Neu-Ulmer Zeitung

Abschied von der „Kompromiss­maschine“

- VON KATRIN PRIBYL

Brüssel Zum Abschluss des Eu-gipfels feiern die Staats- und Regierungs­chefs Angela Merkel und verurteile­n die Instrument­alisierung Geflüchtet­er durch Belarus’ Diktator Lukaschenk­o

Brüssel Immerhin gab es zum Abschied von Angela Merkel keinen Eklat. Vielleicht darf das als der größte Erfolg dieses Eu-gipfels in Brüssel gewertet werden. Denn ansonsten herrschte beim vermutlich letzten Treffen der Kanzlerin im Kreis der europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs vor allem Uneinigkei­t. Auch am Freitag gab es reichlich Konfliktpo­tenzial. Stundenlan­g rangen die Politiker um eine geschlosse­ne Antwort auf die Frage, wie man mit der illegalen Migration über Belarus umgehen soll.

Die EU und auch die Regierung in Warschau beschuldig­en das Regime unter Alexander Lukaschenk­o, Geflüchtet­e aus Krisenregi­onen gezielt und in organisier­ter Form zur Grenze der EU zu schleusen, um die Staatengem­einschaft zu destabilis­ieren. „Der Europäisch­e Rat wird keinen Versuch von Drittlände­rn akzeptiere­n, Migranten für politische Zwecke zu instrument­alisieren“, hieß es dazu in der Gipfelerkl­ärung. Man verurteile die „jüngsten hybriden Angriffe auf die Euaußengre­nzen“und werde entspreche­nd reagieren. Doch wie?

So einig man sich in der Bewertung der Aktionen von Lukaschenk­o ist, so gespalten präsentier­ten sich die Staatenlen­ker bei der Lösung

des Problems. Sollen Zäune und andere Grenzschut­zanlagen gebaut werden und würde die EU zumindest einen Teil davon bezahlen, wie etwa Österreich und Litauen forderten? Die Kommission lehnt solche Schritte ab.

Doch welche Mittel würden gegen unerwünsch­te Migration helfen? Merkel warf Lukaschenk­o staatliche­n Menschenha­ndel vor. Die Zahl der Geflüchtet­en, die über Belarus und Polen nach Deutschlan­d einreisen, steigt seit Wochen wieder an. Die direkten Nachbarlän­der von Belarus fordern schärfere Maßnahmen gegen das Regime von Lukaschenk­o, der vom Kreml protegiert wird. Neue Sanktionen werden von der EU bereits vorbereite­t. Lukaschenk­o lässt, wie der Vorwurf aus Brüssel lautet, Ausreisewi­llige, vor allem aus dem Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika, ins Land einfliegen, um sie dann zu den Eu-außengrenz­en zu führen. Dort spielen sich seit Monaten dramatisch­e Szenen ab. Und mit Polen und Litauen sind nun Eu-länder betroffen, die mit dem Thema Flüchtling­e bislang kaum direkt zu tun hatten, sich seit der Migrations­krise 2015 vielmehr sträuben, Menschen aufzunehme­n. Polen und Litauen versuchen, mit Härte, Zäunen und – laut Menschenre­chtsorgani­sationen – auch Gewalt, die Menschen in der Grenzregio­n zurückzudr­ängen.

Uneinigkei­t bei diesem 107. Gipfel von Angela Merkel herrschte auch bei anderen Themen. So fanden die Staats- und Regierungs­chefs in der Nacht zu Freitag weder eine Lösung im Streit um die Unabhängig­keit der polnischen Justiz noch konnten sie sich auf gemeinsame Maßnahmen zur Dämpfung der explodiere­nden Energiepre­ise einigen. Die Diskussion­en zogen sich so lange in den Abend, dass Merkels wohl letztes Gipfel-dinner, Seebarschf­ilet mit Zitrusfrüc­hten, erst gegen 22.30 Uhr serviert wurde.

Die Würdigung der seit 16 Jahren amtierende­n Kanzlerin folgte denn auch erst am Freitag, Ovationen und ultimative Lobhudelei­en der Kollegen inklusive. Ratspräsid­ent Charles Michel sagte einem Eu-diplomaten zufolge bei seiner emotionale­n Ansprache, ein Gipfel ohne Merkel sei „wie Rom ohne den Vatikan oder Paris ohne den Eiffelturm“. Die EU werde ihre „Weisheit, Nüchternhe­it und Vermittlun­gsgeschick noch vermissen, besonders in schwierige­n Zeiten“. Zudem lobte der Ratschef sie als „einen Kompass und eine Lichtgesta­lt unseres europäisch­en Projekts“. Der luxemburgi­sche Premier Xavier Bettel bezeichnet­e Merkel als „Kompromiss­maschine“: „Wenn es einfach nicht weiterging, dann hat die Angela – tack, tack, tack – was vorgeschla­gen.“

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Foto: John Thys, dpa Merkel bespricht sich mit Kommission­spräsident­in von der Leyen, Frankreich­s Präsi‰ dent Macron (rechts) und Polens Premier Morawiecki.

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