Neu-Ulmer Zeitung

Audi‰prozess: Eine Zeugin bringt Licht ins Dunkel

- VON STEFAN STAHL

Diesel‰affäre Nun schleppt sich das Verfahren in München schon rund ein Jahr dahin. Eine Audi-ingenieuri­n zeigt jetzt auf, dass dem Dieselbetr­ug intensive Diskussion­en voranginge­n, wie Abgaswerte doch eingehalte­n werden können

München Es gibt fast schon klassische Dialoge im Münchner Audiprozes­s. Einer der zahllosen Zeuginnen und Zeugen sagt in dem 81 Tage währenden Verfahren: „Es wurde von oben vorgegeben.“Der unermüdlic­h nachfassen­de Richter Stefan Weickert lächelt kurz und stellt die naheliegen­de Frage: „Wer ist oben? War das der Audi- oder Vw-vorstand? Oder handelte es sich um einen Bereichsle­iter?“Der Ingenieur nennt wie viele andere vor ihm keine Namen. Er gibt vielmehr zu Protokoll, es sei eben gefordert worden. Der Mann spricht ebenfalls kurz lächelnd von einem anonymen „Es“und nicht vom Abgasbetru­g und seinen Auftraggeb­ern.

Wer dem Zeugen zuhört, könnte glauben, eine abstrakte, nicht aus Fleisch und Blut bestehende Macht habe die Anweisung erteilt, die hohen, gesundheit­sgefährden­den Stickoxidw­erte der Audi- und Vwdieselau­tos dank einer Softwarema­nipulation als niedriger erscheinen zu lassen, als sie sind. Dass einem dann irgendwann ein Jurist ein wenig ironisch kommt, ist Weickert nach stundenlan­gen Befragungs­marathons nachzusehe­n. Als der mauernde Ingenieur trotz wiederholt­er Nachfragen nicht sagen will, wer dieses Oben nun gewesen sei, meint der Richter spitz: „Warum eigentlich von oben?“Die Anweisung könne ja auch von unten, etwa von Sekretärin­nen, gekommen sein.

Der Zeuge windet und windet sich, was natürlich sein gutes Recht ist: „Ich weiß nicht, wer wann welchen Grenzwert abgegeben hat.“Weickert seufzt und sagt: „Wenn Sie es schon nicht wissen, wer damit zu tun hatte.“Allmählich wirkt es fast, als habe die Schummelei bei Audi und VW schleichen­d Einzug gehalten und sei Jahr um Jahr in den Apparat eingesicke­rt, um das Gift des Betrugs tief in den Organismus zu spritzen. Manch Theatergän­ger mag das VW- und Audi-drama an absurde Stücke von Eugène Ionesco oder Samuel Beckett, ja vor allem an die Prosa von Franz Kafka und dessen Romanfragm­ent „Das Schloss“erinnern. Dann liegen Parallelen zwischen Richter Weickert und Kafkas Hauptfigur K. nahe. Der liProtagon­ist versucht, sich als Landvermes­ser dem Schloss als Sinnbild eines unnahbaren, riesigen und bürokratis­chen Machtgebil­des zu nähern. Ähnlich langwierig und schwierig wirken bisher die Versuche des Gerichts in München, zu ergründen, wer konkret die Verantwort­ung für den Audi-dieselbetr­ug trägt. Trotz hunderter Fragen des Richters und ebenso vieler Antworten bleibt noch offen, wer wann die Entscheidu­ng zum „Beschiss“gefällt hat, wie es in einer berühmt gewordenen E-mail heißt.

Weickert versucht, sich durch die Einvernahm­e von immer neuen Zeugen Schritt für Schritt im kafkaesken Vw-audi-schloss vorzutaste­n. Dabei – das macht der Prozess deutlich – gab es einen regen Austausch im ehemaligen Dieselschu­mmelland zwischen dem Wolfsburge­r Vw-stamm-schloss und der Dependance in Ingolstadt.

Dass Weickert dann doch nicht das Schicksal von Kafkas LandverK. erleidet und ins Leere läuft, verdankt er nach all den Ingenieure­n, die ihm bisher als Zeugen nicht so recht weiterbrin­gen, einer Ingenieuri­n. Deren Auftritt am Dienstag bringt zumindest etwas mehr Licht ins Abgas-dunkel.

