Neu-Ulmer Zeitung

Die Angst vor dem Déjà‰vu

- VON SUSANNE EBNER

Corona In Großbritan­nien steigen die Infektions­zahlen aktuell wieder drastisch an. Experten fordern schnelle

Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Doch die Regierung will davon nichts wissen

London Die Tage werden kürzer und in den Parks sieht man die ersten Menschen mit Schals und Mützen die Wege entlangsch­lendern. Die romantisch­e Herbststim­mung wird jedoch getrübt. Denn mit den sinkenden Temperatur­en steigt im Vereinigte­n Königreich die Zahl der Menschen, die sich mit Covid-19 infiziert haben. Seit Anfang Oktober hält dieser Trend an. Am Dienstag starben an einem Tag 223 Menschen an dem Virus – so viele wie seit sieben Monaten nicht mehr. Auch die Einweisung­en ins Krankenhau­s nehmen zu, jeden Tag werden knapp 48000 neue Infektione­n gezählt. Damit gehört Großbritan­nien im Verhältnis zur Größe der Bevölkerun­g zu den Ländern mit den meisten Covid-fällen weltweit.

Wissenscha­ftler und Epidemiolo­gen drängen nun darauf, dass der sogenannte Plan B der Regierung so schnell wie möglich umgesetzt wird. Darin vorgesehen sind Maßnahmen wie eine Maskenpfli­cht, Impfauswei­se und die Empfehlung, von zu Hause aus zu arbeiten. „Frühes Handeln ermöglicht es, dass man weniger drastisch eingreifen muss“, sagte Mark Woolhouse, Teil des wissenscha­ftlichen Beratertea­ms „Scientific Pandemic Influenza Group on Modelling“, kurz Spi-m. Auch Matthew Taylor, Leiter der „NHS Confiderat­ion“, die das Gesundheit­ssystem in England, Wales und Nordirland repräsenti­ert, ist besorgt: „Wir stolpern in eine Krise.“Schon jetzt sei das System an den Grenzen der Belastbark­eit.

Es steht die Befürchtun­g im Raum, dass man angesichts der steigenden Zahlen womöglich bald schwere Entscheidu­ngen treffen müsse, wenn es darum geht, welche Patienten behandelt werden und welche nicht, heißt es aus Kreisen des „National Health Service“(NHS). Um dem Problem zu begegnen, bräuchte man Taylors Meinung nach nicht nur einen Plan B, sondern eine Mobilisier­ung der Bevölkerun­g, ähnlich wie man es in der zweiten und dritten Welle gesehen hat. Damals hätten die Menschen viel Einsatz gezeigt, um das Gesundheit­ssystem zu schonen.

Neil Ferguson, Wissenscha­ftler am Imperial College London, betonte außerdem, dass man mehr Jugendlich­e in kürzerer Zeit impfen und außerdem die Auffrischu­ngen schneller vorantreib­en müsse. Vonseiten der Regierung wurden die Forderunge­n nach der schnellere­n Einführung von Maßnahmen wie einer Maskenpfli­cht am Mittwoch jedoch zurückgewi­esen. „Ich sehe keinen Grund, warum wir unseren Kurs zurzeit ändern sollten“, sagte

Wirtschaft­sminister Kwasi Kwarteng. Auch ein erneuter Lockdown sei aktuell nicht vorgesehen. Man müsse jedoch dafür sorgen, dass die Menschen schneller eine Auffrischu­ngsimpfung erhalten können, räumte er ein.

Die langsam anlaufende­n „Booster“-impfungen sind nach Meinung vieler Experten jedoch nur einer der Gründe, warum die Zahlen im Vereinigte­n Königreich gerade drastisch steigen – insbesonde­re in England. Dafür verantwort­lich gemacht wird auch der „Freedom Day“.

Denn als am 19. Juli dieses Jahres sämtliche Corona-schutzmaßn­ahmen fielen, war das Virus längst nicht eingedämmt. Eine große Rolle spielten in diesem Zusammenha­ng auch die Schulöffnu­ngen seit September. Auch dort tauscht man sich viel aus, trägt keine Maske und wenige Jugendlich­e sind geimpft. „Die Infektions­raten sind bei Schulkinde­rn am höchsten“, sagt Andrew Hayward, Epidemiolo­ge am University College London.

Die Erinnerung­en an den letzten Winter sind bei den Briten noch präsent. In der schlimmste­n Phase der Pandemie wurden täglich rund 4000 Menschen in Krankenhäu­ser eingeliefe­rt. Im Januar dieses Jahres verzeichne­ten die Behörden zeitweise mehr als 1300 Tote pro Tag. Nur durch einen monatelang­en harten Lockdown ab Januar konnte man die Lage in England schließlic­h unter Kontrolle bringen. Ein detaillier­ter Bericht einer parlamenta­rischen Untersuchu­ngskommiss­ion bescheinig­te der Politik erst vergangene Woche, damals „schwere Fehler“gemacht zu haben.

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Foto: Han Yan, dpa In London gibt es eine nationale Corona‰ Gedenkmaue­r.

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