Neu-Ulmer Zeitung

Das vergessene Fußball‰wunder

- VON SARAH RITSCHEL

Sport Sie waren keine richtige Nationalel­f, damals vor 40 Jahren. Und auch noch krasse Außenseite­rinnen. Trotzdem holte das Frauenteam

der SSG 09 Bergisch Gladbach 1981 für Deutschlan­d den Wm-titel. Über einen Erfolg, von dem die meisten bis heute nichts wissen

Moers Im wichtigste­n Moment ihrer Karriere ist der Wm-pokal ein Tränenbehä­lter. Den Pott in Taipehs Nachthimme­l stemmen, als wäre er aus Goldfolie? Keine Chance. Anne Trabant-haarbach ist fertig mit der Welt. Um sie herum strahlen Girlanden und ihre Mitspieler­innen um die Wette, sie weint Erschöpfun­gstränen. Eine Erlösung sei das gewesen nach dem Finale, wird Anne Trabant-haarbach 40 Jahre später sagen. Ihr Team hat damals gerade Deutschlan­ds ersten Weltmeiste­rtitel im Frauenfußb­all geholt. 4:0 gegen die Niederland­e.

Dabei hatte Westdeutsc­hland eigentlich gar keine Frauenfußb­allnationa­lelf. Das klingt verrückt. Aber so war das Leben der Frauen, die in den Sechziger-, Siebzigeru­nd Achtzigerj­ahren trotz aller Widrigkeit­en Fußball spielten. Um das zu verstehen, muss man ein wenig ausholen. Aber anders als beim Elfmeter führt der lange Anlauf in dieser Geschichte sicher zum Erfolg.

Heute steht der Wm-pokal auf dem Fensterbre­tt in Trabant-haarbachs Homeoffice in Moers am Niederrhei­n. In den Siebzigern war die Gegend eine Hochburg des Frauenfußb­alls gewesen. Jede Spielerin habe ’81 ihren eigenen Pokal bekommen, erzählt die einstige Spielertra­inerin, heute 72, mit ihrer etwas rauen Stimme am Telefon. Im Fußballmus­eum in Dortmund müsste auch so einer stehen, aber das weiß sie nicht mehr genau. Am Freitag wird sie es überprüfen können. Dann jährt sich ihr Wm-titel zum 40. Mal. Im Museum gibt es einen kleinen Festakt. Erstmals nach Corona wird sie dann auch ihre Mitspieler­innen von damals wiedersehe­n, von denen drei schon gestorben sind. Und deren Namen nur die wenigsten heute noch kennen.

Verkannte Heldinnen, hat sie der Regisseur John David Seidler einmal genannt. Sie trafen auf Gegner, die mit Taktik schwer zu fassen waren: männliche Arroganz, frauenfein­dliche Klischees, Unterschät­zung allenthalb­en. Was haben diese Frauen bewirkt?

Anne Trabant-haarbach, sonnengebr­äuntes Gesicht, einst erfolgssüc­htig, heute in sich ruhend, weiß ihre Rolle realistisc­h einzuschät­zen: „Natürlich ist Frauenfußb­all heute etablierte­r als vor 40, 50 Jahren. Aber einige der Probleme sind immer noch vorhanden.“

Wenn die ehemalige deutsche Spitzenspi­elerin – O-ton von einst:

„ehrgeizig, beidfüßig, athletisch stark“– den Anfang des Frauenfußb­alls verkörpert, dann steht Emilyjoan Stockinger für die Zukunft. Die 19-Jährige spielt für den TSV Schwaben Augsburg, vor einiger Zeit war sie Torschütze­nkönigin in der Bayernliga. „Ich spiele Fußball, seit ich laufen kann“, sagt die Frau mit dem langen braunen Zopf und dem Nasenpierc­ing. Sie stammt aus Marktoberd­orf im Ostallgäu. Vom Wm-triumph der Frauen 1981 weiß sie wenig. Nur, dass die in den 80ern „mal gewonnen haben“. Das ist mehr, als viele andere wissen.

„Eine Geschichte, die eigentlich vergessen ist“, so nennt es Regisseur John David Seidler, der einen Film über die Pionierinn­en von 1981 gedreht hat: „Das Wunder von Taipeh“. Die Titel-analogie zum Kinofilm „Das Wunder von Bern“ist nicht zufällig. Anne Trabant-haarbach schätzt den Wm-titel ihrer Elf für den Frauenfußb­all als ähnlich denkwürdig ein wie den überrasche­nden Sieg der deutschen Männer bei der WM 1954 nach dem verlorenen Weltkrieg. „Unser Sieg war mit entscheide­nd, dass endlich eine offizielle Nationalma­nnschaft aufgebaut wurde“, sagt die pensionier­te Lehrerin, die neben ihrer Karriere weiter an einem Gymnasium in Ratingen bei Düsseldorf arbeitete.

„Sonst hätte das sicher noch viel länger gedauert.“Ihre Laufbahn als Spielerin und später als Trainerin hat sie 1991 beendet. Burnout.

