Wie geht es weiter mit der Inflation?
Hintergrund Die Preise steigen so rasant wie seit vielen Jahren nicht mehr. Bisher gehen die meisten Fachleute davon aus, dass es sich
um vorübergehende Effekte handelt. Doch läuft es ungünstig, könnte die Geldentwertung hartnäckiger sein als bisher gedacht
Augsburg Tanken ist massiv teurer geworden, der Gaspreis explodiert. Der regnerische Sommer und eine schlechte Ernte lassen die Preise für Gemüse und Obst steigen. Dazu kommen Materialengpässe und Lieferprobleme weltweit, sodass auch Elektronikartikel, Fahrräder oder Elektroautos knapper sind. Es sind mehrere Gründe, die derzeit die Preise steigen lassen. Deshalb ist es kein Wunder, dass die Inflationsrate Höhen erklimmt, die man lange nicht mehr gesehen hat. Erste Stimmen geben zu bedenken, dass mit dauerhaft höheren Inflationsraten zu rechnen sein könnte.
Vor allem aufgrund der höheren Energiekosten haben die Verbraucherpreise in Deutschland im September gegenüber dem Vorjahresmonat um 4,1 Prozent zugelegt. Eine ähnlich hohe Inflationsrate gab es zuletzt im Dezember 1993 mit 4,3 Prozent. Die Geldentwertung liegt deutlich über der Zielmarke der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent. Sie ist problematisch für Sparerinnen und Sparer, weil ihre Rücklagen an Kaufkraft verlieren.
Ökonominnen und Ökonomen führen die Preissteigerungen bislang auf Sondereffekte durch die Coronakrise zurück. Es kommt einfach viel zusammen. Die meisten rechnen damit, dass die Inflationsrate im nächsten Jahr deutlich zurückgeht. Der Internationale Währungsfonds geht zum Beispiel davon aus, dass die Inflation bis Mitte 2022 für die meisten Länder auf den Wert vor der Corona-pandemie fallen wird. Ähnlich sieht es die Bundesbank.
„Aus heutiger Sicht sind ab September bis zum Jahresende vorübergehend Raten zwischen vier Prozent und fünf Prozent möglich“, schrieb die Bundesbank im letzten Monatsbericht. „Anfang 2022 dürfte sich die Teuerung zwar spürbar ermäßigen, aber bis zur Jahresmitte noch über zwei Prozent liegen.“
Und doch gibt es Stimmen, die darauf hinweisen, dass derart niedrige Inflationsraten wie vor der Corona-krise vielleicht nicht mehr erreicht werden und mit einer dauerhaft höheren Inflation zu rechnen ist. Zurzeit spielen mehrere Effekte eine Rolle, erklärt Mario Peric, Bereichsvorstand für Privat- und Unternehmerkunden bei der Commerzbank. Einige davon könnten verschwinden, andere dagegen weiter inflationstreibend wirken.
Ein Grund für die aktuell hohen Inflationsraten ist der Anstieg der Mehrwertsteuer von 16 zurück auf 19 Prozent, erklärt Peric. „Dieser Effekt wird im Januar 2022 nicht mehr sichtbar sein“, sagt er. Der zweite Effekt seien die Lieferengpässe. „Dadurch sind Erzeugerpreise dramatisch gestiegen, was sich auch auf die Verbraucherpreise auswirkt. Sobald die Lieferprobleme überwunden sind, wird auch dieser Preiseffekt auslaufen – voraussichtlich 2022“, vermutet er.
Zuletzt sei noch der gestiegene Rohölpreis als Inflationstreiber zu nennen, derzeit bei gut 80 Dollar je Barrel. „Hier erwarten wir ein Einpendeln auf 75 Dollar bis Ende 2021“, sagt Peric. Eine Belastung im Sinne des Klimaschutzes wird nicht verschwinden: Seit Januar 2021 zahlt man auf Benzin, Heizöl und
Gas weitere 25 Euro je Tonne Co2-steuer, erklärt Peric. „Bis 2025 soll diese Abgabe auf 55 Euro je Tonne steigen. Dieser Effekt wird bleiben“, betont er.
