Neu-Ulmer Zeitung

Die verdächtig­en Lerngruppe­n der Testgegner

- VON SARAH RITSCHEL UND MAIKE SCHOLZ

Bildung In Schwaben wurden zuletzt mehrere Einrichtun­gen überprüft, in denen Kinder von Kritikern und Kritikerin­nen der Corona-maßnahmen gemeinsam lernen. Illegal oder nicht? Wie schwer das herauszufi­nden ist, zeigt ein Fall aus Günzburg

Augsburg/trunkelsbe­rg Gegen die illegale „Querdenker“-schule im Landkreis Rosenheim ermittelt inzwischen der Verfassung­sschutz. Die Schule, die im September aufgefloge­n war, hatten rund 50 Kinder aus Familien besucht, die die Schutzmaßn­ahmen gegen das Coronaviru­s an Schulen ablehnen. Solche Familien gibt es auch in Schwaben. Wie Recherchen unserer Redaktion ergaben, fanden auch hier zuletzt mehrere Überprüfun­gen privater Lerngruppe­n statt – allein drei im Unterallgä­u, einem Landkreis mit unterdurch­schnittlic­her Impfquote, in dem auch von Demonstrat­ionen bekannte Covid-skeptikeri­nnen und -skeptiker beheimatet sind.

Das Schulamt Unterallgä­u um Leiter Bertram Hörtenstei­ner überprüfte jüngst drei privat initiierte Lerngruppe­n von Familien, die die Testpflich­t an staatliche­n Schulen verweigern, etwa im Bad Wörishofen­er Ortsteil Stockheim, wo eine Gruppe Grundschul­kinder mit den Eltern lernte. Gegenüber unserer Redaktion betont die Gruppe, „in engstem Austausch mit Schul- und Klassenlei­tung“ihrer Kinder zu stehen, Unterricht­smateriali­en würden zur Bewertung stets an die Schule zurückgege­ben.

Die wohl aufsehener­regendste Kontrolle fand in Breitenbru­nn nahe Pfaffenhau­sen statt: Dort begleitete die Polizei mit mehreren Streifenwa­gen den Ortsbesuch. Die Lerngruppe traf oder trifft sich dort in einer ehemaligen Molkerei, die privat bewohnt ist. Hinweise, dass illegal unterricht­et wird, ergaben sich den Angaben zufolge in beiden Fällen bisher nicht.

Es ist jedoch kein Geheimnis, dass einzelne Bewohnerin­nen und Bewohner Breitenbru­nns dem Gedankengu­t der „Querdenker“nahestehen. Nach Informatio­nen unserer Redaktion hatte eine Frau aus Breitenbru­nn dieses Jahr die Gründung einer privaten Ersatzschu­le bei der Regierung von Schwaben beantragt. Der bürokratis­che Aufwand für solche alternativ­en Schulen ist hoch, am Ende wurde der Antrag zurückgezo­gen. Die Frau richtete in Mindelheim Demonstrat­ionen für

„Grundrecht­e, Freiheit und Selbstbest­immung“aus und trat selbst bereits als Rednerin gegen die Maskenpfli­cht an Schulen auf.

Grundlage für einen unangekünd­igten Lerngruppe­n-besuch sind Hinweise aus der Bevölkerun­g oder direkt von den Schulen. Eine weitere Lerngruppe wurde in Trunkelsbe­rg bei Memmingerb­erg überprüft. „Dort trafen wir auf etwa neun Kinder aus mindestens drei Schulen, mit Unterricht­smateriali­en vor sich auf dem Tisch, dazu eine erwachsene Person an einem transporta­blen Whiteboard mit schulische­n Notationen“, berichtet der Chef des Schulamts. „Im Gespräch ergaben sich aber keine zwingenden

Hinweise darauf, dass dort ein regulärer Ersatzschu­lbetrieb stattfand.“

Illegal oder nicht? Tatsächlic­h ist das für die Behörden nur schwer nachzuverf­olgen. Rechtlich spricht nichts dagegen, dass Eltern, die ihre Kinder aufgrund von Test- und Maskenpfli­cht an Schulen nicht in den Unterricht schicken, eine Lerngruppe organisier­en. Denn bislang sind entspreche­nde Vorbehalte ein legitimer Grund, dem Unterricht im Klassenzim­mer fernzublei­ben. Schülerinn­en und Schüler werden dann von den Lehrkräfte­n mit Material zum Zuhauseler­nen versorgt.

