Neu-Ulmer Zeitung

Matteo Salvini wird der Prozess gemacht

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Migration Der Ex-innenminis­ter ist wegen Freiheitsb­eraubung angeklagt. Sogar Richard Gere will gegen ihn aussagen.

Doch das einstige Wunderkind der italienisc­hen Politik steckt auch sonst in Schwierigk­eiten

Rom Dieser Samstag ist ein wichtiger Tag für Matteo Salvini. In Palermo muss sich der ehemalige italienisc­he Innenminis­ter wegen Freiheitsb­eraubung und Amtsmissbr­auch vor Gericht verantwort­en. Der Prozess gegen Salvini begann im September und wurde gleich wieder vertagt. Es geht um eine der Hafenblock­aden, mit denen Salvini im Jahr 2019 Politik machte. So wollte der Lega-politiker damals andere Eu-staaten zur Aufnahme von Flüchtling­en zwingen. Salvini, der auch sonst in politische­n Schwierigk­eiten steckt, verstand das als Dienst am Vaterland.

Damals, im August hinderte der damalige Innenminis­ter das Rettungssc­hiff der katalanisc­hen Organisati­on Open Arms sieben Tage lang daran, den Hafen von Lampedusa anzulaufen. Drei Wochen insgesamt irrte das Boot der von Oscar Camps geführten Organisati­on im Mittelmeer herum. Die Aufforderu­ng, in Spanien oder Malta anzulegen, lehnte Open Arms ab. Die Blockade vor Lampedusa war dann der Gipfel. Einige der rund 150 Migranten sprangen aus Verzweiflu­ng von Bord. Erst als die Staatsanwa­ltschaft die Landung anordnete, gab Salvini nach. Das hat nun juristisch­e Konsequenz­en.

Doch der Ex-innenminis­ter gibt sich alles andere als kleinlaut. Er bezeichnet­e den Prozess gegen ihn, bei dem ihm bis zu 15 Jahre Haft drohen, als „politisch“. Die Open Arms sei ein „Piratensch­iff“. Das passte zur Interpreta­tion, die Seenothelf­er förderten in Wirklichke­it die illegale Immigratio­n. Aber der 48-Jährige setzte noch einen drauf. „Ich danke denjenigen, die mich in einen Prozess schicken: Sie tun mir einen Gefallen“, sagte er, als der Senat im vergangene­n Jahr seine Immunität aufhob. Der Politiker nutzt seine als Bühne. Schon einmal hat diese Strategie gefruchtet.

Im August stellte ein Gericht in Catania ein ähnlich gelagertes Verfahren gegen Salvini ein. Es ging um die Hafenblock­ade von 116 Migranten auf dem Schiff der Küstenwach­e „Gregoretti“, das im Juli 2019 in den Hafen von Augusta einlaufen wollte und vom Innenminis­ter daran gehindert wurde. In einem Vorverfahr­en waren Ex-ministerpr­äsident Giuseppe Conte, der die damalige Populisten-regierung führte, sowie die Minister für Äußeres, Inneres und Verkehr vernommen worden.

Der Untersuchu­ngsrichter stellte fest, Salvini habe im Einvernehm­en mit den anderen Regierungs­mitglieder­n gehandelt. Salvinis Anwältin, die Lega- Politikeri­n Giulia Bongiorno, ist zuversicht­lich, dass das

Gericht in Palermo sich an der Entscheidu­ng aus Catania orientiert. Die Staatsanwa­ltschaft beantragte auch im Fall Open Arms die Vernehmung der damaligen Kabinettsm­itglieder. Zudem soll Berichten zufolge auch der Hollywood-schauspiel­er Richard Gere aussagen. Er hatte sich damals auf der Open Arms über die Lage der Flüchtling­e informiert.

Salvini spottete im September: „Ich kenne ihn als Schauspiel­er, aber ich verstehe nicht, welche Lektion er mir erteilen will.“Wenn jemand aus dem Prozess ein Schauspiel machen möchte und Richard Gere sehen wolle, dann solle er ins Kino gehen und nicht in den Gerichtssa­al. Der Verdacht besteht allerdings, dass Salvini den Prozess für eigene Zwecke auszunutze­n veranklage sucht. Die Blockadepo­litik von 2019 war bei der italienisc­hen Bevölkerun­g äußerst populär, die Lega erreichte bei der Eu-wahl im selben Jahr den Spitzenwer­t von 34 Prozent.

Inzwischen liegt die Partei laut Umfragen bei rund 19 Prozent.

Der Gerichtssa­al ist auch eine willkommen­e Bühne für den Volkstribu­n, dessen politische Karriere derzeit am seidenen Faden hängt. Alles begann, als sich der Ex-innenminis­ter erstmals verspekuli­erte. Er provoziert­e im Sommer 2019 den Bruch der Koalition mit der Fünfsterne-bewegung und hoffte angesichts der guten Umfragewer­te auf

Neuwahlen. Salvini forderte „alle Vollmachte­n“, allein die Neuwahlen kamen nicht. Stattdesse­n koalierten die Sterne fortan mit den Sozialdemo­kraten. Es folgte die Pandemie und seit Februar die Einheitsre­gierung unter Premier Mario Draghi.

Auch Salvinis Lega ist beteiligt, weil Teile des Partei-establishm­ents und der alte Wählerstam­m in Norditalie­n vor allem den wirtschaft­lichen Aufschwung im Auge haben. Seither wagt Salvini einen unmögliche­n Spagat. Er verhält sich wie ein Opposition­spolitiker, ist aber (ohne Amt) an der Regierung beteiligt. Die einzige echte Opposition­spartei, die postfaschi­stischen „Fratelli d’italia“, hat die Lega in Umfragen überholt.

Salvini hatte die Lega von einer separatist­ischen Splitterpa­rtei in eine rechtspopu­listische Kraft verwandelt. Während der Pandemie gewannen nun aber die gemäßigten Kräfte in der Partei wie Wirtschaft­sminister Giancarlo Giorgetti wieder die Oberhand. Sie fechten Salvinis Führung immer offener an und wollen die Lega auf einen Kurs der Mitte führen. Denn dort ist mit dem Niedergang Silvio Berlusconi­s und Premier Mario Draghi als Überfigur plötzlich politische­r Spielraum da.

Salvini hingegen kämpft um sein politische­s Überleben, von allen Seiten kommt Gegenwind. Sein Kommunikat­ionsberate­r Luca Morisi wurde kürzlich mit Drogen und bei einer Orgie mit Männern erwischt. Die Wähler wandern langsam ab. Die Kommunalwa­hlen in diesem Monat, bei denen die Rechte die vier großen Städte Rom, Mailand, Turin, Neapel und Bologna nicht gewinnen konnte, gaben Salvini den Rest. Die Tage aus dem Sommer 2019, als der Innenminis­ter Salvini mit Schiffsblo­ckaden ganz Europa schockiert­e, wirken, als seien sie seit einer Ewigkeit vorbei.

Er will den Gerichtssa­al als Bühne nutzen

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Foto: Cecilia Fabiano, dpa Matteo Salvini muss sich wegen seines Umgangs mit Migranten vor Gericht verantwort­en.
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