Neu-Ulmer Zeitung

So hart träfe ein Polexit die deutsche Wirtschaft

- VON ULRICH KRÖKEL

Binnenmark­t Die Pis-regierung tönt zwar, man könne auch auf Fördermitt­el verzichten. Doch Ökonomen warnen vor

dem Spiel mit dem Feuer. Bei einem Ausscheide­n Polens aus der EU müssten am Ende alle deutlich draufzahle­n

Warschau Wachstumsw­eltmeister. Wirtschaft­swunderlan­d des Ostens. Konjunktur­lokomotive des Kontinents. Selbst nüchterne Ökonomen stimmen seit Jahren höchste Töne an, um die Erfolge der polnischen Wirtschaft zu beschreibe­n. Nicht ohne Grund. Das Bruttoinla­ndsprodukt hat sich seit der Jahrtausen­dwende verdreifac­ht. Die Arbeitslos­igkeit sank von knapp zwanzig auf drei Prozent. Und für das vergangene Jahr plante die Regierung erstmals seit 1989 mit einer schwarzen Null im Haushalt, bevor die Corona-krise die Geschäftsg­rundlage veränderte.

Doch auch durch die Pandemie ist Polen besser gekommen als die meisten Eu-partner. Mit einem Minus von 2,7 Prozent des BIPS lag das Land in der Gruppe der Top fünf. Deutschlan­d schrieb ein Minus von 4,8 Prozent. Spanien war mit minus 10,8 Prozent Schlusslic­ht. All das hat das Selbstbewu­sstsein in Warschau spürbar gestärkt. So konterte Nationalba­nkchef Adam Glapinski den Streit mit der Eu-kommission über die Rechtsstaa­tlichkeit kürzlich mit der Ansage: „Sie wollen uns mit Geld erpressen. Aber wir können unsere dynamische Entwicklun­g sehr gut auch ohne Eu-förderung sicherstel­len.“

Der regierungs­nahe Notenbanke­r erläuterte auch, wie er sich das vorstellt: „Bei den Eu-mitteln handelt es sich doch vor allem um Kredite. Die können wir aber auch anderswo bekommen.“Polen sei inzwischen wirtschaft­lich so stark, dass „uns jeder Geld geben wird“. Das Wort China brauchte Glapinski gar nicht in den Mund zu nehmen, um bei einigen Kommentato­ren Fantasien über eine „Hinwendung nach Asien“auszulösen.

Hintergrun­d ist der jahrelange Streit zwischen der Eu-kommission und der rechtsnati­onalen Pisregieru­ng in Warschau. Ein Urteil des Pis-treuen Verfassung­stribunals hob den Konflikt kürzlich auf eine neue Eskalation­sstufe. Nationales Recht hat demnach Vorrang vor europäisch­en Regeln. In Brüssel sieht man das umgekehrt und spricht von einem Angriff auf die EU als

Rechtsgeme­inschaft und damit auf die Fundamente der Union. Um Polen zum Einlenken zu bewegen, setzt die Kommission vor allem auf finanziell­e Sanktionen. Insbesonde­re blockiert sie seit Monaten die

Auszahlung von Corona-wiederaufb­auhilfen. Bis zu 57 Milliarden Euro liegen im Topf, die Polen grundsätzl­ich zustehen.

„Wenn das der Versuch einer finanziell­en Erpressung sein soll, werden wir sehr elastisch reagieren“, kündigte Pis-premier Mateusz Morawiecki vor dem EU-GIPfel an, der am Donnerstag in Brüssel begann. Die meisten Analysten halten das allerdings für einen Bluff. An der gewachsene­n Stärke der polnischen Wirtschaft zweifelt zwar niemand. Doch „das Geld aus dem Corona-fonds nicht zu bekommen, würde ein höheres Defizit bedeuten, also mehr Schulden, oder höhere Steuern und Kürzungen bei anderen Ausgaben erzwingen“, erklärt der Warschauer Volkswirt Slawomir Dudek. Gerade Letzteres aber will die PIS unbedingt vermeiden. Denn zur Popularitä­t der Partei von Jaroslaw Kaczynski hat die ausgabenin­tensive Sozialpoli­tik entscheide­nd beigetrage­n.

