Wiedersehensfreude satt
Buchmesse Die Branche trifft sich nach einem Jahr Pause wieder in Frankfurt. 3G wie immer: Gespräche, Gespräche, Gespräche. Aber diesmal ohne Gedränge
Frankfurt am Main Re:connect, Wiederverbinden – im Motto der diesjährigen Frankfurter Buchmesse schwingt die Sehnsucht mit. Ein Jahr lang musste das weltweit größte Branchenevent coronabedingt pausieren, im letzten Jahr fand die Messe nur in Form digitaler Veranstaltungen statt. Nun aber also wieder: In Frankfurt, in den Messehallen, fünf Tage lang Tagungen, Lesungen, Gespräche und Literatur zum Anfassen – unter Einhaltung der Hygieneregeln natürlich. Was aber auch bedeutet: So einfach ist das mit dem Wiederverbinden nicht. Oder wie es Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, am Dienstag bei der Eröffnung ausdrückte: „Back to business heißt jedoch nicht back to normal: Die Buchmesse wird in diesem Jahr anders aussehen, als wir sie kennen.“
Was normalerweise einer Art Leistungsschau der Branche gleicht, ist diesmal im Vergleich eine Minimesse. Keine Ausstellerrekorde, statt über 7000 Ausstellenden nur 2000, und auf jeden Fall viel weniger Gedränge: Nur 25 000 Besucherinnen und Besucher dürfen pro Tag auf das Gelände. Macht also maximal 125000, vor zwei Jahren waren es fast dreimal so viel. Für die da sind, aber gilt: „Wiedersehensfreude satt“, so Karin Schmidt-friderichs, Vorsteherin des Deutschen Buchhandels.
Allein das langersehnte Halli und Hallo sorgt also schon für eine frohgemute Grundstimmung, dazu passen aber auch die Zahlen, die Schmidt-friderichs zur Eröffnung präsentierte. Das Jahr 2020 sei mit stabilen Umsätzen abgeschlossen worden. Im laufenden Jahr liege der Umsatz auf dem Buchmarkt trotz langer Lockdown-wochen derzeit 0,7 Prozent über dem Umsatz des Vergleichszeitraums 2019. Fazit: „Wir haben mit der Pandemie einen der größten Stresstests der Geschichte souverän bestanden.“Wiederverbinden? Ist also gar nicht nötig, weil ja zumindest Buch und Leserinnen und Leser nie getrennt waren. Im Gegenteil: In der Krise wurde mehr gelesen denn je. „Social distancing wurde nicht zu Distanz zum Buch.“
Dass die Verbindung geruckelt hat, merkt aber doch vor allem der stationäre Buchhandel. Da liegt der Umsatz noch immer hinter 13,3 Prozent gegenüber der Vor-coronazeit. „Bei etlichen werden rote Zahlen stehen“, sagt Schmidt-friderichs: „Für manche Buchhändlerinnen und Buchhändler fühlt es sich an wie zwölf Stunden im Hamsterrad – ohne dass etwas hängen bleibt.“
Aber: Das Minus schmelze Woche für Woche …
Wo es mit der guten Verbindung derzeit auch etwas hapert: zwischen den Verlagen und den öffentlichen Bibliotheken. In ganzseitigen Anzeigen hatten zuletzt 185 Literaturschaffende, darunter Prominenz wie Juli Zeh, Daniel Kehlmann oder Frank Schätzing, auf ihre Rechte beim E-book-verleih gepocht – wozu bislang auch zählt, dass Bestseller oft erst mit mehrmonatiger Verspätung über die „Onleihe“der Bibliotheken gelesen werden können. Ihnen zur Seite stellte sich gestern Schmidt-friderichs. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels unterstützte die Kampagne „Fair lesen“, es geht „um nichts weniger als um die Zukunft der Autorinnen und Autoren, der Verlage und des deutschen Buchmarkts“, sagte die Vorsteherin und zog der Anschaulichkeit halber einen Vergleich zur Filmwelt: „Kam der neue Bond am 30. September gleich ins Freetv?“Schriftstellerinnen und Schriftsteller würden hauptsächlich von den Erträgen leben, die ein Buch in den ersten zwölf Monaten einbringt. Würden die Bücher dann aber schon als E-books für die Onleihe freigegeben werden, ginge die wichtigste Einnahmequelle verloren. Auch darüber also wird in den nächsdiejenigen, ten Tagen viel zu reden sein. Ohnehin, die Finanzen. Das Wiederverbinden in Frankfurt war diesmal nur möglich mit staatlicher Unterstützung aus dem Programm „Neustart Kultur“. Mit der Fördersumme, so Boos, seien unter anderem Gesundheitsund Digitalkonzepte entwickelt worden.
Wie also läuft nun das Wiedersehen ab? In breiteren Gängen, ohne Empfänge vor den Ständen und doch auch immer wieder digital. Von den etwa 60 Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus Kanada, Gastland der diesjährigen Messe, sind die meisten zu Hause geblieben, werden – wie beispielsweise Literaturstar Margaret Atwood bei der Eröffnungsfeier – nur virtuell zugeschaltet. Dafür ist der kanadische Ehrengastpavillon in der Geschichte der Buchmesse nun der erste, den man auch virtuell betreten kann.
Buchmesse also mal anders, im kleineren Hybridformat – aber doch wie gehabt: Gespräche, Gespräche, Gespräche, die 3G-regel schon vor Corona. Diesmal unter der Leitfrage: „Wie wollen wir leben?“200 Literaturschaffende haben sich angekündigt – Elke Heidenreich, Jenny Erpenbeck oder beispielsweise auch Roland Kaiser. Die Sehnsucht nach Begegnung, sie zumindest scheint groß wie immer.