Die Autorin, die mit Worten fetzt
Elfriede Jelinek wird 75 Jahre alt
„Wenn man zu lange Zeit unterdrückt wird, wird man entweder aggressiv oder resigniert. Damals war ich aggressiv, jetzt, wo ich alt bin und gesehen habe, dass sich fast nichts geändert hat, bin ich resigniert“, hatte Elfriede Jelinek im letzten Jahr in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Republica anlässlich der Neuveröffentlichung ihres Buches „Die Liebhaberinnen“in Italien erklärt.
Zwischen Revolte und Resignation – in diesem emotionalen Zwiespalt bewegt sich Elfriede Jelinek seit etlichen Jahren. Vor vier Jahren war ihr noch einmal ein großer Bühnenwurf gelungen. Am Hamburger Schauspielhaus wurde „Am Königsweg“uraufgeführt, eine vehemente Bühnenabrechnung mit Donald Trump. Die Zeitschrift Theater heute wählte den „Königsweg“später zum Stück des Jahres. In ihrem letzten Stück „Schwarzwasser“(uraufgeführt im Februar 2020 am Wiener Akademietheater) bewegt sie sich nah am Puls der Zeit, thematisiert darin Klimakatastrophe und aggressiven Rechtspopulismus.
„Das Schreiben ist bei mir ein leidenschaftlicher Akt, eine Art Rage. Ich bin nicht jemand, der wie Thomas Mann an jedem Satz feilt, sondern ich fetz halt herum. Das geht zwei, drei Stunden, dann falle ich zusammen wie ein Soufflé, in das man mit einer Nadel sticht“, hat Elfriede Jelinek der Züricher Weltwoche erklärt. An Leidenschaft, Elan, Bissigkeit und künstlerischem Furor hat es in Jelineks Werken nie gemangelt. Als ihr 2004 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, war dies eine faustdicke Überraschung. Einen „Skandal“nannten viele Kommentatoren die Preisvergabe, von einer „mutigen Entscheidung“sprachen wohlmeinendere.
„Das ist eine Ehre, die für mich zu groß ist im Moment. Es ist doch unvorstellbar, dass ich mich jetzt neben Leuten wie Beckett und Hemingway wiederfinde“, kommentierte die öffentlichkeitsscheue Autorin, die der Preisverleihung in Stockholm fernblieb und ihre Dankesrede auf Video aufzeichnen ließ.
Jelinek ist in ihren Bühnen- und Erzählwerken eine verbale Kämpferin, eine Autorin, die dem österreichischen Establishment – ähnlich Thomas Bernhard – schneidend zu Leibe rückt. Die mangelnde Bereitschaft, sich mit der österreichischen Nazi-vergangenheit auseinanderzusetzen, lastete sie ihren Landsleuten wiederholt an, und attackierte öffentlich die Politiker Kurt Waldheim und Jörg Haider. Ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrem Heimatland gipfelte darin, dass sie 1996 ein (kurzzeitiges) Aufführungsverbot für ihre Stücke in Österreich aussprach. Zwei Jahre später feierte sie am Wiener Burgtheater mit dem von Einar Schleef inszenierten „Sportstück“einen grandiosen Erfolg.
Dabei hatte die Provokateurin Jelinek, die am 20. Oktober 1946 als Tochter eines Chemikers in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren wurde und heute abwechselnd in Wien und München lebt, künstlerisch äußerst feinsinnig begonnen. Als Teenager lernte sie am Wiener Konservatorium Blockflöte, Orgel und Komposition, und Mitte der 60er Jahre schrieb sie erste Gedichte, die 1969 mit dem Lyrikpreis der österreichischen Jugendkulturwoche ausgezeichnet wurden. Ihr Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte brach sie wegen einer psychischen Krise ab, in deren Folge sie sich für ein Jahr in ihrem Elternhaus verschanzte.