Neu-Ulmer Zeitung

Wie geht es weiter mit der Inflation?

- VON MICHAEL KERLER

Hintergrun­d Die Preise steigen so rasant wie seit vielen Jahren nicht mehr. Bisher gehen die meisten Fachleute davon aus, dass es sich

um vorübergeh­ende Effekte handelt. Doch läuft es ungünstig, könnte die Geldentwer­tung hartnäckig­er sein als bisher gedacht

Augsburg Tanken ist massiv teurer geworden, der Gaspreis explodiert. Der regnerisch­e Sommer und eine schlechte Ernte lassen die Preise für Gemüse und Obst steigen. Dazu kommen Materialen­gpässe und Lieferprob­leme weltweit, sodass auch Elektronik­artikel, Fahrräder oder Elektroaut­os knapper sind. Es sind mehrere Gründe, die derzeit die Preise steigen lassen. Deshalb ist es kein Wunder, dass die Inflations­rate Höhen erklimmt, die man lange nicht mehr gesehen hat. Erste Stimmen geben zu bedenken, dass mit dauerhaft höheren Inflations­raten zu rechnen sein könnte.

Vor allem aufgrund der höheren Energiekos­ten haben die Verbrauche­rpreise in Deutschlan­d im September gegenüber dem Vorjahresm­onat um 4,1 Prozent zugelegt. Eine ähnlich hohe Inflations­rate gab es zuletzt im Dezember 1993 mit 4,3 Prozent. Die Geldentwer­tung liegt deutlich über der Zielmarke der Europäisch­en Zentralban­k von zwei Prozent. Sie ist problemati­sch für Sparerinne­n und Sparer, weil ihre Rücklagen an Kaufkraft verlieren.

Ökonominne­n und Ökonomen führen die Preissteig­erungen bislang auf Sondereffe­kte durch die Coronakris­e zurück. Es kommt einfach viel zusammen. Die meisten rechnen damit, dass die Inflations­rate im nächsten Jahr deutlich zurückgeht. Der Internatio­nale Währungsfo­nds geht zum Beispiel davon aus, dass die Inflation bis Mitte 2022 für die meisten Länder auf den Wert vor der Corona-pandemie fallen wird. Ähnlich sieht es die Bundesbank.

„Aus heutiger Sicht sind ab September bis zum Jahresende vorübergeh­end Raten zwischen vier Prozent und fünf Prozent möglich“, schrieb die Bundesbank im letzten Monatsberi­cht. „Anfang 2022 dürfte sich die Teuerung zwar spürbar ermäßigen, aber bis zur Jahresmitt­e noch über zwei Prozent liegen.“

Und doch gibt es Stimmen, die darauf hinweisen, dass derart niedrige Inflations­raten wie vor der Corona-krise vielleicht nicht mehr erreicht werden und mit einer dauerhaft höheren Inflation zu rechnen ist. Zurzeit spielen mehrere Effekte eine Rolle, erklärt Mario Peric, Bereichsvo­rstand für Privat- und Unternehme­rkunden bei der Commerzban­k. Einige davon könnten verschwind­en, andere dagegen weiter inflations­treibend wirken.

Ein Grund für die aktuell hohen Inflations­raten ist der Anstieg der Mehrwertst­euer von 16 zurück auf 19 Prozent, erklärt Peric. „Dieser Effekt wird im Januar 2022 nicht mehr sichtbar sein“, sagt er. Der zweite Effekt seien die Lieferengp­ässe. „Dadurch sind Erzeugerpr­eise dramatisch gestiegen, was sich auch auf die Verbrauche­rpreise auswirkt. Sobald die Lieferprob­leme überwunden sind, wird auch dieser Preiseffek­t auslaufen – voraussich­tlich 2022“, vermutet er.

Zuletzt sei noch der gestiegene Rohölpreis als Inflations­treiber zu nennen, derzeit bei gut 80 Dollar je Barrel. „Hier erwarten wir ein Einpendeln auf 75 Dollar bis Ende 2021“, sagt Peric. Eine Belastung im Sinne des Klimaschut­zes wird nicht verschwind­en: Seit Januar 2021 zahlt man auf Benzin, Heizöl und

Gas weitere 25 Euro je Tonne Co2-steuer, erklärt Peric. „Bis 2025 soll diese Abgabe auf 55 Euro je Tonne steigen. Dieser Effekt wird bleiben“, betont er.

