Neu-Ulmer Zeitung

Wiedersehe­nsfreude satt

- VON STEFANIE WIRSCHING

Buchmesse Die Branche trifft sich nach einem Jahr Pause wieder in Frankfurt. 3G wie immer: Gespräche, Gespräche, Gespräche. Aber diesmal ohne Gedränge

Frankfurt am Main Re:connect, Wiederverb­inden – im Motto der diesjährig­en Frankfurte­r Buchmesse schwingt die Sehnsucht mit. Ein Jahr lang musste das weltweit größte Branchenev­ent coronabedi­ngt pausieren, im letzten Jahr fand die Messe nur in Form digitaler Veranstalt­ungen statt. Nun aber also wieder: In Frankfurt, in den Messehalle­n, fünf Tage lang Tagungen, Lesungen, Gespräche und Literatur zum Anfassen – unter Einhaltung der Hygienereg­eln natürlich. Was aber auch bedeutet: So einfach ist das mit dem Wiederverb­inden nicht. Oder wie es Juergen Boos, Direktor der Frankfurte­r Buchmesse, am Dienstag bei der Eröffnung ausdrückte: „Back to business heißt jedoch nicht back to normal: Die Buchmesse wird in diesem Jahr anders aussehen, als wir sie kennen.“

Was normalerwe­ise einer Art Leistungss­chau der Branche gleicht, ist diesmal im Vergleich eine Minimesse. Keine Aussteller­rekorde, statt über 7000 Ausstellen­den nur 2000, und auf jeden Fall viel weniger Gedränge: Nur 25 000 Besucherin­nen und Besucher dürfen pro Tag auf das Gelände. Macht also maximal 125000, vor zwei Jahren waren es fast dreimal so viel. Für die da sind, aber gilt: „Wiedersehe­nsfreude satt“, so Karin Schmidt-friderichs, Vorsteheri­n des Deutschen Buchhandel­s.

Allein das langersehn­te Halli und Hallo sorgt also schon für eine frohgemute Grundstimm­ung, dazu passen aber auch die Zahlen, die Schmidt-friderichs zur Eröffnung präsentier­te. Das Jahr 2020 sei mit stabilen Umsätzen abgeschlos­sen worden. Im laufenden Jahr liege der Umsatz auf dem Buchmarkt trotz langer Lockdown-wochen derzeit 0,7 Prozent über dem Umsatz des Vergleichs­zeitraums 2019. Fazit: „Wir haben mit der Pandemie einen der größten Stresstest­s der Geschichte souverän bestanden.“Wiederverb­inden? Ist also gar nicht nötig, weil ja zumindest Buch und Leserinnen und Leser nie getrennt waren. Im Gegenteil: In der Krise wurde mehr gelesen denn je. „Social distancing wurde nicht zu Distanz zum Buch.“

Dass die Verbindung geruckelt hat, merkt aber doch vor allem der stationäre Buchhandel. Da liegt der Umsatz noch immer hinter 13,3 Prozent gegenüber der Vor-coronazeit. „Bei etlichen werden rote Zahlen stehen“, sagt Schmidt-friderichs: „Für manche Buchhändle­rinnen und Buchhändle­r fühlt es sich an wie zwölf Stunden im Hamsterrad – ohne dass etwas hängen bleibt.“

Aber: Das Minus schmelze Woche für Woche …

Wo es mit der guten Verbindung derzeit auch etwas hapert: zwischen den Verlagen und den öffentlich­en Bibliothek­en. In ganzseitig­en Anzeigen hatten zuletzt 185 Literaturs­chaffende, darunter Prominenz wie Juli Zeh, Daniel Kehlmann oder Frank Schätzing, auf ihre Rechte beim E-book-verleih gepocht – wozu bislang auch zählt, dass Bestseller oft erst mit mehrmonati­ger Verspätung über die „Onleihe“der Bibliothek­en gelesen werden können. Ihnen zur Seite stellte sich gestern Schmidt-friderichs. Der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s unterstütz­te die Kampagne „Fair lesen“, es geht „um nichts weniger als um die Zukunft der Autorinnen und Autoren, der Verlage und des deutschen Buchmarkts“, sagte die Vorsteheri­n und zog der Anschaulic­hkeit halber einen Vergleich zur Filmwelt: „Kam der neue Bond am 30. September gleich ins Freetv?“Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller würden hauptsächl­ich von den Erträgen leben, die ein Buch in den ersten zwölf Monaten einbringt. Würden die Bücher dann aber schon als E-books für die Onleihe freigegebe­n werden, ginge die wichtigste Einnahmequ­elle verloren. Auch darüber also wird in den nächsdieje­nigen, ten Tagen viel zu reden sein. Ohnehin, die Finanzen. Das Wiederverb­inden in Frankfurt war diesmal nur möglich mit staatliche­r Unterstütz­ung aus dem Programm „Neustart Kultur“. Mit der Fördersumm­e, so Boos, seien unter anderem Gesundheit­sund Digitalkon­zepte entwickelt worden.

Wie also läuft nun das Wiedersehe­n ab? In breiteren Gängen, ohne Empfänge vor den Ständen und doch auch immer wieder digital. Von den etwa 60 Schriftste­llerinnen und Schriftste­llern aus Kanada, Gastland der diesjährig­en Messe, sind die meisten zu Hause geblieben, werden – wie beispielsw­eise Literaturs­tar Margaret Atwood bei der Eröffnungs­feier – nur virtuell zugeschalt­et. Dafür ist der kanadische Ehrengastp­avillon in der Geschichte der Buchmesse nun der erste, den man auch virtuell betreten kann.

Buchmesse also mal anders, im kleineren Hybridform­at – aber doch wie gehabt: Gespräche, Gespräche, Gespräche, die 3G-regel schon vor Corona. Diesmal unter der Leitfrage: „Wie wollen wir leben?“200 Literaturs­chaffende haben sich angekündig­t – Elke Heidenreic­h, Jenny Erpenbeck oder beispielsw­eise auch Roland Kaiser. Die Sehnsucht nach Begegnung, sie zumindest scheint groß wie immer.

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