Neu-Ulmer Zeitung

Wenig Feuer für Olympia

- VON MILAN SAKO

Winterspie­le In Peking greifen die Sportler im Februar nach Medaillen.

Viele Aktive sehen den Austragung­sort kritisch, doch sie stecken auch in einem Dilemma

Schwäbisch Hall Kühl pfeift der Wind durch die Werkzeugha­lle am Adolf-würth-airport in Schwäbisch Hall. Wie praktisch, dass die Sportler des Deutschen Ski-verbandes gerade ihre neuen Jacken, Hosen und Handschuhe für den nächsten Winter erhalten haben. Die Mütze wird noch tiefer in die Stirn gezogen. Nicht nur, um den Sponsor zu präsentier­en, sondern auch, um die Ohren zu schützen. Der Wind im Kochertal ist nur ein kleiner Vorgeschma­ck auf das, was die Aktiven im Februar in Peking erwartet. Für alle Athleten ist es wie ein Sprung in ein schwarzes Loch: „Niemand kennt die Strecken, keiner weiß, was einen dort erwartet. Es kann in China minus 25 Grad kalt und extrem trocken sein, es kann auch anders kommen“, sagt die Skifahreri­n Kira Weidle, die bei der Weltmeiste­rschaft im Frühjahr in Cortina d’ampezzo mit der Silbermeda­ille glänzte. In neuen Winter warten ganz andere Überraschu­ngen auf die Aktiven.

Die Dsv-einkleidun­g in Schwäbisch Hall ist eine willkommen­e Gelegenhei­t, um die Sportlerin­nen und Sportler ohne die Wettkampf-hektik nach den Saison-zielen zu befragen. Klar: Siege, Medaillen, Podestplät­ze stehen im Vordergrun­d. Aber es verfestigt sich der Eindruck, dass es kein unbeschwer­ter Aufbruch in den Olympia-winter ist. „Es soll sehr kalt und windig sein“, sagt Biathletin Franziska Preuß mit Blick auf die spärlichen Informatio­nen rund um die Sportstätt­en in China und ergänzt: „Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, ob ich mich auf Olympia freue.“

Eher unterkühlt auch die Reaktionen der Aktiven auf den Ausrichter Peking: „Wenn ich als Privatpers­on sehe, was da politisch und bei den Menschenre­chten abgeht, dann kann man das auch kritisch sehen. Alleine schon die Vergabe nach China. Dahinter stehe ich auf keinen Fall und das verurteile ich auch“, bezieht der Oberstdorf­er Johannes Rydzek klar Position. Vor knapp vier Jahren in Pyeongchan­g glänzte der Nordische Kombiniere­r mit Gold im Einzel und mit der Mannschaft. Danach fiel er sportlich in ein Loch, aus dem der 29-Jährige dabei ist, sich herauszugr­aben, um auch bei Olympia vom 4. bis 20. Februar

zu sein. Wie seine Teamkolleg­en muss sich der Allgäuer noch qualifizie­ren. Es wären dann seine dritten Winterspie­le nach Sotschi 2014 und Südkorea 2018. Rydzek kennt die andere Seite der Medaille, besonders in der Nische Nordische Kombinatio­n: „Wir haben nur wenige Chancen, uns zu präsentier­en, und bei Olympia wird uns eine Bühne geboten, die einzigarti­g ist.“

Zu den kritischen Stimmen bei den Alpinen zählt Slalomfahr­er Linus Strasser. „Was mich aufregt, ist die Doppelmora­l dahinter. Man tut bei öffentlich­en Statements scheinheil­ig und probiert, in ein Muster reinzupass­en, das gerade en vogue ist. Aber wirklich Rückgrat zu zeigen und zu sagen: Hey, in einem Land wie China tragen wir keine Olympische­n Spiele aus, das traut man sich nicht.“Der 28-jährige

Münchner kennt allerdings die Zwickmühle, in der die Aktiven stecken: „Man muss das kritisch sehen, aber am Ende sind es nicht viele olympische Chancen, die jeder Sportler hat.“

Nachdem in der vergangene­n Saison die geplanten Test-wettbewerb­e auf den neuen Anlagen in China coronabedi­ngt ausfallen mussten, wird Olympia zum Ratespiel. Bestenfall­s von Fotos oder Videos sind die Strecken, Schanzen oder Pisten bekannt. „Wir fischen im Trüben“, sagt Biathlon-bundestrai­ner Mark Kirchner. Eine optimale Vorbereitu­ng auf den Karrierehö­hepunkt vieler Sportler sehe anders aus. „Man weiß nicht so richtig, wo man steht“, sagt Kirchner. Mit Skepsis blicken die Winter-olympionik­en zudem auf das Flair an den Wettkampfs­tätten rund um die Milliodabe­i nenmetropo­le – nur einheimisc­he Zuschauer sind erlaubt, und diese sind nicht gerade bekannt für ihre Liebe zum Bobfahren, Skispringe­n oder den Nordischen Kombinatio­n. Bereits in Pyeongchan­g 2018 herrschte im Biathlon eine Stimmung wie im zweitklass­igen IBUCUP. Beim Skispringe­n – zugegeben spätabends und bei minus 23 Grad – bibberten mehr Journalist­en als Besucher im Auslauf.

Wird Peking zur Neuauflage von Winterspie­len in einem Land, das mit Winterspor­t wenig anzufangen weiß und vor allem aus propagandi­stischen Motiven das Spektakel der Ringe wollte? „Es ist für mich extrem schwierig, weil ich für Peking kein Gefühl habe. Es gibt bessere Orte, an die man Olympische Spiele vergeben kann“, sagt der Skispringe­r Severin Freund.

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Foto: Zhang Chenlin, dpa Die Flamme brennt: Am Mittwochmo­rgen fand in Peking eine Begrüßungs­zeremonie für das olympische Feuer statt, nachdem es aus Griechenla­nd in der chinesisch­en Hauptstadt angekommen war.

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