nur auf. Die reichen von einem weiteren Vertragsve­rletzungsv­erfahren bis hin zur Aktivierun­g des Rechtsstaa­tsmechanis­mus. Der ermöglicht es, einem Land Fördermitt­el zu kürzen oder gar zu streichen. Das Eu-parlament drängt die Kommission seit Monaten, von dem Instrument Gebrauch zu machen.

Unter den Abgeordnet­en herrschen dementspre­chend viel Frustratio­n und noch mehr Ärger. So hielt sich Manfred Weber (CSU), der Fraktionsv­orsitzende der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), bei seinem Auftritt auch nicht mit scharfer Kritik zurück. „Durch Ihre Rede heute säen Sie Streit und Spalt in der Europäisch­en Union“, sagte er an Morawiecki gewandt. Obwohl der polnische Ministerpr­äsident die Idee eines Polexit, also eines polnischen Austritts aus der EU, mehrmals zurückgewi­esen hatte, bemühten zahlreiche Abgeordnet­e das Wort gestern, darunter auch Weber: „Wer das Primat des Europäisch­en Gerichtsho­fes ablehnt, wer die Europäisch­e Union als Rechtsgeme­inschaft ablehnt, wer die Unabhängig­keit der Justiz ablehnt, der tritt faktisch aus der EU als Rechtsgeme­inschaft aus.“Katarina Barley (SPD), Vizepräsid­entin des Eu-parlaments, forderte klare Maßnahmen vonseiten der Kommission. Die Rechtsstaa­tskrise sei kein isoliertes polnisches Problem. „Wenn wir es zulassen, dass sich Eu-mitgliedst­aaten herauspick­en, an welche Teile der gemeinsam vereinbart­en europäisch­en Gesetze sie sich halten, wird sich unsere Europäisch­e Gemeinscha­ft unaufhalts­am auflösen.“Polen habe sich in eine „rechtsstaa­tliche Sackgasse manövriert“, befand die Parlaments­vizepräsid­entin Nicola Beer (FDP). Man werde die polnischen Menschen nicht im Stich lassen. Gleichwohl sei die Eu-mitgliedsc­haft „kein Club à la carte in Sachen Rechtsstaa­tlichkeit und bindendem Eu-recht“. Die Kommission müsse die Bürger Polens und diese Union verteidige­n, die auf Rechtsstaa­tlichkeit und Gerechtigk­eit aufgebaut sei, sagte Grünen-fraktionsc­hefin Ska Keller. „Die Zeit der Untätigkei­t ist abgelaufen.“

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Foto: Ronald Wittek, dpa Eu‰kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hört Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki zu.

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