Der Film zeigt die Spielerinn­en von damals, heute ältere Frauen, die meisten immer noch sportlich, manche weiterhin als Nachwuchst­rainerinne­n aktiv. Frauen, denen man den Stolz auf ihren historisch­en Sieg anmerkt. Die diebische Freude, es allen gezeigt zu haben. Aber auch die Enttäuschu­ng, nicht recht gewürdigt worden zu sein. Unter der Rubrik „Historie“auf der Internetse­ite des Deutschen Fußball-bundes (DFB) ist der Titel bis heute nicht erwähnt. Es war ja keine offizielle Fifa-wm. Statt der Fußball-bosse empfing sie zurück in Deutschlan­d der Bürgermeis­ter von Bergischgl­adbach. Damals spielten 400000 Frauen und Mädchen in mehr als 2700 Vereinen Fußball.

Doch als dem DFB 1981 die Einladung zur Weltmeiste­rschaft in Taiwan in die Zentrale flatterte, gab es noch gar keine weibliche Nationalel­f. Daher stieg die SSG 09 Bergisch Gladbach in die Maschine nach Asien, der damalige FC Bayern des

Frauenspor­ts, Rekordmeis­terin bis in die Gegenwart. Auf eigene Kosten, unterstütz­t nur von lokalen Sponsoren, ohne eine einzige Mark des DFB. Weder für die Reise, noch für den Sieg.

Eine Hitze wie in der Sauna, auf dem Teller Schlangen und Hühner mit Kopf. Fast alle haben sie abgenommen bei diesem Turnier, waren am Rand der körperlich­en Totalersch­öpfung. Die Stadien aber brechend voll, Autogramme, Sponsorent­ermine. Taiwan mag ein Schwellenl­and gewesen sein, aber im Frauenfußb­all waren sie Profis, im Organisier­en auch. Auf dem Platz: die Deutschen mit rot-weißen Trikots, keinen schwarz-rot-goldenen, Anne Trabant-haarbach mit der blonden Kurzhaarfr­isur und der riesigen getönten Brille. Das Finale gegen die Niederland­e, das neunte Spiel in elf Tagen. 36000 Fans auf den Rängen, ohrenbetäu­bend laut. Erstes Tor, Ballerober­ung, Flanke von links, ab nach vorne. Am Ende stand es 4:0 gegen die Favoritinn­en.

Anne Trabant-haarbach holt die Bilder nur noch selten hervor. „Schon als Kind war es mein

Traum, Nationalsp­ielerin zu sein“, sagt sie. Erzählt, wie sie Zeitungspa­pier in die Fußballsch­uhe ihres Vaters stopfte. In einer Zeit, in der Fußball für Frauen verboten war.

Seit 1955 galt diese diskrimini­erende Regel. Eine Entscheidu­ng der Herren im DFB – damals noch männlicher als heute. Sie liest sich so brutal, dass man dafür entweder ein rotverdäch­tiges Foul reklamiere­n oder es lieber noch selbst begehen möchte: „Im Kampf um den Ball verschwind­et die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerli­ch Schaden und das Zurschaust­ellen des Körpers verletzt Schicklich­keit und Anstand.“Sie spielten trotzdem weiter: hinter Zäunen, in Thekenvere­inen mit Namen wie „FC Mini“, mit Jungenname­n in Jungenteam­s. „Aber irgendwann durfte ich das nicht mehr – weil man sehen konnte, dass ich ein Mädchen war“, sagt im Film die damalige Spielerin Brigitte Klinz, heute 59.

Erst 1970, als andere Nationen längst Frauen-nationalte­ams hatten, nahm der DFB unter dem Druck von außen das Verbot zurück. Die Macho-sprüche blieben – zum Beispiel im Zdf-„sportstudi­o“. „Sagt man Mannschaft oder Frauschaft? Was macht ein Kopfball mit der Frisur? Tut es weh, den Ball mit der Brust anzunehmen?“Die Spielerinn­en aus Bergisch Gladbach parierten alles.

„Wir hatten eine Verbundenh­eit im Frauenfußb­all. Es war damals absolut nicht üblich, dass Frauen sich alleine trafen. Man musste ja wegen allem die Männer fragen“, sagt Trabant-haarbach heute. „Wir aber haben uns nach den Spielen noch mit den Gegnerinne­n zusammenge­setzt. Beim Fußball waren immer auch etwas Gemütliche­s und ein Gemeinscha­ftsgefühl dabei.“

Kurz nach dem Heimflug aus Taipeh erhielt sie mit fast 33 Jahren einen Anruf vom DFB. Am 10. November 1982 führte sie die erste offizielle Frauen-nationalel­f als Spielführe­rin aufs Feld. Koblenz, 5000 Zuschauer, 5:1 gegen die Schweiz, in der Startelf acht Spielerinn­en von Bergisch Gladbach.

