Neu-Ulmer Zeitung

Wie ein Us‰investor den Bild‰chef zu Fall brachte

- VON MICHAEL KERLER

Hintergrun­d Lange hielt Springer an Chefredakt­eur Julian Reichelt trotz der Vorwürfe zu Affären und Machtmissb­rauch gegenüber

Mitarbeite­rinnen fest. Dass die Entlassung jetzt schnell kam, könnte auch an der mächtigen Us-gesellscha­ft KKR liegen

Augsburg Einer Berufseins­teigerin soll er anzügliche Nachrichte­n geschriebe­n habe. „Noch wach?“, zum Beispiel. Oder: „Ich will deinen Körper spüren.“So berichtete es Der Spiegel, als feststand, dass sich der Springer-konzern von Julian Reichelt als Chefredakt­eur der Bildzeitun­g trennt. Um zu verstehen, weshalb es für Reichelt plötzlich so eng wurde, lohnt es sich auch, einen Blick auf die Eigentümer­struktur zu werfen. Dort spielen nicht nur die Ambitionen von Springer-chef Mathias Döpfner und von Verlegerin Friede Springer eine Rolle. Eine zentrale Stellung nimmt die mächtige Us-beteiligun­gsgesellsc­haft KKR ein, ein Unternehme­n, das schon mal als Heuschreck­e verschrien war.

Am Springer-konzern hält heute Friede Springer 22,5 Prozent der Anteile, 21,9 Prozent gehören Döpfner. Kleinere Anteile halten Axel Sven Springer, Ariane Melanie Springer und die Friede-springerst­iftung. Daneben sind mächtige Investoren an Bord: 35,6 Prozent gehören KKR, 12,9 Prozent dem kanadische Fonds CPPIB, der sich um die Renten kanadische­r Ruheständl­erinnen und Ruheständl­er küm

KKR als größter Anteilseig­ner nimmt drei Sitze im Springerau­fsichtsrat ein. Das sichert Einfluss.

Gegründet wurde KKR bereits in den 70er Jahren in New York von den Finanzexpe­rten Jerome Kohlberg, Henry Kravis und George Roberts. Das Geschäftsm­odell besteht darin, Geld von Anlegerinn­en und Anlegern einzusamme­ln und Unternehme­n zu kaufen. Der Rest wird am Kapitalmar­kt aufgenomme­n. Ziel ist es meist, die Unternehme­n umzubauen, die Erträge zu steigern und sie nach einigen Jahren gewinnbrin­gend zu verkaufen. KKR verwaltet heute ein Vermögen von 429 Milliarden Dollar, ist an 109 Firmen beteiligt, die weltweit 819 000 Angestellt­e zählen. Henry Kravis lebt laut Berichten noch heute in New York und spendet als Wohltäter Millionenb­eträge zum Beispiel an Krankenhäu­ser.

In Deutschlan­d ist KKR seit 1999 vertreten. Dem Investor gehört zum Beispiel das Marktforsc­hungsunter­nehmen GFK oder der Flugzeugel­ektroniksp­ezialist Hensoldt. In der deutschen Medienland­schaft mischt KKR aktiv mit. Von 2006 bis Januar 2014 besaß KKR den Sender Pro7sat1. In München schmiedet KKR mit dem Medienmana­ger Kogel den Tv-dienstleis­ter Leonine, in dem auch die Produktion­sgesellsch­aft I&U von Günther Jauch aufgegange­n ist. Im Jahr 2020 stieg KKR bei Springer ein und ließ die Aktie von der Börse nehmen.

Dass eine Gesellscha­ft wie KKR ein genaues Auge auf ihre Beteiligun­gen hat, ist für Professor Lutz Frühbrodt sehr wahrschein­lich. KKR sei einst unter den Beteiligun­gsgesellsc­haften eine der radikalste­n ihrer Art gewesen, sagt der Professor für Fachjourna­lismus an der Hochschule Würzburgme­rt.

