Neu-Ulmer Zeitung

Boji fährt spazieren

- VON ANDREAS FREI

Verkehr Die Geschichte eines ziemlich ungewöhnli­chen Passagiers

Als das Auto noch nicht bäh war, der Sprit erschwingl­ich und die Landstraße Freiheit versprach, ließen sich Väter sonntags zu Sätzen hinreißen wie: „Liebe Familie, wir machen eine Spazierfah­rt.“Nun ist a) das in heutigen Zeiten ökologisch bedenklich und b) Boji ein Hund, der sich schon mangels adäquater Beinlänge schwertut, ein Kraftfahrz­eug zu steuern. Doch a) hat das motorisier­te Flanieren auch im Jahr 2021 seine Berechtigu­ng und b) gibt es zum Glück den öffentlich­en Nahverkehr, auch im 15-Millionen-einwohner-moloch Istanbul. Dort fiel Boji, ein beigefarbe­ner stattliche­r Streuner unbekannte­r Herkunft, erstmals im Sommer auf. Er betrat, wenngleich ohne Fahrkarte, ganz allein eine Straßenbah­n, fuhr ein paar Stationen, wechselte in die U-bahn, zurück in die Tram und am Bosporus-ufer auf die Fähre. Am nächsten Tag wieder und dann wieder…

Seitdem ist er ein Star. Die Türken

lieben ihn. Wo immer er auftaucht, wird erst das sanfte Haupt getätschel­t und dann die Handy-kamera gezückt. Boji hat einen eigenen Twitter-account mit 85000 Followern. Ein Tierarzt hat ihn geimpft und für gesund erklärt. Boji bekam ein Halsband samt Chip, damit kann man ihn orten. Er fährt (nicht vor zehn und nicht nach 21 Uhr), schaut, gähnt, döst. Ein Flaneur par excellence. Höflich sei er auch, heißt es. Er lasse anderen Fahrgästen beim Einsteigen stets den Vortritt, und natürlich habe er noch nie gebissen. Die Stadtverwa­ltung lässt ihn gewähren. Eine Sprecherin sagt: „Er ist nicht so anders als wir, also als du und ich.“Und umweltbewu­sst ist Boji ja auch.

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Foto: Chris Mcgrath, Getty Images Fahren und schauen: Boji in seinem Ele‰ ment.

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