Insgesamt gebe es damit drei vorübergehende Effekte für die Inflation, aber auch einen, der weiterhin wirkt. „Wir werden nicht mehr auf das niedrige Teuerungsniveau der letzten Dekade zurückfallen“, sagt Peric deshalb. „Strukturelle Faktoren wie Demografie oder Klimaschutz sprechen ab 2024 für strukturell höhere Inflation.“Was die nächste Zeit betrifft, rechnet auch die Commerzbank bis Ende 2021 mit einem Anstieg der Inflation auf knapp fünf Prozent. Im Jahresdurchschnitt 2022 dürfte sie 2,75 Prozent betragen, sagt Peric.
Bayerns Bäcker, Metzgerinnen, Müller, Konditorinnen und Brauer warnten allerdings jüngst, dass sie die hohen Energie- und Rohstoffpreise stark belasten. „Die Marktentwicklung wird im kommenden Jahr zu massiven Kostensteigerungen führen, was hohe Auswirkungen auf die Verkaufspreise haben wird“, sagte Lars Bubnick vom bayerischen Fleischerhandwerk. Das trägt zur Inflation bei.
Ob die Inflation langfristig ein Problem wird, hängt aber vor allem von den künftigen Lohnabschlüssen ab. Höhere Preise sind auf Dauer durchsetzbar, wenn die Menschen mehr Geld zum Ausgeben haben. Manche Expertinnen und Experten sehen die Entwicklung kritisch.
Commerzbank-chefvolkswirt Jörg Krämer wies unlängst im Gespräch mit unserer Redaktion darauf hin, dass die gestiegene Geldmenge durch die lockere Notenbankpolitik der EZB zusammen mit einem anziehenden Arbeitsmarkt nicht in den nächsten Monaten, aber in den nächsten Jahren zu höheren Inflationsraten führen könnte. „Die Wähler in den meisten westlichen Ländern akzeptieren nach den Erfahrungen der Corona-krise einen größeren Staat und höhere Haushaltsdefizite“, sagt er. Der Kredithunger der Staaten bleibe ebenso hoch wie die Bereitschaft der EZB, ihn zu stillen. Die Folge: „Es gelangt weiter zu viel Geld in Umlauf“, warnt Krämer. Falls in ein paar Jahren die Arbeitslosigkeit wieder niedrig ist und Gewerkschaften und Arbeitnehmer höhere Löhne durchsetzen, steige das Risiko, dass sich das Zuviel an Geld in einer höheren Inflation entlädt, erklärt er.
Eine Gefahr droht dabei auch von psychologischer Seite, warnt man am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Erwarten viele Menschen, dass die Inflation steigt, könnte es am Ende auch dazu kommen. Was derzeit die Inflation treibt – Lieferengpässe und
Konjunkturpakete –, laufe in absehbarer Zeit aus. „Gefahr droht eher von den Erwartungen, zu der auch gerade die alarmistische Berichterstattung beiträgt“, sagt Diw-ökonomin Kerstin Bernoth, die mit ihrem Kollegen Gökhan Ider die Preistreiber untersucht hat.
„Gehen die Konsumentinnen, aber auch die Unternehmen davon aus, dass die Preise weiter so steigen, werden die Menschen Käufe vorziehen und höhere Löhne fordern“, erläutert Bernoth. „Die Unternehmen wiederum werden auf ihre Preise aufschlagen, wenn sie damit rechnen, höhere Löhne und höhere Erzeugerpreise zahlen zu müssen.“Dies könne eine klassische Lohn-preis-spirale in Gang setzen, die weniger auf realen Faktoren als auf einer psychologischen Dynamik basiert. „Höhere Inflationserwartungen könnten dann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden und die tatsächliche Inflation ankurbeln.“
Bleibt die Frage, wie Sparerinnen und Sparer reagieren können? „Wir sprechen bereits seit zwölf Jahren von der schleichenden Enteignung des Sparers, weil der Zins für Tagesgeld und Co. nicht mehr ausreicht, um die Inflation zu kompensieren“, sagt Commerzbank-experte Peric. Mittlerweile sei die Lücke zwischen Zins (praktisch null) und Inflation (4,1 Prozent) so groß wie seit Jahrzehnten nicht. „Daher ist ein Umschichten in konservative Wertpapiere sinnvoll“, meint er. „Generell lässt sich sagen: Solange die Inflation nicht ausufert, bieten Sachwerte wie Aktien, Rohstoffe oder Immobilien einen sehr guten Inflationsschutz.“