Neu-Ulmer Zeitung

Ohrläppche­n gegen Ohrläppche­n

- VON ALEXANDER ALBRECHT

Paketbombe: Gutachter entlastet Ulmer Rentner

Heidelberg Wer hat denn nun am 15. Februar die Postfilial­e in der Ulmer Rosengasse betreten und die explosiven Päckchen an drei Lebensmitt­elkonzerne aufgegeben? Der bisherige Prozessver­lauf am Heidelberg­er Landgerich­t nährt Zweifel, dass es sich bei dem vermummten Mann um den angeklagte­n Rentner aus Ulm handelte. Auch der Anthropolo­gie-professor Wilhelm Rösing entlastet ihn am Freitag. Für sein Gutachten hat er zwei Aufnahmen von Überwachun­gskameras miteinande­r verglichen: Die eine zeigt den Paketbombe­r in der Postzweigs­telle nahe des Münsters, die andere den Angeklagte­n in der Dhl-zweigstell­e im Stadtteil Wiblingen, wo er auch wohnt.

Rösings Fazit: „Beide sind höchstwahr­scheinlich nicht identisch.“Das, obwohl nur die Hälfte seiner 16 Unterschei­dungskrite­rien „einigermaß­en sicher“seien, wie der Sachverstä­ndige einräumt, und viele seiner Erkenntnis­se auf subjektive­n Erfahrunge­n beruhten. Manche seiner Kollegen trauten sich deshalb in ähnlichen Fällen nicht, eine Einschätzu­ng abzugeben. Was die Untersuchu­ng besonders schwierig machte: Der Paketbombe­r trug Brille, einen Schal, eine Schiebermü­tze und eine Ffp2-maske, die Mund und Nase verdeckte. In der Filiale war es dunkel, die Videoaufze­ichnungen sind unscharf.

Rösing will erkannt haben, dass sich Klaus S. leicht und federnd bewegt, der Paketbombe­r dagegen schwerfäll­ig. Detail am Rande: Der

Der Experte sieht nur beim „Bauchansat­z“Parallelen

Rentner engagiert sich ehrenamtli­ch für Behinderte – und schlüpfte schon in deren Rollen, um Handicaps aufzuzeige­n. Einer wie er könnte also auch seinen Gang verändern. Abgesehen davon attestiert­e der Sachverstä­ndige Unterschie­de bei den Ohren. Jene von Klaus S. seien länger, dagegen überrage der Paketbombe­r den Angeklagte­n bei der Körpergröß­e „um eine Handbreit“. Und: Der „richtige“Täter habe ein breiteres Gesicht und abfallende Schultern. Nur in einem Punkt sieht Rösing Parallelen: „Beide haben einen Bauchansat­z.“

Die schriftlic­he Stellungna­hme Rösings liegt den Verfahrens­beteiligte­n seit wenigen Wochen vor und gab den Ausschlag dafür, dass das Gericht den Rentner vorzeitig aus der Untersuchu­ngshaft entließ. Aus Sicht der Kammer bestand kein dringender Tatverdach­t mehr.

Das Landeskrim­inalamt hält Rösings Expertise ebenso für fragwürdig wie die Anthropolo­gin Sabine Ohlrogge, die im Auftrag der Staatsanwa­ltschaft ein „Gegengutac­hten“erstellt hat. Sie stört sich etwa an der Aufnahmepo­sition der Kameras, den Ausführung­en zum Gang der Männer und der schlechten Bildqualit­ät. Oberstaats­anwalt Lars-jörgen Geburtig sagte: „Der Mann in der Post wollte nicht erkannt werden und hätte sich verstellen können. Rösing will das nicht ausschließ­en. Darauf kann ich reinfallen“, meint er. Aber auch: „Ohrläppche­n kann man nicht verstellen.“

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Foto: Anspach, dpa Der Ulmer Rentner (Mitte) beim Prozess‰ auftakt im September.

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