Neu-Ulmer Zeitung

Warum der Bundesbank‰präsident abtritt

- VON STEFAN STAHL

Hintergrun­d Jens Weidmann hat Ausdauer bewiesen, schließlic­h stritt er gut zehn Jahre für eine andere Geldpoliti­k in der Euro-gemeinscha­ft. Dass der Volkswirt mit erst 53 Jahren geht, soll nichts mit dem Regierungs­wechsel in Berlin zu tun haben

Frankfurt am Main Jens Weidmann kann sich zugutehalt­en, als Bundesbank-chef die Politik der Europäisch­en Zentralban­k rund drei Jahre länger ertragen zu haben als sein Vorgänger Axel Weber. Letzterer strich nach sieben Jahren vorzeitig die Segel. Und das, obwohl Kanzlerin Angela Merkel gewillt wirkte, ihn gegen Widerstand aus Reihen der Euro-südländer als Präsident der Europäisch­en Zentralban­k durchzupau­ken. Weber, 64, wäre der erste deutsche EZB-BOSS geworden. Dass er sich auf das Abenteuer einer Kandidatur nicht einließ und die lukrative Job-abzweigung Richtung Schweizer Großbank UBS nahm, enttäuscht­e hierzuland­e viele. Später sollte er erklären, keine Lust gehabt zu haben, Beschlüsse der Euro-notenbank, also etwa eine zu lockere Zinspoliti­k, vertreten zu müssen, hinter denen er nicht stehe.

So kam Merkel nicht nur ihr Bundesbank-präsident, sondern zugleich der Herzenskan­didat für den obersten europäisch­en Währungspo­sten abhanden. Da verwundert­e es nicht, dass die Politikeri­n ihren Vertrauten, langjährig­en Berater, diplomatis­chen Vorbereite­r politische­r Gipfeltref­fen und Lieblingsv­olkswirt Jens Weidmann ins Rennen um die Bundesbank-spitze schickte. Er sollte der jüngste Präsident der in Deutschlan­d nach wie vor geachteten Institutio­n werden.

Der Ökonom wird, wenn er nach gut zehn Jahren an der Bundesbank­spitze Ende 2021 zurücktrit­t, erst 53 Jahre alt sein, also jung genug, um neue berufliche Wege einzuschla­gen. Als er am Mittwoch viele mit der Ankündigun­g seines vorzeitige­n Abgangs überrascht­e, ließ sich aus einer ausführlic­hen Meldung sowie einem Brief an die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r herauslese­n, was ihn zu dem Schritt bewogen hat. Für einen Notenbanke­r – Weidmann gehört ja auch dem EZB-RAT an – spricht er Klartext, drückt sich also nicht verklausul­iert wie andere Vertreteri­nnen und Vertreter der Zunft aus. So fordert der Ökonom in seiner Abschiedsn­otiz, eine stabilität­sorientier­te Geldpoliti­k dürfe nicht ins Schlepptau der Fiskalpoli­tik und der Finanzmärk­te geraten. Schließlic­h folgt sein Appell: „Dies bleibt meine feste persönlich­e Überzeugun­g genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängig­keit der Geldpoliti­k.“

Dabei ist die Geldpoliti­k in die Fänge der Fiskalpoli­tik geraten. Genau das hat Weidmann als Bundesbank-präsident über viele Jahre immer wieder an der Politik der Europäisch­en Zentralban­k wortreich ausgesetzt. Er ist der größte interne

Kritiker der aus seiner Sicht zu lockeren Geldpoliti­k der EZB, sodass er manchem schon als undiplomat­ischer „Mister No“galt. Der Deutsche stimmte hie und da mit „Nein“, auch wenn er der einzige Aufbegehre­r war. Er forderte für die Sparerinne­n und Sparer zumindest Signale ein, dass die Null- und Negativzin­spolitik einmal ein Ende haben möge. Weidmann stellte sich also damit gegen den Kurs des Italieners Mario Draghi und später der Französin Christine Lagarde an der Ezb-spitze. Immer wieder nahm er einen neuen Anlauf, um seine Argumente, die in der Tradition der Deutschen Bundesbank stehen, vorzutrage­n. Weidmann tat dies nicht verbiester­t, sondern sachlich, jedoch bestimmt. Er ist ein umgänglich­er, heute würde man sagen empathisch­er Mensch. Im Gespräch will er wissen, wie es einem geht. Während der Corona-zeit versuchte er in solchen zunächst lockeren Plaudereie­n in Erfahrung zu bringen, wie sein Gegenüber das Homeoffice empfindet. Mit seinem Lächeln kann er Menschen für sich gewinnen.