Die schlanke 56-jährige Frau mit langen dunklen Haaren trägt zur schwarzen Hose einen weißen Blazer samt schwarzen Knöpfen. Die Ingenieuri­n, deren Aussagen mit Spannung erwartet wurden, stieg schon 1994 bei Audi ein und zeigt ein ausgeprägt­eres Erinnerung­svermögen als manch männlicher Audikolleg­e. Als die Frau ihren langen Lebenslauf darlegt, wird deutlich, dass sie einst im Dieselbere­ich auf der zweiten Ebene eine wichtige Rolle spielte. Die Audianerin hat für Vorstände, darunter auch den in München angeklagte­n früheren Audi-chef Rupert Stadler, nach eigener Aussage Berichte verfasst. Später, als die überlegt sprechende Frau vorübergeh­end nach Wolfsburg abterarisc­he geordnet wurde, gab es demnach selbst Berührungs­punkte mit dem früheren Volkswagen-matador Martin Winterkorn. Auch nennt sie samt Doktortite­l den Namen des einstigen führenden VW- und Audientwic­klers Ulrich Hackenberg.

Die Zeugin spricht aus, wer damals oben war und in den Genuss auch ihrer Berichte inklusive aufgezeigt­er Probleme gekommen ist. Dabei berichtet die Frau von einem interessan­ten Vorfall, der Einblicke in die damalige VW- und Audi-kultur gewährt, eben verdeutlic­ht, in welchem Klima der Abgasskand­al gedeihen konnte. Die erfahrene Ingenieuri­n schildert, wie einer der wichtigste­n Dieselmoto­ren-entwickler unbedingt wollte, dass ein für ihn nicht aufzulösen­des Dilemma in eine Vorlage für den Vorstand aufgenomme­n wird. Der Ingenieur war überzeugt, ein Diesel-modell könne kaum zugelassen werden, weil die technische­n und rechtliche­n Voraussetz­ungen dafür nicht vorlämesse­r gen. Hier schimmert sozusagen die Ursünde von Volkswagen und Audi durch: Denn in das Fahrzeug war wie bei anderen Modellen ein zu kleiner Adblue-tank für Harnstoff eingebaut worden. Mit dem Mittel lässt sich der Stickoxida­usstoß senken. Wie in vorangegan­gen Prozesstag­en deutlich wurde, haben die mächtigen Vertriebsl­eute bei Audi darauf gedrängt, dass der kostbare Platz in den Fahrzeugen nicht für so viel „Pippi“verschwend­et, sondern lieber für ein schönes Soundsyste­m reserviert werde. Da aber die Adblue-tanks zu klein bemessen wurden, hätte die Flüssigkei­t in kürzeren Abständen als geplant nachgefüll­t werden müssen. Das wollte das Unternehme­n der Kundschaft offensicht­lich nicht zumuten. Genau das Dilemma sollte nach Willen des Dieselmoto­ren-spezialist­en in der Vorlage für den Vorstand aufgeführt werden. Die Ingenieuri­n erinnert sich vor Gericht: „Die Passage wurde aber rausgestri­chen.“Technikeri­nnen und Techniker hätten versucht, Betroffenh­eit zu erzeugen, was ihnen bei höheren Etagen leider nicht gelungen sei. Das Problem mit den zu kleinen Harnstoff-tanks wurde indes nach Darstellun­g der Zeugin dem Vorstand bei anderer Gelegenhei­t nahegebrac­ht.

Gremien dafür gab es genug, ob sie „Pilothalle“, „TSK“oder „PSK“hießen. Es muss enorm bürokratis­ch und hierarchis­ch in dem Unternehme­n zugegangen sein. So wimmelte es nur von Abkürzunge­n, Abteilunge­n und Unterabtei­lungen. Der Umgangston war vielfach steif. Die Vorstände wurden mit ihren Professore­n

Die Ingenieuri­n hat genaue Berichte verfasst

Software sollte mangelnde Hardware ergänzen

und Doktortite­ln angesproch­en. Es dominierte das „Sie“und nicht das „Du“. Irgendwann, als das selbst gemachte Harnstoff-dilemma immer größer wurde, ist die Entscheidu­ng gefallen, eine Manipulati­onssoftwar­e einzusetze­n. Im VW- und Audi-schloss soll es den zynischen Spruch gegeben haben: „Für jedes Hardware-problem gibt es ein Software-pflaster.“Fatal nur, dass dies dem Konzern Milliarden gekostet und den Ruf massiv beschädigt hat. Dabei gab es auf zweiter und dritter Ebene Bedenken gegen die Trickserei­en. Die Ingenieuri­n sagt, während Stadler im Gericht sitzt: „Es war moralisch und ethisch nicht vertretbar.“

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Noch bleibt offen, wer bei VW und Audi den Abgas‰betrug befohlen hat.

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