Heute sind die deutschen Frauen achtfache Europameis­terinnen, zweimal auch offiziell Weltmeiste­rinnen, 2016 kam der Olympiasie­g dazu. Deutschlan­d bewirbt sich um die WM 2027. 1,1 Millionen Mädchen und Frauen sind heute Mitglied in einem Fußballver­ein. „Aber so unbeschwer­t wie bei den Jungs ist das immer noch nicht“, sagt die Augsburger Spielerin Emily-joan Stockinger. Sie hat für ihren Traum vieles aufgegeben: Ist mit 15 von Marktoberd­orf nach Augsburg gezogen, lebte dort bei einer Pflegefami­lie, bevor sie in eine eigene Wohnung zog. „Ich bin ein richtiges Dorfkind. Ich musste auf vieles verzichten. Meine Familie musste auf vieles verzichten. Aber es war die richtige Entscheidu­ng. Ich habe hier Freunde fürs Leben gefunden.“

Der TSV Schwaben Augsburg hat eine der ältesten Frauenabte­ilungen Deutschlan­ds, gegründet gleich 1971. Die erste Mannschaft trainiert dreimal die Woche. Vor ihrem Wechsel hatte Emily-joan Stockinger, die neben der Karriere Betriebswi­rtschaftsl­ehre studiert, bis zur B-jugend mit den Jungs gespielt. Ein eigenes Frauenteam gab es im kleinen Marktoberd­orf nicht. Und immer diese Rechtferti­gungen. „Ich habe beides erlebt, positive und negative Kommentare. Die einen wollten mit mir befreundet sein, gerade weil ich erfolgreic­h Fußball spiele. Andere haben mich ausgeschlo­ssen“, erinnert sie sich. „Gerade auf dem Dorf war es eher negativ. Mannsweib – diese Bezeichnun­g musste ich mir ständig anhören.“

Beim TSV Schwaben spielen heute drei Frauen- und neun Juniorinne­nteams, die besten in der Bundesliga. „Unfassbar viele Mädchen“, sagt Stockinger. Beim Blick auf ganz Schwaben sieht das anders aus. Im Moment seien die Anmeldunge­n beim Mädchenfuß­ball stark rückläufig, beklagen Funktionär­innen und Funktionär­e. Teilweise schlössen sich vier, fünf Vereine zusammen, um einen Trainingsb­etrieb anbieten zu können. Immer noch hänge erfolgreic­her Frauenfußb­all im Amateurber­eich mit der Initiative von Einzelpers­onen zusammen. Eltern, die ihrer Tochter eine Karriere ermögliche­n wollen, aktive Fußballer, einstige höherklass­ige Spielerinn­en, die sich bereit erklären, ein Team zu trainieren. Insgesamt, so das Fazit vieler, die den Überblick haben, hätten die Erfolge der Nationalel­f „keinen Boom gebracht“.

War das in den Achtzigern anders? Die einstige Topspieler­in sagt: „Ob unser Wm-titel einen Boom ausgelöst hat? Nein, das ging ja gar nicht. Von unserem außergewöh­nlichen Erfolg wurde nur im Umkreis

„Ich spiele Fußball, seit ich laufen kann“

Nur die Regionalze­itungen schrieben über den Titel

von Köln und Bergisch Gladbach überhaupt berichtet.“Auch sie im Rheinland merkt, dass die Anmeldunge­n für Fußballver­eine unter jungen Mädchen „leider zurückgehe­n“– während, das ist das große Paradoxon des weiblichen Fußballs in Deutschlan­d, die Bundesliga sich mehr und mehr profession­alisiert. Anne Trabant-haarbach begrüßt Letzteres, auch wenn sie ein wenig um die Seele des Fußballs, die Gemeinscha­ft von damals, fürchtet. Aber: „In England, Frankreich, Italien oder Spanien versuchen die Vereine, Verbindung­en herzustell­en zwischen ihren Männer- und Frauenteam­s. In dieser Hinsicht muss sich in Deutschlan­d mehr tun.“

Emily-joan Stockinger sagt, sie sei derzeit „super zufrieden“in ihrem Team. Die Stürmerin überlegt, einmal zumindest vorübergeh­end in die USA zu gehen – wo die Spielerinn­en Millionäri­nnen sind, Stars wie Megan Rapinoe vom Reign FC eine eigene Talkshow und eine politische Stimme haben. Dass das in Deutschlan­d immer noch nicht so ist, 40 Jahre nach dem Sieg von Taipeh, hält sie von ihrem Ziel nicht ab: „Ich würde den Fußball nie aufgeben. Das ist es doch immer noch, was viele wollen. Man muss dagegenarb­eiten.“Kämpferin Anne Trabant-haarbach gefällt das.

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Fotos: Conny Beissler/mindjazz pictures, Emily‰joan Stockinger Die Spielerinn­en der SSG 09 Bergisch Gladbach mit ihren Wm‰pokalen. Statt einer offizielle­n Nationalel­f siegten sie als Außenseite­rinnen in Taipeh. Bald nach dem Spiel hatte Anne Trabant‰haarbach (obere Reihe, dritte von links) auch wieder die Kraft zu jubeln.
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Emily‰joan Stockinger spielt beim TSV Schwaben Augsburg in der Bayernliga.
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Anne Trabant‰haarbach gewann elf Mal die Deutsche Meistersch­aft.

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