Pflegefamilien päppeln schwache Igel auf
Natur Doris Kast aus Weißenhorn kümmert sich um kranke und verletzte Tiere. Heuer gebe es besonders viele Fälle, sagt sie – und hofft auf noch mehr Unterstützung. So wie bei einer Aktion in Tiefenbach
Tiefenbach Den kleinen Igel hat es böse erwischt. Vermutlich durch ein Arbeitsgerät wie einen Freischneider wurde ihm ein Hinterbein fast abgetrennt. Für Doris Kast, die sich seit vier Jahren um kranke Igel kümmert, ist es der aktuellste Notfall an diesem Tag. „Ich habe noch nie so viele verletzte Igel bekommen“, erzählt die Igel-retterin aus Weißenhorn. Sie spricht von einer „Igelschwemme“, die in diesem Jahr zu bewältigen sei. An diesem Abend in Tiefenbach werden einige ihre Schützlinge, die sie bereits erstversorgt hat, an Pflegefamilien weitergegeben. Dort sollen sie weiter aufgepäppelt werden, damit sie dann irgendwann wieder in die Freiheit entlassen werden können.
Familie Milz aus Illerzell wird zwei kleine Igel aufnehmen. Auf der Igelpflege-anleitung, die sie ausgehändigt bekommt, sind die stacheligen Tierchen mit den Namen Blondy und Brownie registriert. Sie wiegen inzwischen gut 330 beziehungsweise 250 Gramm und sollen laut Anweisung abends nasses Katzenfutter bekommen. Die vierköpfige Familie schaut gespannt zu, wie Kast den Igeln die letzte Dosis Wurmkur verabreicht. Dann kommen sie in ein Behältnis, das mit einer Decke weich ausgelegt ist. Es sei das erste Mal, dass sie Igel aufnehmen, erzählt Mutter Daniela. Zu Hause haben sie in der Wohnung eine Box für die Tiere vorbereitet. Ab einem Gewicht von 400 Gramm können die Igel draußen weiter versorgt werden. Ein Winterhasenstall sei für diesen Fall vorbereitet, berichtet Carina Lupo aus Vöhringen. Auch sie nimmt zum ersten Mal Igel in ihre Obhut. Von einer Freundin, die sich in der Sache bereits engagiere, habe sie von der Initiative erfahren, erzählt sie.
Tatsächlich konnte Kast in den vier Jahren ein Netzwerk an Pflegestellen aufbauen, das ein Gebiet von Kempten bis nach Göppingen umfasst. Mehr als 50 Pflegestellen seien es, sagt sie. Die Lage der Igel beschreibt sie als dramatisch und dieses Jahr bisher „als das schlimmste“. Insgesamt etwa 1000 Igel habe sie heuer bereits angenommen. Die Tiere hätten vielfach große Verletzungen. Nicht nur durch Rasenroboter oder andere Gartengeräte. Auch ungesicherte Kellerschächte, Pools oder Rattenfallen würden ihnen zum Verhängnis werden. Täglich bekomme sie derzeit rund 50 Anrufe. Tierheime und Tierärzte würden an sie verweisen und ihre Nummer weitergeben. Dasselbe geschehe durch Mundpropaganda.
Derzeit bekomme sie oft auch geschwächte Igelweibchen herein, die „mit letzter Kraft ihre Jungen aufgezogen haben“, erzählt Kast. Nun würden die Muttertiere selbst nicht mehr genügend Futter finden. 600
Gramm als bekannte Gewichtsgrenze, ab der Igel den Winter vermeintlich überstehen können, seien zu wenig für erwachsene Tiere, betont sie. Ihr Appell geht dabei auch an die Gartenbesitzerinnen und -besitzer. „Hier fängt die Igelpflege an“, sagt Kast. Nämlich in einem möglichst naturnahen Garten mit ungemähten Bereichen, mit heimischen Pflanzen oder auch Totholz für Insekten. Denn diese sind Nahrung für die Igel. Laubhaufen dienen den stacheligen Tieren als Unterschlupf.
Insgesamt sechs Familien nehmen an diesem Abend Igel in ihre Obhut. Es sei die dritte von insgesamt fünf Abholaktionen, sagt Doreen Neubauer aus Tiefenbach, auf deren Terrasse die Weitergabe stattfindet. Sie hat zuvor die Kontakte entgegengenommen, Whatsapp-gruppen gegründet und auch so die Igel vermittelt. Insgesamt 25 Pflegefamilien seien es inzwischen im näheren und weiteren Umkreis von Illertissen, sagt sie. Ein gemeinsames Bauen von Igelhäuschen steht in der Runde der Igel-retter demnächst auch auf dem Plan. Von den Firmen Richard Möst und Ernst Fischer aus
Altenstadt habe sie dafür Holz gespendet bekommen, berichtet Neubauer erfreut. „Jede Hilfe zählt“, betont sie.
Egal ob zur Pflege, als Fahrdienst zum Tierarzt oder für Spenden – die Igel-retterinnen suchen dringend Unterstützung. Sie planen darüber hinaus die Gründung eines Vereins. Um ausreichend Raum für ihre zahlreichen Schützlinge zu haben, sind sie zurzeit auf der Suche nach einem Gebäude für ein „Igel-krankenhaus“.
Der Abend in Tiefenbach selbst verläuft sehr geordnet. Aufmerksam nehmen die Familien auch Tipps und Pflegehinweise an. Bevor die Igel für den Transport sicher in die Behältnisse gepackt werden, versuchen sich vor allem die Kinder am vorsichtigen Streicheln der Tiere. Unten am Bauch hätten sie keine Stacheln und dort seien sie ganz kuschelig, rät ihnen Daniela Breyer aus Bellenberg. Sie und ihre Tochter Franzi wollen bei der nächsten Abholaktion wieder kommen. Sie haben bereits Erfahrung mit dem Aufpäppeln der Tiere und wollen dann „ganz kleine Igel mitnehmen“.
Dem jüngsten Notfall, dem Igel mit dem fast abgeschnittenen Bein, ist an diesem Abend verständlicherweise nicht nach Streicheln zumute. Er liegt bewegungslos in seiner Box.
Kast hatte ihn nach dem Unfall versorgt, gereinigt und ihm auch etwas gegen die Schmerzen gegeben. Morgen müsse der Tierarzt sein Bein amputieren, sagt sie. In diesem Jahr habe sie schon so viele schwer kranke Tiere einschläfern lassen müssen wie noch nie. Doch bei diesem Igel ist sie zuversichtlich: Er habe gute Chancen und könne später mit drei Beinen „super klarkommen“, sagt sie.
Die Igelretterinnen wollen einen Verein gründen
Kontakt: Wer Igel in Not findet, kann sich unter Telefon 0152/04323655 an Doris Kast wenden. Ansprechpartnerin für Pflegeunterbringung ist Doreen Neu bauer aus Tiefenbach, Telefon 0173/3173658. Die Igelretterinnen suchen außerdem ein geeignetes Gebäu de für ein „Igelkrankenhaus“.
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