Ohrläppchen gegen Ohrläppchen
Paketbombe: Gutachter entlastet Ulmer Rentner
Heidelberg Wer hat denn nun am 15. Februar die Postfiliale in der Ulmer Rosengasse betreten und die explosiven Päckchen an drei Lebensmittelkonzerne aufgegeben? Der bisherige Prozessverlauf am Heidelberger Landgericht nährt Zweifel, dass es sich bei dem vermummten Mann um den angeklagten Rentner aus Ulm handelte. Auch der Anthropologie-professor Wilhelm Rösing entlastet ihn am Freitag. Für sein Gutachten hat er zwei Aufnahmen von Überwachungskameras miteinander verglichen: Die eine zeigt den Paketbomber in der Postzweigstelle nahe des Münsters, die andere den Angeklagten in der Dhl-zweigstelle im Stadtteil Wiblingen, wo er auch wohnt.
Rösings Fazit: „Beide sind höchstwahrscheinlich nicht identisch.“Das, obwohl nur die Hälfte seiner 16 Unterscheidungskriterien „einigermaßen sicher“seien, wie der Sachverständige einräumt, und viele seiner Erkenntnisse auf subjektiven Erfahrungen beruhten. Manche seiner Kollegen trauten sich deshalb in ähnlichen Fällen nicht, eine Einschätzung abzugeben. Was die Untersuchung besonders schwierig machte: Der Paketbomber trug Brille, einen Schal, eine Schiebermütze und eine Ffp2-maske, die Mund und Nase verdeckte. In der Filiale war es dunkel, die Videoaufzeichnungen sind unscharf.
Rösing will erkannt haben, dass sich Klaus S. leicht und federnd bewegt, der Paketbomber dagegen schwerfällig. Detail am Rande: Der
Der Experte sieht nur beim „Bauchansatz“Parallelen
Rentner engagiert sich ehrenamtlich für Behinderte – und schlüpfte schon in deren Rollen, um Handicaps aufzuzeigen. Einer wie er könnte also auch seinen Gang verändern. Abgesehen davon attestierte der Sachverständige Unterschiede bei den Ohren. Jene von Klaus S. seien länger, dagegen überrage der Paketbomber den Angeklagten bei der Körpergröße „um eine Handbreit“. Und: Der „richtige“Täter habe ein breiteres Gesicht und abfallende Schultern. Nur in einem Punkt sieht Rösing Parallelen: „Beide haben einen Bauchansatz.“
Die schriftliche Stellungnahme Rösings liegt den Verfahrensbeteiligten seit wenigen Wochen vor und gab den Ausschlag dafür, dass das Gericht den Rentner vorzeitig aus der Untersuchungshaft entließ. Aus Sicht der Kammer bestand kein dringender Tatverdacht mehr.
Das Landeskriminalamt hält Rösings Expertise ebenso für fragwürdig wie die Anthropologin Sabine Ohlrogge, die im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein „Gegengutachten“erstellt hat. Sie stört sich etwa an der Aufnahmeposition der Kameras, den Ausführungen zum Gang der Männer und der schlechten Bildqualität. Oberstaatsanwalt Lars-jörgen Geburtig sagte: „Der Mann in der Post wollte nicht erkannt werden und hätte sich verstellen können. Rösing will das nicht ausschließen. Darauf kann ich reinfallen“, meint er. Aber auch: „Ohrläppchen kann man nicht verstellen.“