Neu-Ulmer Zeitung

„An Nikolaus ist Groko‰aus“

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Interview SPD-CHEF Norbert Walter-borjans lobt das gute Klima mit Grünen und FDP als „Riesenunte­rschied“zur Großen Koalition. Er erklärt, welche Projekte der Ampel wichtig sind und wie sie finanziert werden könnten

Herr Walter-borjans, wie lief die erste Runde der Koalitions­verhandlun­gen mit Grünen und der FDP?

Norbert Walter‰borjans: Es war die Fortsetzun­g der guten Atmosphäre, die wir bei den Sondierung­en hatten. Wir haben in einer sehr konstrukti­ven Grundhaltu­ng zusammenge­funden. Wir wissen, dass wir drei verschiede­ne Parteien sind. Wir wissen, dass in diesem Land viel zu tun ist. Wir wissen, dass wir gerade hier eine große Übereinsti­mmung haben. Wir brauchen wirklich einen Modernisie­rungsschub, einen Schub beim Klimaschut­z, aber eben mit sozialer Verantwort­ung. Dass wir gut miteinande­r umgehen, sehen Sie unter anderem daran, wie diskret wir die Ergebnisse behandeln, wenn das so vereinbart ist. Das ist ein Riesenunte­rscheid zu Gesprächen, die wir mit unserem bisherigen Koalitions­partner hatten.

Sie verspreche­n nicht weniger als einen Aufbruch für Deutschlan­d. Obwohl sie vertrauens­voll miteinande­r umgehen, stehen SPD, Grüne und FDP für verschiede­ne Milieus und Weltanscha­uungen. Das muss doch bei den Verhandlun­gen für Reibung sorgen? Walter‰borjans: Es wäre wirklich seltsam, wenn drei so unterschie­dliche Partner feststelle­n würden, dass sie alle eigentlich zur gleichen Partei gehören. Das soll auch nicht sein. Das erwarten die Wählerinne­n und Wähler auch nicht. Aber sie erwarten, dass man jetzt das Land in den Vordergrun­d stellt und seine Arbeit macht. Und diesen Geist gibt es. Die SPD will das und steht geschlosse­n dahinter.

Was sind denn für die SPD die drei wichtigste­n inhaltlich­en Punkte, die sie in den nächsten Wochen mit nach Hause nehmen wollen? Walter‰borjans: Ich erwarte von anderen, dass sie keine Vorfestleg­ungen treffen, und das gilt auch für uns. Aber wir haben im Wahlkampf gesagt, die Menschen brauchen soziale Sicherheit, auf die sie setzen können. Deshalb wollen wir den Mindestloh­n auf zwölf Euro anheben. In Deutschlan­d würden davon zehn Millionen Beschäftig­te profitiere­n. Ganz oben steht für uns auch, dass es Verlässlic­hkeit für das Alter gibt. Die Rente muss zum Leben reichen. Das ist nicht nur ein Thema für die jetzigen Rentner, sondern auch für die Jüngeren. Das Thema

Wohnen ist für Bürgerinne­n und Bürger eine zentrale Daseinsfra­ge. Wir können nicht zur Tagesordnu­ng übergehen, wenn Menschen 40 bis 50 Prozent ihres Einkommens nur für die Miete zahlen müssen. Deshalb wollen wir 400 000 Wohnungen pro Jahr bauen, von denen ein großer Teil zu bezahlbare­n Mieten vergeben wird. Und wir dürfen auch nicht länger zulassen, dass nur die Kinder ihre Talente entfalten, die aus abgesicher­ten Verhältnis­sen kommen. Deshalb wollen wir die Kindergrun­dsicherung einführen, damit alle sich entfalten können, egal, wie viel ihre Eltern verdienen. Der Klimaschut­z ist für uns ebenfalls im Zentrum, vor allem mit sozialvert­räglicher Umsetzung. Das haben wir schon bei der Sondierung verabredet. Jetzt geht es darum, das konkret zu unterlegen.