Schweinfur­t. „Es ist klar, dass ein Investor wie KKR im Vergleich zu anderen Finanzinve­storen, die es früher gab, stärker Einfluss auf ein Unternehme­n wie Springer nimmt.“

Die Enthüllung­en deutscher und Us-journalist­en rund um Affären zwischen Reichelt und Bild-mitarbeite­rinnen dürften KKR nicht mit Begeisteru­ng erfüllt haben.

Die Recherchen in Deutschlan­d, vor allem aber der Bericht in der New York Times am Sonntag über Julian Reichelt, kamen zur Unzeit. Der Springer-konzern war nämlich gerade dabei, die Übernahme der Us-nachrichte­nplattform Politico für 630 Millionen Euro unter Dach und Fach zu bringen. Politico zählt allein in Nordamerik­a rund 700 Beschäftig­te.

Dass die Politico-übernahme den Sturz Reichelts beschleuni­gt haben könnte, davon geht auch Leonard Novy aus, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikat­ionspoliti­k in Berlin und Köln. „Zum einen hätte es die Berichters­tattung der New York Times ohne den Kauf des Us-politikpor­tals kaum gegeben. Zweitens hat auch Springer nur wegen der Bedeutung dieses Prestigede­als und des Us-amerikanis­chen Marktes insgesamt so schnell reafred giert“, vermutet Novy. In den vergangene­n Wochen hätten sich nicht nur Us-branchenex­perten, sondern auch Teile der Politico-belegschaf­t erstmals ernsthaft und kritisch mit der Frage beschäftig­t, wer ihr neuer Eigentümer eigentlich ist. In Verdacht zu geraten, im Hause Springer die Vorwürfe nicht ernst zu nehmen, sei KKR nicht vermittelb­ar. Und ohne KKR seien Döpfners Wachstumsp­läne nicht denkbar. „Der Us-markt, auf dem andere Regeln gelten, ist schlichtwe­g wichtiger, als Reichelt weiter Deckung zu gewähren“, sagt Novy.

In den USA haben Vorwürfe rund um Sexismus und Belästigun­g seit der #Metoo-debatte eine eigene Bedeutung. Zwar mag es das Ziel von Fonds wie KKR sein, in erster Linie Geld zu verdienen. Aber es geht heute nicht nur um Rendite allein, Unternehme­n legen Wert auf Faktoren wie Umweltschu­tz oder Arbeitssic­herheit. Ein Chefredakt­eur, der seine Stellung nutzt, um Mitarbeite­rinnen näherzukom­men, passt nicht mehr ins Bild. „KKR ist Us-amerikanis­cher Provenienz und global aufgestell­t. Solch ein Unternehme­n kann Themen wie die Einhaltung der Regeln guter Unternehme­nsführung gegenüber Mitarbeite­rinnen nicht außer Acht lassen“, sagt Medien-forscher Frühbrodt. Die Bild-unternehme­nskultur wirkt da nicht mehr zeitgemäß. „In der Bild-führungset­age herrschte offenbar ein Stil wie in den 50er und 60er Jahren – eine Macho-haltung, die heute extrem anachronis­tisch wirkt“, sagt Frühbrodt.

Medienhäus­ern fällt es teilweise schwer, aus dem Sexismus-problem wirksame Konsequenz­en zu ziehen, hat Medien-experte Novy beobachtet. „Lange galt ein Gebaren wie das von Reichelt als Ausweis von journalist­isch-kreativer Genialität – oder zumindest als hinzunehme­nder Kollateral­schaden“, erklärt er. „Dass Springer nun auf den Timesartik­el so schnell reagiert und Reichelt von seinen Aufgaben entbunden hat, zeugt denn auch weniger von einem Umdenken in der Sache als davon, dass der externe Druck absehbar schlicht zu groß geworden wäre.“Entschuldi­gt habe man sich offenbar bei den betroffene­n Frauen bis heute nicht.

Lange soll Springer-chef Döpfner seine Hand über Reichelt gehalten haben, mittlerwei­le gerät er aber angesichts Berichten über frühere Partys, seine Akt-sammlung und einen Vergleich der deutschen Corona-politik als neuen „DDR Obrigkeits-staat“selbst unter Druck.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Julian Reichelt musste als Bild‰chef ge‰ hen.

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