„Masken machen einen Unterschied“
Interview Der englische Tenor Ian Bostridge tourt gerade durch Europa und spricht über seine ersten Konzerte nach dem Lockdown und Großbritannien nach dem Brexit
Herr Bostridge, Sie sind ein weltweit gefragter Tenor und touren gerade durch Europa. Wie waren die Konzerte bisher?
Ian Bostridge: Ich war gerade in der Schweiz auf dem Zwischentönefestival mitten in den Bergen. Dort habe ich unter anderem „Die schöne Müllerin“und ein paar Schumannstücke mit einem Streichquartett und Saskia Giorgini am Klavier gesungen. Seit Montag bin ich in Florenz, wir haben ein Konzert mit dem wunderbaren Toscana Orchestra und dem großartigen jungen Dirigenten Daniel Cohen.
Wie fühlt es sich an, wieder auf Tour zu sein?
Bostridge: Es ist schön, aber die ganze Situation ist noch sehr fragil. Es ist schwer zu beschreiben, was gerade geschieht. Wir alle blicken ein wenig mit Sorge Richtung Winter.
Sie haben zusammen mit namhaften Orchestern und Dirigenten die ganze Welt bespielt. Inwieweit hat der Austritt Großbritanniens aus der EU das Touren außerhalb des Landes erschwert?
Bostridge: Für mich bis jetzt nicht sehr, da ich seit dem Austritt noch nicht mit einem Orchester unterwegs war. Allerdings habe ich von Kolleginnen und Kollegen gehört, dass sich alles gut regeln lässt. Es wäre ja auch absurd, wenn man ohne Probleme in China oder Russland auftreten kann, aber nicht in der EU. Wenn ich als Solokünstler einen Liederabend irgendwo innerhalb des Schengenraums machen möchte, geht das relativ problemlos. Nur in Spanien ist es unglaublich kompliziert, da fühlt man sich fast wie ein Krimineller. Man muss über Vorlage der Kontoauszüge der letzten drei Monate beweisen, dass man Steuern bezahlt hat und gute 800 Pfund auf dem Konto liegen hat. Die einzige problematische Regel innerhalb des Schengenraums ist, dass einem innerhalb 180 Tage nur 90 Tage Aufenthalt genehmigt werden – das ist natürlich für Touren höchst problematisch. Ich war gegen den Austritt aus der EU, aber ich hoffe, dass es nun zivilisierte Wege gibt, mit der Situation umzugehen, denn der Austausch von Kunst und Musik ist ein zentraler Teil des Verhältnisses zwischen den Ländern der EU und Großbritannien.
Wie haben sich die ersten Konzerte nach dem Lockdown zu Hause in Großbritannien angefühlt?
Bostridge: Ein wenig komisch. Das Publikum saß auf Abstand, trotz der lockeren Regeln in Großbritannien trugen die meisten eine Maske. Interessant war der Vergleich mit einem Konzert im Opernhaus von Gent vor ein paar Wochen, bei dem ich die
Winterreise von Schubert gesungen habe. Der Saal war bis auf den letzten Platz ausverkauft und niemand trug eine Maske. Der Unterschied war gewaltig, vor allem für mich als Liedersänger. Als Opernsänger sieht man wegen der starken Beleuchtung nichts vom Publikum, wir sprechen da von der so genannten vierten Mauer. Aber im Liedvortrag wende ich mich ans Publikum und interagiere mit ihm. Das ist ein unglaublich wichtiges Element bei meinen Auftritten, und Masken machen da schon einen Unterschied.
Auf dem diesjährigen Mozartfest wird Mozart als europäischer Künstler porträtiert. Fühlen Sie sich auch als europäischer Künstler?
Bostridge: Aber ja! Die Musik, die ich singe, ist europäisch. Die Europäische Union ist ein großartiges politisches Projekt, aber man kann sich auch als Nicht-mitglied der EU europäisch fühlen. Viele, die den Brexit unterstützt haben, denken, dass Großbritannien eine Art freies, global funktionierendes Irgendetwas ist. Wir hatten Herrscher aus Holland, aus Deutschland, aus Frankreich. Wir sind eine europäische Gesellschaft mit einer europäischen Geschichte.
Wohin geht nun die Reise Großbritanniens?
Bostridge: Das ist sehr schwer zu sagen. Vor fünf Jahren hätte keiner gedacht, dass wir heute so inkompetente Personen auf verantwortlichen Positionen haben. Die Fehler sehe ich schon im Zuge der Finanzkrise, die nicht gut gemanagt wurde, was den Menschen in Großbritannien das Gefühl gab, nicht mehr gehört zu werden. Das kulminierte im Referendum, bei dem viele eigentliche Nichtwähler abgestimmt haben, weil sie wütend waren. Nun stehen wir vor der größten administrativen Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, der Boris Johnson und die Regierung in keiner Weise gewachsen sind. Und nun stehen wir eben da.
Ihre Reise wird Sie weiter nach Augsburg führen. Ist es Ihr erster Besuch? Bostridge: Ja. Ich kenne die Gegend aber schon ganz gut, letztes Jahr habe ich an der Hochschule in München unterrichtet. Es war sehr hilfreich, einen Job dort zu haben, denn so konnte ich problemlos zwischen Großbritannien und Bayern pendeln, ich bekam eine so genannte Grenzgängerkarte in der deutschen Botschaft in London. Ich war also noch nie in Augsburg, aber im zweiten Song der Zwölf Lieder, Op. 35, von Schumann heißt es (singt) „Zu Augsburg steht ein hohes Haus, nah bei dem alten Dom“, und ich werde mir den alten Dom ansehen, und das hohe Haus vielleicht auch.
Interview: Sebastian Kraus