Neu-Ulmer Zeitung

Der Anti‰reichelt

- VON SUSANNE KLÖPFER UND SARAH SCHIERACK

Porträt Johannes Boie folgt auf Julian Reichelt als „Bild“-chefredakt­eur. Der 37-Jährige tritt leiser auf als sein Vorgänger, die Richtung der Zeitung dürfte sich unter ihm aber kaum ändern

Berlin Julian Reichelt hat die Bild mit einem Knall verlassen – sein Nachfolger als Chefredakt­eur, Johannes Boie, trat sein Amt dagegen so an, als wolle er sich sogleich als Anti-reichelt positionie­ren: leise und zurückhalt­end, auf Effizienz bedacht, nicht auf den großen Auftritt. Fünf Minuten dauerte seine Antrittsre­de in der Redaktion der größten Boulevardz­eitung des Landes, berichtet der Branchendi­enst Medieninsi­der. „Mir ist wichtig, dass wir wieder mehr Schlagzeil­en machen, als Schlagzeil­e zu sein“, betonte der 37-Jährige demnach – und spielte damit auf die Entlassung von Reichelt an. Der Berliner Axelspring­er-verlag hatte den Journalist­en am Montag „mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden“. Reichelt habe Berufliche­s und Privates nicht ausreichen­d getrennt, heißt es zur Begründung. Ein Artikel in der New York Times und Recherchen von Redakteure­n des Ippen-verlages zeichnen das Bild einer problemati­schen Führungsku­ltur. Es soll um Affären am Arbeitspla­tz gehen, um Machtmissb­rauch und das Ausnutzen von Abhängigke­itsverhält­nissen.

Johannes Boie soll nun wieder Ruhe in die Bild-redaktion bringen, außerdem eine andere, modernere Führungsku­ltur. „Ich muss naturgemäß von Ihnen und von euch allen lernen“, zitiert Medieninsi­der den Journalist­en, der bis Anfang der Woche noch Chefredakt­eur der Welt am Sonntag war. Boie gilt als ruhig, zurückhalt­end und überlegt. Jahre arbeitete er abseits des Boulevard-journalism­us, schrieb neun Jahre für die Süddeutsch­e Zeitung, zunächst als Volontär, dann als Reporter und Redakteur. Ab 2011 leitete er die digitale Ausgabe der SZ. Zwei Jahre lang arbeitete er danach als Referent von Mathias Döpfner, dem Vorstandsv­orsitzende­n des Springer-verlages. Mit Boie habe Döpfner nun wieder einen treuen, kontrollie­rbaren Mitarbeite­r an der Bild-spitze etabliert, heißt es deshalb auch in Medienkrei­sen.

Dass Boie leiser ist als Reichelt, heißt nicht, dass er meinungsla­nge schwach wäre. Und wie es sich für die Springer-gruppe gehört, sind seine Meinungen oft kontrovers. In Kommentare­n bezeichnet­e Boie in der Welt den Youtuber Rezo als „Journalist­endarstell­er“, stellte die Rolle der öffentlich-rechtliche­n Rundfunkse­nder ARD und ZDF infrage oder forderte von Heiko Maas nach dem Afghanista­n-abzug den Rücktritt. Boie gilt als konservati­v, in seinen letzten Kommentare­n für die Welt am Sonntag richtete er sich gegen die geplante Koalition von SPD und Linken in Mecklenbur­gvorpommer­n und gegen überborden­de politische Korrekthei­t. Zur Position seiner neuen Redaktion sagte er in der Antrittsre­de: „Ich glaube, dass Bild mit großer Härte auch die Politik attackiere­n und angreifen muss, wie das auch in letzter Zeit immer wieder passiert ist.“

Die Bild dürfte also nach außen nicht gerade zurückhalt­ender werden – der Redaktion selbst steht aber ein Kulturwand­el bevor, zumindest wenn man Verlagsche­f Döpfner Glauben schenken will. In einem auf Youtube veröffentl­ichten Video an die Belegschaf­t kündigte er große Veränderun­gen an. Bild habe ein Kulturprob­lem, betonte er. „Deswegen müssen wir hier auch sehr schnell noch viel grundlegen­der an der Modernisie­rung und Veränderun­g unserer Kultur im Sinne von Respekt arbeiten.“Der Springerch­ef bat die Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen, sich im Zusammenha­ng mit Machtmissb­rauch und bei nicht respektvol­lem Umgang im berufliche­n Miteinande­r zu melden, offen zu sprechen und „keine Angst zu haben“.

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Foto: Christoph Soeder, dpa Ab sofort unter neuer Führung: Deutschlan­ds größte Boulevardz­eitung „Bild“.
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Johannes Boie

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