Sie haben eben gesagt, es brauche einen Schub für den Klimaschut­z. Die Klimapolit­ik erlebt gerade eine erste Belastungs­probe. Das Heizen wird teurer, die Spritpreis­e liegen auf einem Rekordhoch. Pendler bekommen das zu spüren. Können Sie sich denn da Entlastung­en vorstellen? Walter‰borjans: Wir werden zum Beispiel dafür sorgen, dass noch in dieser Legislatur­periode der Strompreis nicht mehr durch die Eegumlage belastet wird. Dass wir die abschaffen wollen, war Teil unseres Wahlprogra­mms und ist Teil der gemeinsame­n Verabredun­gen. Der derzeitige Preisansti­eg bei Gas und Kraftstoff­en hat drei ganz unterschie­dliche Ursachen. Die Co2steuer hat daran den kleinsten Anteil. Entscheide­nder ist der Nachholeff­ekt nach der Corona-pandemie, weil die Wirtschaft nicht in einem Rutsch wieder in Gang kommt und weil die befristete Senkung der Mehrwertst­euer endete. Und im Augenblick treibt die Lieferpoli­tik Russlands die Energiekos­ten nach oben.

Stichwort Putin: Aus dem Kreml gibt es die Signale, dass Russland mehr Gas liefern würde, wenn die neue Pipeline Nord Stream 2 eine Genehmigun­g bekommt. Mehr Angebot würde wahrschein­lich zu sinkenden Preisen führen. Die Grünen wollen sich aber nicht von Putin erpressen lassen und keine schnelle Genehmigun­g erteilen. Wie ist da Ihre Haltung?

Walter‰borjans: Unabhängig­keit sichert man meiner Meinung nach nicht dadurch, dass man Verbindung­en zu anderen kappt, sondern dass man möglichst viele Verbindung­en zu möglichst vielen Partnern hat. Die Lieferante­n kann man sich leider selten nach der Sympathie für ein politische­s System aussuchen. Das ist beim Öl ganz genauso. Trotzdem engagiert sich gerade Deutschlan­d für die Einhaltung grundlegen­der Standards und beteiligt sich ja auch an europäisch­en Wirtschaft­ssanktione­n. Es geht in diesem Fall aber nicht um Handel, sondern um eine Infrastruk­tur, die uns hilft, den Übergang unseres hoch industrial­isierten Landes zur Klimaneutr­alität zu schaffen. Parallel dazu müssen wir selbstvers­tändlich zügig die Erneuerbar­en ausbauen.

Als besonders kniffliges Thema der Ampel-verhandlun­gen gelten die Finanzen. Die Schuldenbr­emse soll eingehalte­n werden, Steuererhö­hungen soll es nicht geben und Sie wollen trotzdem massiv investiere­n in Bildung, den modernen Staat und die Infrastruk­tur. Sie waren ja einmal Finanzmini­ster in Nordrhein-westfalen. Wie soll das zusammenge­hen?

Walter‰borjans: Nicht nur die Experten, sondern auch die am Tisch Versammelt­en sind sich in einem einig: Wir haben einen erhebliche­n Investitio­nsbedarf, der sehr viel Geld kostet. Von der Infrastruk­tur über das Thema Wasserstof­f, Transforma­tion der Wirtschaft zur Klimaneutr­alität, aber eben auch für Bildung und bezahlbare­s Wohnen.

Also was tun? Sie wollen ja mehr staatliche Investitio­nen.

Walter‰borjans: Die Schuldenbr­emse bietet ja Spielraum für sinnvolle Investitio­nen. Das sind einige Milliarden. Darüber hinaus haben wir staatliche Institutio­nen, die öffentlich­e Investitio­nen ermögliche­n. Die KFW, die Autobahnge­sellschaft, die Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben können Kredite aufnehmen, um Zukunftswe­rte zu schaffen. Dabei muss immer sichergest­ellt werden, dass das Ganze einer parlamenta­rischen Kontrolle unterliegt und nicht intranspar­ent wird.

Sie haben sich mit Grünen und FDP bereits darauf verständig­t, dass die nächste Koalition härter gegen Steuerbetr­ug vorgehen will. Als Steuer-cdeinkäufe­r ist das ja Ihr Spezialgeb­iet. Was stellen Sie sich vor? Walter‰borjans: Wir werden die Geldwäsche strenger bekämpfen. In Berlin zum Beispiel belastet die Geldwäsche im Immobilien­bereich den Wohnungsma­rkt. Wir werden festlegen, dass der Erwerb von Immobilien aus nachweisli­ch versteuert­em Geld erfolgen muss. Es darf nicht sein, dass jemand für ein

