Ein Fest der Kreativität und des skurrilen Humors
Kino Wes Andersons neuen Film „The French Dispatch“kann man als einen Liebesbrief an den Journalismus verstehen
Chefredakteure wie Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) wünscht sich jeder Schreiber. Als er erfährt, dass für die neue Ausgabe seiner Zeitschrift ein Artikel zu viel bestellt wurde und mehrere Autoren ihre Zeilenvorgabe deutlich übertroffen haben, runzelt er versonnen die Stirn. „Wir kürzen nichts“, sagt er, „macht das Impressum kleiner, werft ein paar Werbeanzeigen raus und bestellt mehr Papier.“Als Liebesbrief an den Journalismus versteht Wes Anderson seinen neuen Film „The French Dispatch“.
Als Vorlage dient das legendäre Magazin The New Yorker, das seit 1925 Kurzgeschichten, Kritiken, Essays, Lyrik, Cartoons und Reportagen ohne Format-zwänge veröffentlicht. Aber Anderson schätzt nicht nur guten Journalismus, sondern auch seine Wahlheimat Paris. So hat er die Redaktion seines fiktiven Magazins French Dispatch nach Frankreich in das fiktive Ennui-surblasé verlegt. Durchaus folgerichtig ist der Film wie ein Magazin strukturiert und zeigt drei ungekürzte Reportagen aus dem wilden Leben im Frankreich des Jahres 1975.
Damit hört die Ordnungsliebe schon wieder auf. Denn die verspielte Ästhetik, die Andersons Filme auszeichnet, wird beherrschendes Erzählprinzip. Jede Szene ist nicht nur ein liebevoll ausgestattetes Vergnügen, sondern wird durch Split-screen, einfrierende Bilder, Bildunterschriften, Stimmen aus dem Off, dem Wechsel zwischen Schwarz-weiß und Farbe ergänzt. Hinzu kommen unterschiedliche Erzählkonstruktionen: Mal springt eine Geschichte auf die Bühne eines Theaters, verwandelt sich in einen Comic-strip, wird im Format einer Talk-show eingefasst.
Die erste Reportage erzählt von dem verurteilten Mörder Moses Rosenthaler
(Benicio del Toro), der im Hochsicherheitstrakt abstrakte Aktgemälde von seiner Wärterin Simone (Léa Seydoux) malt und von einem umtriebigen Kunsthändler (Adrien Brody) entdeckt wird. In der zweiten Geschichte möchte die investigative Reporterin Lucinda Krementz (Frances Mcdormand) ein Porträt über den studentischen Revoluzzer Zeffirelli B (Timothée Chalamet) verfassen und vernachlässigt das journalistische Neutralitätsgebot, indem sie sich mit dem jungen Mann im Bett vergnügt und für ihn Manifeste verfasst. In der letzten Story findet sich der Gastrokritiker Roebuck Wright (Jeffrey Wright) in einem Entführungsfall wieder, in dem der Polizeichef (Mathieu Amalric) seinen Sohn mithilfe kulinarischer Tricks aus den Händen des Kidnappers (Edward Norton) zu befreien versucht.
Wie in „Grand Budapest Hotel“verwandelt Anderson den Film in ein Klassentreffen hochkarätiger Schauspieler. Da heißt es aufgepasst, sonst hat man Willem Dafoe hinter Gittern verpasst oder Tilda Swinton mit Gebiss und roter Perücke nicht erkannt. „The French Dispatch“ist ein Fest der Kreativität, origineller Einfälle, Details und des skurrilen Humors. Aber eben auch ein Anderson-film, in dem sich der Regisseur am meisten um sich selbst und seinen Kosmos dreht. Dem Ideenreichtum steht eine Flucht in eine nostalgisch-artifizielle Welt gegenüber, die allein für sich zu existieren scheint.