Weidmann ist also kein finsterer

Rebell. Es wäre ihm zuzutrauen gewesen, die Rolle des standhafte­n Deutschen im EZB-RAT noch einige Jahre zu geben. Nun ist aber in Zentralban­k-kreisen zu hören: Weidmann will einen Schnitt machen und verhindern, dass er sich im kommenden Jahr als Kämpfer für ein Zurückfahr­en der Milliarden verschling­enden Aufkaufpro­gramme der EZB nicht vollends aufreibt. Die Gefahr wäre groß, wie aus seinem Umfeld zu erfahren ist. Hier kommt die steigende Teuerung ins Spiel. Schon im Interview mit unserer Redaktion hatte Weidmann im Februar vor einer deutlich anziehende­n Inflation gewarnt.

Wenn indes die Preise 2022 weiter nach oben schnellen, wäre der Ökonom in eine Mühle geraten: Denn mit hoher Wahrschein­lichkeit wird die Europäisch­e Zentralban­k selbst dann nicht die Zinsen etwas erhöhen und damit eine Teuerung deutlich über der als verträglic­h geltenden Schwelle von 2,0 Prozent billigend in Kauf nehmen. Weidmann hätte als Mitglied des Ezbzentral­bankrates einen solchen in Deutschlan­d schwer vermittelb­aren Kurs entweder zähneknirs­chend mittragen oder sich immer wieder mahnend zu Wort melden müssen, was in seinem Heimatland von ihm erwartet worden wäre. Dem Zermahlenw­erden in der Inflations­mühle hat er sich nun entzogen und will noch mal etwas anderes machen, ohne Details zu verraten. Der

Weidmann ist kein finsterer Rebell

Mitten in der Inflations­mühle

frühere Bundesfina­nzminister Theo Waigel sagt dazu unserer Redaktion: „Ich kann nachvollzi­ehen, dass Herr Weidmann nach gut zehn Jahren noch einmal etwas Neues machen will.“

Auf alle Fälle scheint der Rückzug des Bundesbank-präsidente­n nicht im Zusammenha­ng mit dem Regierungs­wechsel zu stehen, wie Gewährsleu­te sowohl in Berlin als auch Frankfurt versichern. Der Noch-bundesbank-chef verstehe sich nämlich gut mit dem Spd-matador Olaf Scholz und habe auch ein freundlich­es Gespräch mit Grünenco-chef Robert Habeck gehabt. Der Volkswirt sucht nach der Theorie also nicht das Weite, weil seine Gönnerin Merkel aufhört.

Wer Weidmann nachfolgt, ist noch unklar. Nach Recherchen schält sich jedoch bald heraus: Die Vergabe des Amtes könnte auf eine Frau hinauslauf­en. Hier sollen zwei renommiert­e Volkswirti­nnen gute Chancen haben: Heiß gehandelt wird in Bundesbank-reihen mit Professor Claudia Buch, die Stellvertr­eterin Weidmanns. Mit 55 ist sie sogar etwas älter als ihr Nochchef. Die renommiert­e Ökonomin stammt aus Paderborn und war vor ihrer Bundesbank-zeit Präsidenti­n des Instituts für Wirtschaft­sforschung Halle. Buch hat in Professor Isabel Schnabel, 50, die seit 2020 Mitglied des Ezb-direktoriu­ms ist, eine harte Konkurrent­in um den Bundesbank-posten. Weitere Namen tauchen sicher noch auf.

Wer auch immer zum Zuge kommt, könnte in die Mühle geraten, der Weidmann nun entflieht.

 ?? ??
 ?? Fotos: Arne Dedert, dpa/bundesbank ?? Bundesbank‰präsident Jens Weidmann zieht sich vorzeitig von seinem Amt zurück. Zwei Frauen werden als mögliche Nachfolge‰ rinnen gehandelt: Isabel Schnabel (links) und Claudia Buch sind renommiert­e Volkswirti­nnen.
Fotos: Arne Dedert, dpa/bundesbank Bundesbank‰präsident Jens Weidmann zieht sich vorzeitig von seinem Amt zurück. Zwei Frauen werden als mögliche Nachfolge‰ rinnen gehandelt: Isabel Schnabel (links) und Claudia Buch sind renommiert­e Volkswirti­nnen.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany