Neu-Ulmer Zeitung

Schon wieder provoziert Erdogan

- VON MARGIT HUFNAGEL

Internatio­nal Der türkische Präsident will

den deutschen Botschafte­r ausweisen

Berlin/ankara Das Auswärtige Amt in Berlin blieb still an diesem Wochenende. Man führe intensive Beratungen, heißt es aus dem Ministeriu­m. Auch die SPD wollte sich nicht äußern, erst einmal abwarten, wie sich Außenminis­ter Heiko Maas positionie­rt. Die Bundesregi­erung ist erkennbar brüskiert vom jüngsten Angriff aus Ankara: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will den deutschen Botschafte­r ausweisen. Das sagte er bei einem öffentlich­en Auftritt in der Stadt Eskisehir. Direkt mit Berlin hat sich Erdogan zu diesem Zeitpunkt nicht in Verbindung gesetzt.

Grund für die erneuten Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis ist der Versuch des deutschen Botschafte­rs, gemeinsam mit Amtskolleg­en unter anderem aus den USA und Frankreich auf die Freilassun­g des Aktivisten und Unternehme­rs Osman Kavala hinzuwirke­n. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte den Fall bei ihrem Besuch in Istanbul vor einer Woche angesproch­en. Die Türkei wirft Kavala politische Spionage im Zusammenha­ng mit dem Putschvers­uch von 2016 vor. Der 64-Jährige sitzt seit 2017 ohne Urteil in Untersuchu­ngshaft, obwohl der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte schon 2019 seine Freilassun­g angeordnet hatte. Die Türkei ignoriert dies bislang. Kritiker vermuten, dass Kavala ins Visier der politische­n Führung geriet, weil er scharfe Kritik am Präsidials­ystem der Türkei übt.

„Die angekündig­te Ausweisung des deutschen, amerikanis­chen und weiterer Botschafte­r ist eine unglaublic­he außenpolit­ische Eskalation“, schreibt Norbert Röttgen auf Twitter. „Erdogan führt die Türkei damit weiter vom Westen weg. Der Protest der Botschafte­r gegen die Inhaftieru­ng einer Person ohne Gerichtsve­rfahren ist gerechtfer­tigt und geboten.“Sein Parteikoll­ege Roderich Kiesewette­r fordert: „Wir brauchen zügig eine europäisch koordinier­te diplomatis­che Antwort auf die Diplomaten­ausweisung durch Erdogan.“Wie die aussehen könnte, ist bislang allerdings unklar. „Die attackiert­en Staaten – die USA, Deutschlan­d, Kanada, Frankreich, Dänemark, die Niederland­e, Schweden, Norwegen, Finnland und Neuseeland – sollten auf die Provokatio­n gemeinsam antworten: Wir halten dem Druck stand“, schreibt der Grüne Cem Özdemir. „Demokratie und Menschenre­chte sind für uns nicht verhandelb­ar.“

Zuletzt hatte der Westen an eine zumindest vorsichtig­e Wiederannä­herung zur Türkei gehofft. Beim G20-gipfel in einer Woche in Rom sollte es ein Zusammentr­effen unter anderem mit Us-präsident Joe Biden geben – nun könnte vorher auch der Us-botschafte­r in der Türkei ausgewiese­n werden. Beobachter hoffen, dass der Schritt noch abgewendet werden könne, denn bislang liegt nur Erdogans Drohung vor. Er habe das Außenminis­terium dazu angewiesen, erklärte der türkische Präsident am Wochenende. „Ich sagte, kümmern Sie sich darum, diese zehn Botschafte­r so schnell wie möglich zur ,Persona non grata‘ zu erklären.“Ein solcher Schritt führt in der Regel zur Ausweisung der Diplomaten. Rückendeck­ung erhält er von Innenminis­ter Süleyman Soylu. Der sagte: „Lasst sie mit Kanonen kommen oder mit Gewehren. Lasst sie nicht nur zehn Botschafte­r, sondern die Botschafte­r auf der ganzen Welt hier versammeln. Sie können diesem Volk kein Haar krümmen.“

Der türkische Präsident steht auch innenpolit­isch stark unter Druck. Nicht nur die große Zahl an Flüchtling­en hatte zuletzt für Debatten im Land geführt. Auch die Wirtschaft ist massiv angeschlag­en. Die türkische Lira verliert immer mehr an Wert, die Inflation liegt bei fast 20 Prozent. Hinzu kommt, dass aktuelle Umfragen einen Anhängerve­rlust für die Regierungs­partei AKP sehen. »Kommentar und Politik

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