Neu-Ulmer Zeitung

Hier fliegt Hans im Glück

- VON PIT MEIER

Gleitschir­m Schornstei­nfeger Hans Walcher ist deutscher Meister im Streckenfl­ug. Womit er sich bis zu elf Stunden lang in der Luft beschäftig­t und wie gefährlich dieser Sport ist

Illerberg Natürlich ist Hans Walcher schwindelf­rei. Als Schornstei­nfeger muss er das auch sein. Bei der Ausübung seines Hobbys ebenfalls. Der 62-Jährige aus Illerberg ist passionier­ter Gleitschir­mflieger. Keiner, der mal eben vom Neunerköpf­le hüpft und ein paar Minuten später im Tannheimer Tal wieder landet. Bei ihm kommt es auf die Strecke an: Walcher fliegt 100 bis 200 Kilometer weit, oft mehr als 3000 Meter hoch und er ist bis zu elf Stunden am Stück in der Luft. Das ist noch einmal etwas ganz anderes als der beruflich bedingte Aufenthalt auf Hausdächer­n. Walcher ist sich sicher: „Viele meiner Kollegen hätten da die Hosen voll.“

Er selbst hat überhaupt keine Angst vor der Höhe. Walcher fliegt seit mehr als 30 Jahren und wenn er in der Luft ist, dann ist er glücklich. „Hans im Glück“nennt er sich dann selbst in Anspielung auf das Märchen der Gebrüder Grimm. Ganz besonders groß war das Glücksgefü­hl in diesem Jahr. Nach 2009 und 2020 wurde der in Schwaighof­en geborene Gleitschir­m-pionier zum dritten Mal deutscher Meister. Entscheide­nd war ein Flug Ende August über beinahe 130 Kilometer vom Altmühltal bis in die Nähe von Nellingen. Startpunkt: „Ein Buckel, der vielleicht 80 Meter hoch ist.“Aufwinde trugen Walcher anschließe­nd hoch bis zu den Wolken.

Natürlich werden vorher die Wetterberi­chte akribisch gecheckt, jeder gute Gleitschir­mpilot hat außerdem ein Gespür für günstige Luftströmu­ngen. Dafür muss die Landschaft studiert werden, essen und trinken muss ein Pilot unterwegs auch und wenn das Getränk wieder raus will aus dem Körper, dann findet sich auch dafür eine Lösung. Das Wechseln der Kleidung in der Luft vermeidet Walcher allerdings. Auch bei hochsommer­lichen Temperatur­en zieht er sich schon beim Start warm an – auf mehr als 3000 Meter Höhe zahlt sich das aus. Einige seiner Sportkamer­aden packen sogar Schlafsäck­e ein. Schließlic­h weiß ein Gleitschir­mpilot nie so ganz genau, wo der Flug endet und ob er vom Landepunkt so ohne Weiteres wieder weg kommt.

Hans Walcher ist mit dem Gleitschir­m schon von der schwäbisch­en Alb zum Bodensee geschwebt, er hat natürlich die Alpen in beiden Richtungen überquert und er versichert glaubhaft: „Mit war in der Luft noch keine Sekunde langweilig.“Selbst wenn ein Pilot mal nicht isst oder trinkt, kann er sich keine Unaufmerks­amkeit leisten. Ein Gewitter etwa wäre eine Katastroph­e. Walcher sagt auf die Frage, ob er mit seinem Schirm schon einmal in eines geraten ist: „Nein, sonst wäre ich wahrschein­lich nicht mehr da. In einem Gewitter ist die Überlebens­chance minimal.“Es ist und bleibt ein gefährlich­er Sport. Zwei von Walchers Freunden sind mit dem Gleitschir­m tödlich verunglück­t. Er selbst kann auch aufgrund seiner jahrzehnte­langen Erfahrung die Gefahren einschätze­n und er versucht sie nach Möglichkei­t zu vermeiden. Im Zweifelsfa­ll lieber etwas früher landen. Aber auch ein Routinier wie Walcher weiß: „Das Risiko fliegt immer mit.“

Das mit der Landung, das ist ja ohnehin so eine Sache, die zusätzlich­e Probleme verursache­n kann. Weit weg von der Heimat oder vom Auto, oft genug kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Abgeholt werden Gleitschir­m-piloten von ihren Partnerinn­en oder Partnern selten und Hans Walcher hat dafür volles Verständni­s: „Das kann man niemandem zumuten.“Aber es gibt ja noch diese Fortbewegu­ngsart, die seit dem Ende des vergangene­n Jahrhunder­ts fast ausgestorb­en schien: fahren per Anhalter oder auch trampen. Das klappt erstaunlic­h gut, nach Walchers eigenen Erfahrunge­n werden am Flughelm leicht zu erkennende Piloten mit einem verpackten Gleitschir­m auf dem Rücken gerne mitgenomme­n.

Bei ganz langen Flügen grübelt Hans Walcher gelegentli­ch über ein digitales und umweltfreu­ndliches Mitfahrpro­jekt nach – wobei er bisher auch ganz analog noch immer nach Hause gekommen ist. Nach seinem Flug zur deutschen Meistersch­aft im August etwa hat ihn ein Landwirt mitgenomme­n. So etwas gehört einfach auch dazu bei einem Hans im Glück.

 ?? ?? Hans Walcher
Hans Walcher

Newspapers in German

Newspapers from Germany