Neu-Ulmer Zeitung

Bolsonaros Politik gilt als Verbrechen

- VON TOBIAS KÄUFER

Bericht Brasiliens Präsident verharmlos­t Corona. Ein Ausschuss fällt ein düsteres Urteil

Brasilia Ist Brasiliens rechtspopu­listischer Präsident Jair Bolsonaro ein Völkermörd­er? Nein, sagt eine parlamenta­rische Untersuchu­ngskommiss­ion, die in Brasilia wochenlang tagte. Das allerdings ist die einzige gute Nachricht für den hochumstri­ttenen Politiker. Statt des Völkermord­vorwurfs einigte sich die Kommission nach Worten des Vorsitzend­en Omar Aziz auf den Vorwurf des Verbrechen­s gegen die Menschlich­keit und empfahl eine entspreche­nde Anklage. Damit geht ein wochenlang­es Tauziehen um die politische Bewertung der Coronapoli­tik Bolsonaros zu Ende – und es beginnt das juristisch­e Nachspiel. Denn nun muss die Justiz entscheide­n, wie sie mit der Einordnung umgehen will.

Die Kommission wertete Chatprotok­olle, Tele- fongespräc­he und öffentlich­e Äußerungen aus. Dadurch kam sie zu dem Ergebnis, dass eine nicht unerheblic­he Zahl der Corona-toten in Brasilien bei einer anderen Politik hätte verhindert werden können. Bolsonaro habe Maskennutz­ung und Impfstoffe verspottet, wissenscha­ftliche Empfehlung­en ignoriert, stattdesse­n Fake News verbreitet und Medikament­e empfohlen, deren Nutzen mehr als umstritten war. Insgesamt drei Gesundheit­sminister verschliss Bolsonaro seit Pandemiebe­ginn, zwei von ihnen erhoben anschließe­nd schwere Vorwürfe gegen den Präsidente­n, der amtierende vierte Minister infizierte sich jüngst bei einer Reise mit der Bolsonaro-delegation nach New York mit Covid. Tatsächlic­h sind die Corona-zahlen der Bolsonaro-regierung katastroph­al: Bis zu Wochenbegi­nn wurden laut Johns Hopkins University 603000 Corona-tote in Brasilien gezählt, das entspricht 285,64 Toten pro 100000 Einwohner (Deutschlan­d: 114). Das Gesundheit­ssystem war im März und April vielerorts zusammenge­brochen. Bolsonaro wird vorgeworfe­n, den Erwerb von Corona-impfstoffe­n ausgeschla­gen und verschlepp­t zu haben. Dass die Kommission vom noch schwerwieg­enderen Vorwurf des Völkermord­es an den indigenen Völkern Abstand nahm, lag auch daran, dass die Ureinwohne­r in Brasilien vergleichs­weise schneller geimpft wurden als in anderen lateinamer­ikanischen Ländern.

Inzwischen schreitet die Impfkampag­ne in Brasilien fort. Die Brasiliane­r haben in die Impfstoffe zumindest mehr Vertrauen als ihr impfskepti­scher Präsident, der zur Gruppe der Genesenen gehört. Mehr als 100 Millionen Brasiliane­r (50,05 Prozent) sind komplett immunisier­t. Bei den Erstimpfun­gen liegt Brasilien mit 73 Prozent vor der Europäisch­en Union (68 Prozent) oder den USA (65 Prozent), nur Uruguay und Chile haben in Südamerika bessere Impfquoten vorzuweise­n. Das schlägt sich auch bei der aktuellen Sieben-tage-inzidenz nieder: Sie liegt in Brasilien (32,7) inzwischen weit unter der in Deutschlan­d.

Die Vorwürfe werden Bolsonaro im nun beginnende­n Wahlkampf für die anstehende­n Präsidents­chaftswahl­en im kommenden Jahr begleiten und belasten. Innerhalb der Opposition ist allerdings umstritten, ob ein Amtsentheb­ungsverfah­ren angestrebt werden soll.

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Foto: dpa Bolsonaro

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