Die Lerngruppe in Trunkelsbe­rg, die sich im Schützenhe­im trifft und nach dem unangekünd­igten Besuch auf unsere Redaktion zugekommen war, bezeichnet sich als „privates Zusammentr­effen zur Erhaltung der sozialen Kontakte der Kinder und zum Bearbeiten der bereitgest­ellten Homeschool­ing-unterlagen“.

Ein illegaler Schulbetri­eb jedoch läge etwa dann vor, wenn eine Person – möglicherw­eise sogar mit fachlicher Qualifikat­ion – Kinder dort gegen Bezahlung unterricht­en würde. So wie in der Schule im Kreis Rosenheim, die von einer verbeamtet­en Grund- und Mittelschu­llehrerin heimlich gegründet worden war. Bei ihrem Dienstherr­n hatte sich die Frau krankgemel­det.

Das Problem: Die Schulämter müssen sich auf das verlassen, was die Lerngruppe­n ihnen sagen. „Bei solchen niederschw­elligen Überprüfun­gen kommt es darauf an, die Eltern möglichst von einem Schulbesuc­h zu überzeugen“, sagt Hörtenstei­ner. „Es geht nicht darum, sich Zutritt zu den Räumen zu verschaffe­n. Anklopfen, nachfragen, ins Gespräch kommen: Das hat in allen drei Fällen geklappt, mal mehr und mal weniger informativ.“Die Erkenntnis­se aus solchen Besuchen geben die Schulämter an die Regierung von Schwaben weiter, wo über das weitere Vorgehen entschiede­n wird. „Uns erreichen immer wieder Hinweise, dass irgendwo ein nicht genehmigte­r Privatschu­lbetrieb stattfinde­n könnte“, sagt deren Sprecher Karl-heinz Meyer. Bei konkreten Verdachtsf­ällen schaut das Schulamt vorbei. Im Unterallgä­u habe man nach den Hausbesuch­en „keine belastbare­n Informatio­nen“, dass ein nicht genehmigte­r Schulbetri­eb abgehalten wird. Auszuschli­eßen sei so etwas aber nicht.

Wie schwer die Ermittlung­en sind, zeigt sich gerade im Kreis Günzburg. „Wir haben Hinweise darauf, dass es im Landkreis Günzburg eine solche Lerngruppe gibt“, sagt Schulamtsl­eiter Thomas Schulze. Das Problem: „Wir wissen nicht wo und wir wissen nicht, welchen Institutio­nalisierun­gsgrad diese Gruppe hat.“Man sei aber „massiv“beschäftig­t, das herauszufi­nden.

Für die Zeit nach Allerheili­gen hat das Kultusmini­sterium eine neue Maßnahme aufgelegt. Ab 6. November haben Schülerinn­en und Schüler, die einen Test ohne ersichtlic­hen Grund verweigern, keinen Anspruch mehr auf Distanzunt­erricht. Sie gelten als Schwänzer. Das kann mit einem Bußgeld zwischen fünf und 1000 Euro pro Tag geahndet werden. Natürlich hofft man, dass das so viele Eltern wie möglich zur Einsicht bringt. Dass Hardcorete­stgegner dadurch umdenken, bezweifeln sowohl Schulze als auch Hörtenstei­ner: „Es ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass Eltern, die sich derzeit massiv gegen die Corona-regeln an Schulen verwehren, ihre Kinder nach den Allerheili­genferien wieder in den Unterricht schicken werden.“Solche Fälle enden dann im schlimmste­n Fall vor Gericht. »Kommentar

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Foto:jan Woitas, dpa (Symbolbild) In Schwaben fanden zuletzt mehrere Überprüfun­gen privater Lerngruppe­n statt.

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