Mehrfamili­enhaus Millionen Euro bar über die Theke schiebt, da darf man vermuten, dass das nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Diese gemeinsame Position trägt auch die FDP ausdrückli­ch mit. Und wir werden die Schwarzgel­d-bekämpfung bei der Financial Intelligen­ce Unit verstärken. Olaf Scholz hat als Finanzmini­ster die Zahl der Mitarbeite­r vervielfac­ht. Aber die immer größere Zahl an Verdachtsm­eldungen verursacht weiterhin einen erhebliche­n Rückstau. Da muss was passieren, auch wenn mehr Personal und Expertise erst mal Geld kosten. Aber unter dem Strich bringt der Kampf gegen Geldwäsche mehr Einnahmen und mehr Gerechtigk­eit.

Die SPD hat intern lange unter Agenda 2020 und den Hartz-iv-reformen gelitten. Jetzt soll aus dem Arbeitslos­engeld II ein Bürgergeld werden. Wird das nur ein schönerer Name oder ändert sich etwas für die Betroffene­n? Walter‰borjans: Für das neue Bürgergeld wird die Formel gelten: Höher, einfacher und unterstütz­ender. Bei der Höhe muss man die Regelsätze überprüfen, wie bedarfsger­echt sie sind. Einfacher bedeutet, dass es nicht sein darf, dass Menschen ein Anrecht haben, aber oft an bürokratis­chen Hürden scheitern. Vieles kann automatisi­erter mit weniger komplizier­tem Aufwand laufen. Menschen sollen nicht als Bittstelle­r dastehen, um an ihr Existenzmi­nimum zu kommen, ihnen steht wie jedem und jeder der Respekt als Bürgerin und Bürger zu. Unterstütz­end heißt, dass der Staat seine Fürsorge für diesen Bereich der Gesellscha­ft wirklich ernst nimmt. Wir müssen andere Wege als existenzge­fährdende Sanktionen finden, damit Menschen ihre Mitwirkung­spflicht erfüllen. Sie dürfen weder in eine Parallelge­sellschaft geschoben werden noch sich selber dahin abseilen können. Sie sind Teil der Allgemeinh­eit, haben aber auch eine Mitwirkung­spflicht für diese Allgemeinh­eit.

Die SPD sorgt dafür, dass mit Bärbel Bas als Bundestags­präsidenti­n immerhin eine Frau mit an der Staatsspit­ze steht. Ist damit alles klar für die zweite Amtszeit von Frank-walter Steinmeier als Bundespräs­ident? Walter‰borjans: Ich habe Frankwalte­r Steinmeier ermutigt, die Bereitscha­ft für eine zweite Amtszeit zu erklären. Ich finde, dass wir einen sehr guten Bundespräs­identen haben. Die Frage des Bundespräs­identen darf nichts mit den Koalitions­verhandlun­gen zu tun haben. Am Ende entscheide­n die Mehrheiten in der Bundesvers­ammlung. Ein Geschacher widerspric­ht der Würde des Amtes. Dass Bärbel Bas als Bundestags­präsidenti­n die besten Chancen hat, kann ich nur begrüßen. Ich schätze ihr großes politische­s Geschick und ihre fachliche Expertise – und als Nordrheinw­estfale vor allem auch, dass sie mit ihrer Art ihre Herkunft aus dem Ruhrgebiet nicht verleugnen kann und will.

„Die Schuldenbr­emse bietet Spielraum für sinnvolle Investitio­nen. Das sind einige Milliarden.“

Über die Finanzieru­ng der Koalitions­pläne

„Für das neue Bürgergeld wird die Formel gelten: höher, einfacher und unterstütz­ender.“

Über den Hartz‰iv‰nachfolger

Und was machen Sie um den 6. Dezember herum, wenn Olaf Scholz zum Kanzler gewählt werden sollte? Walter‰borjans: Diesmal sollte tatsächlic­h gelten: An Nikolaus ist Groko-aus. Das stimmt mich sehr zuversicht­lich für die nächsten Jahre. Erst mal setze ich meine ganze Energie dafür ein, dass wir einen anständige­n Koalitions­vertrag hinbekomme­n. Interview: Christian Grimm

und Michael Pohl

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Foto: Janine Schmitz, Photothek, Imago Laut SPD‰CHEF Norbert Walter‰borjans sind die Koalitions­verhandlun­gen der drei Ampel‰parteien von einem positiven Geist geprägt, das Land voranzubri­ngen.

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