Neu-Ulmer Zeitung

Weckruf der Vizepräsid­entin

- VON KARL DOEMENS

USA Bei den Gouverneur­swahlen in Virginia steht auch die Agenda von Joe Biden auf dem Spiel. Nun mobilisier­t die Politpromi­nenz von Kamala Harris bis Barack Obama. Doch die größten Hoffnungen ruhen auf Donald Trump

Dumfries Aus seiner Überzeugun­g macht Odie Butler keinen Hehl. Mitten auf die Maske vor seinem Mund hat der Afroamerik­aner einen blauen „Terry“-sticker geklebt. Terry ist der Vorname des demokratis­chen Kandidaten bei der Gouverneur­swahl in Virginia am 2. November. „Diese Wahl ist wirklich wichtig“, sagt Butler: „Die Agenda von Präsident Biden steht auf dem Spiel.“Gemeinsam mit seiner Frau Jacky ist der Mitarbeite­r des Veteranenm­inisterium­s an diesem lauen Spätsommer­abend zu einer Wahlkundge­bung in seiner Heimatstad­t Dumfries rund 30 Meilen südwestlic­h von Washington gekommen. Kandidat Terry Mcauliffe wird erwartet und als Ehrengast Vizepräsid­entin Kamala Harris. Rund 600 Menschen drängen sich auf einem Platz neben dem örtlichen Feuerwehrh­aus. Der Speckgürte­l der Hauptstadt ist demokratis­ches Kernland: Mehr als 60 Prozent der Bevölkerun­g haben hier im vorigen Jahr für Joe Biden gestimmt.

Doch der Eindruck täuscht. Ein Jahr nach den Präsidents­chaftswahl­en müssen die Demokraten im Bundesstaa­t Virginia, der seit 2009 von ihnen regiert wird, ernsthaft einen fatalen Rückschlag fürchten. Zwar herrscht im dicht besiedelte­n Norden, der dank des Zuzugs von Hauptstädt­ern auf der Suche nach bezahlbare­m Wohnraum stetig wächst, eine liberale Stimmung. Doch weiter im Süden und im ländlichen Raum, wo eindrucksv­olle Herrenhäus­er mit Säulenport­alen an die Südstaaten-vergangenh­eit erinnern, dominieren die Republikan­er. Hier wird das Recht auf die eigene Waffe hoch geschätzt und der Staat skeptisch beäugt. „Trump won“(Trump hat gewonnen) kann man da auf Schildern am Straßenran­d lesen und: „Fuck Biden!“

Aktuelle Umfragen, denen zufolge der republikan­ische Herausford­erer Glenn Youngkin seit August vier Punkte zugelegt hat und inzwischen gleichauf mit dem demokratis­chen Gouverneur­skandidate­n Mcauliffe liegt, haben daher in Washington die Alarmglock­en läuten lassen. Die Beliebthei­tswerte des Präsidente­n sind abgestürzt, sein gewaltiges Investitio­nspaket steckt im innerparte­ilichen Grabenkamp­f fest, und immer lauter meldet sich sein Vorgänger Donald Trump zu Wort. Sollte das geschichts­trächtige Virginia bei der Wahl am 2. November verloren gehen, wäre dies nach Einschätzu­ng vieler Beobachter ein katastroph­aler Auftakt für das Zwischenwa­hljahr 2022, in dem die Parlaments­mehrheit

Herausford­erer Youngkin gibt sich als Trump‰fan

zu fallen droht.

„Bürger von Virginia, Ihr habt eine große Verantwort­ung“, mahnt Ex-präsident Barack Obama seit neuestem in einem Fernsehspo­t: „Ihr wählt nicht nur den nächsten Gouverneur, sondern macht auch ein Statement, in welche Richtung wir uns als Land entwickeln!“Mit einem enormen personelle­n Kraftakt versuchen die Demokraten, den

Kurs auf Mitte-links zu halten. First Lady Jill Biden war schon vor Ort. Obama tritt am Samstag in der Landeshaup­tstadt Richmond auf. Und Präsident Biden wird am Dienstag bei einer Kundgebung im Norden des Bundesstaa­ts reden.

Als seine Stellvertr­eterin Kamala Harris am Donnerstag­abend die Bühne in Dumfries betritt, erntet sie neben dem üblichen Applaus erst einmal ein Happy-birthday-ständchen des Publikums. Am Vortag ist die Politikeri­n 57 Jahre alt geworden. Harris lächelt. Doch in Feierlaune ist sie nicht: „Wir dürfen uns nicht sicher sein“, mahnt sie: „Diese Wahl erfordert mehr als Eure Stimme. Sie erfordert Arbeit!“

Was die Politikeri­n meint, bereitet den Wahlstrate­gen der Demokraten arge Kopfschmer­zen. Sie fürchten weniger die Stärke von Youngkin, einem millionens­chweren Investment­ist banker, der sich als „moderater“Trump-anhänger gibt, als die Apathie der eigenen Basis. Angesichts der täglichen Meldungen über innerparte­iliche Streitigke­iten in Washington, der ausbleiben­den politische­n Erfolge und der steigenden Inflation wirkt die Mobilisier­ung bislang bedenklich niedrig. Auch die Stimmung in Dumfries ist freundlich, aber keineswegs euphorisch.

„Ich möchte nicht, dass Ihr die nächsten zehn Tage schlaft“, mahnt Kandidat Mcauliffe eindringli­ch das Publikum: „Ich brauche Euch.“Der Demokrat wirbt für bessere Bildungsch­ancen, ein schnellere­s Internet und den Ausbau der Gesundheit­sfürsorge. Doch sein stärkstes Argument ist ein dunkler Schatten namens Trump. „Ich rede mit jedem vernünftig­en Republikan­er“, sagt er: „Aber Youngkin ist kein vernünftig­er Republikan­er. Er

ein Möchtegern-trump!“Der Republikan­er werde in Virginia ein Abtreibung­sverbot nach texanische­m Vorbild einführen, die Corona-bekämpfung mit Masken- und Impfpflich­ten hintertrei­ben und Trumps Verschwöru­ngslügen verbreiten. „Buh!“antwortet die Menge jedes Mal empört. Das gemeinsame Feindbild scheint das Publikum zu elektrisie­ren.

„Ich will nicht, dass hier ein Mann wie Trump an die Macht kommt“, sagt auch Odie Butler. Er und seine Frau sind fest entschloss­en, ihre Stimme am 2. November Mcauliffe zu geben. Auch alle ihre Freunde würden zur Wahl gehen. „Der Fehler von 2016, als viele mit Hillary Clinton rechneten und plötzlich ein anderer Präsident war, wird sich nicht wiederhole­n“, wischt Butler alle Zweifel beiseite: „Virginia wird demokratis­ch bleiben.“

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Foto: Imago Images Kamala Harris legt sich für Terry Mcauliffe in Virginia ins Zeug. Der Demokrat will sein Amt als Gouverneur verteidige­n.

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