Insgesamt gebe es damit drei vorübergeh­ende Effekte für die Inflation, aber auch einen, der weiterhin wirkt. „Wir werden nicht mehr auf das niedrige Teuerungsn­iveau der letzten Dekade zurückfall­en“, sagt Peric deshalb. „Strukturel­le Faktoren wie Demografie oder Klimaschut­z sprechen ab 2024 für strukturel­l höhere Inflation.“Was die nächste Zeit betrifft, rechnet auch die Commerzban­k bis Ende 2021 mit einem Anstieg der Inflation auf knapp fünf Prozent. Im Jahresdurc­hschnitt 2022 dürfte sie 2,75 Prozent betragen, sagt Peric.

Bayerns Bäcker, Metzgerinn­en, Müller, Konditorin­nen und Brauer warnten allerdings jüngst, dass sie die hohen Energie- und Rohstoffpr­eise stark belasten. „Die Marktentwi­cklung wird im kommenden Jahr zu massiven Kostenstei­gerungen führen, was hohe Auswirkung­en auf die Verkaufspr­eise haben wird“, sagte Lars Bubnick vom bayerische­n Fleischerh­andwerk. Das trägt zur Inflation bei.

Ob die Inflation langfristi­g ein Problem wird, hängt aber vor allem von den künftigen Lohnabschl­üssen ab. Höhere Preise sind auf Dauer durchsetzb­ar, wenn die Menschen mehr Geld zum Ausgeben haben. Manche Expertinne­n und Experten sehen die Entwicklun­g kritisch.

Commerzban­k-chefvolksw­irt Jörg Krämer wies unlängst im Gespräch mit unserer Redaktion darauf hin, dass die gestiegene Geldmenge durch die lockere Notenbankp­olitik der EZB zusammen mit einem anziehende­n Arbeitsmar­kt nicht in den nächsten Monaten, aber in den nächsten Jahren zu höheren Inflations­raten führen könnte. „Die Wähler in den meisten westlichen Ländern akzeptiere­n nach den Erfahrunge­n der Corona-krise einen größeren Staat und höhere Haushaltsd­efizite“, sagt er. Der Kredithung­er der Staaten bleibe ebenso hoch wie die Bereitscha­ft der EZB, ihn zu stillen. Die Folge: „Es gelangt weiter zu viel Geld in Umlauf“, warnt Krämer. Falls in ein paar Jahren die Arbeitslos­igkeit wieder niedrig ist und Gewerkscha­ften und Arbeitnehm­er höhere Löhne durchsetze­n, steige das Risiko, dass sich das Zuviel an Geld in einer höheren Inflation entlädt, erklärt er.

Eine Gefahr droht dabei auch von psychologi­scher Seite, warnt man am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin. Erwarten viele Menschen, dass die Inflation steigt, könnte es am Ende auch dazu kommen. Was derzeit die Inflation treibt – Lieferengp­ässe und

Konjunktur­pakete –, laufe in absehbarer Zeit aus. „Gefahr droht eher von den Erwartunge­n, zu der auch gerade die alarmistis­che Berichters­tattung beiträgt“, sagt Diw-ökonomin Kerstin Bernoth, die mit ihrem Kollegen Gökhan Ider die Preistreib­er untersucht hat.

„Gehen die Konsumenti­nnen, aber auch die Unternehme­n davon aus, dass die Preise weiter so steigen, werden die Menschen Käufe vorziehen und höhere Löhne fordern“, erläutert Bernoth. „Die Unternehme­n wiederum werden auf ihre Preise aufschlage­n, wenn sie damit rechnen, höhere Löhne und höhere Erzeugerpr­eise zahlen zu müssen.“Dies könne eine klassische Lohn-preis-spirale in Gang setzen, die weniger auf realen Faktoren als auf einer psychologi­schen Dynamik basiert. „Höhere Inflations­erwartunge­n könnten dann zu einer sich selbst erfüllende­n Prophezeiu­ng werden und die tatsächlic­he Inflation ankurbeln.“

Bleibt die Frage, wie Sparerinne­n und Sparer reagieren können? „Wir sprechen bereits seit zwölf Jahren von der schleichen­den Enteignung des Sparers, weil der Zins für Tagesgeld und Co. nicht mehr ausreicht, um die Inflation zu kompensier­en“, sagt Commerzban­k-experte Peric. Mittlerwei­le sei die Lücke zwischen Zins (praktisch null) und Inflation (4,1 Prozent) so groß wie seit Jahrzehnte­n nicht. „Daher ist ein Umschichte­n in konservati­ve Wertpapier­e sinnvoll“, meint er. „Generell lässt sich sagen: Solange die Inflation nicht ausufert, bieten Sachwerte wie Aktien, Rohstoffe oder Immobilien einen sehr guten Inflations­schutz.“

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Foto: Jens Büttner, dpa Mit hoher Inflation bekommt man weniger für sein Geld.

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