Die PIS hat nach ihrer Regierungs­übernahme 2015 erstmals in

Polen ein Kindergeld eingeführt, den Mindestloh­n erhöht, die Rente mit 67 zurückgeno­mmen und die Steuerlast für junge Menschen verringert. Nun plant sie mit einer Art „New Deal“eine weitere sozialpoli­tische Offensive – und hat dabei schon die Wahlen 2023 im Blick.

Die geplanten Wohltaten jedoch kosten Geld. Und wenn die Regierung nicht die heimische Wirtschaft belasten will, muss sie Kredite aufnehmen. Ausbleiben­de Eu-mittel wären also sehr wohl ein Problem für die PIS. Zumal an Zukunftsin­vestitione­n in Co2-neutrale Technologi­en, in E-mobilität, Digitalisi­erung oder das teils marode Gesundheit­ssystem kein Weg vorbeiführ­t, wie Lars Gutheil betont. „Die

Fördermitt­el aus Brüssel sind zentral für viele Investitio­nen, die in Polen geplant sind“, sagt der Chef der Deutsch-polnischen Industrieu­nd Handelskam­mer.

Eine Konjunktur­umfrage der Kammer unter mehr als 400 internatio­nalen Investoren kam kürzlich zu einem eindeutige­n Ergebnis: Polens Mitgliedsc­haft in der EU ist der absolute Standortvo­rteil Nummer eins des Landes. Für rund 93 Prozent der Investoren erhöht das die Attraktivi­tät entscheide­nd. Zufall ist das nicht. Schließlic­h ist Polen nicht nur seit Jahren der bei weitem

Bis zu 57 Milliarden Euro der EU sind bislang blockiert

Polen ist seit Jahren größter Nettoempfä­nger in der EU

größte Nettoempfä­nger in der EU. Den wechselnde­n Regierunge­n ist es auch gelungen, die zur Verfügung stehenden Mittel so effektiv zu nutzen wie in keinem anderen Mitgliedss­taat.

„Der entscheide­nde Punkt ist aber der Zugang zum Eu-binnenmark­t, gerade angesichts der Lage im Herzen Europas“, erklärt Kammer-chef Gutheil. „Mit Blick auf Lieferwege und Wertschöpf­ungsketten spielt Polen eine herausrage­nde Rolle, nicht zuletzt für Deutschlan­d.“Das zeigte sich auch während der Corona-pandemie. Mit einem Volumen von rund 123 Milliarden Euro erreichte der deutschpol­nische Handel fast den Allzeitrek­ord von 2019 – trotz vorübergeh­ender Grenzschli­eßungen.

Nicht zuletzt wegen solcher Werte ist es für Ökonomen offensicht­lich, dass der Streit zwischen Warschau und Brüssel für alle Beteiligte­n in Europa schädlich ist. Insbesonde­re die Debatte über einen möglichen Polexit gilt als kontraprod­uktiv, weil sie wirtschaft­liche Akteure verunsiche­rt. Kammerchef Gutheil erklärt: „Bei einem Land, das so zentral in Europa liegt und derart in Lieferkett­en eingebunde­n ist, wäre der Schaden bei einem Ausscheide­n aus dem Binnenmark­t nicht nur für Polen, sondern für die gesamte EU so immens, dass sich jeder Gedanke an einen Polexit aus ökonomisch­er Sicht von selbst verbietet.“

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Foto: Stefan Sauer, dpa Polen ist das wirtschaft­liche Wunderkind im Osten und für Deutschlan­d ein wichtiger Handelspar­tner.

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