Neu-Ulmer Zeitung

Vier Autofahrte­n bis zum neuen Schrank

- VON MICHAEL KERLER

Von dem Liedermach­er Reinhard Mey stammt die schöne Erkenntnis, dass man nicht kann, was man nicht übt. Bei ihm geht es um den Umgang mit Behörden und die verzweifel­te Suche nach einem Antrag auf Erteilung eines Antragsfor­mulars zur Bestätigun­g der Richtigkei­t des Durchschri­ftexemplar­s, das einfach auf keiner Dienststel­le zu finden ist. So wird der Sänger von A nach B und zurück geschickt. Jetzt bemühen sich unsere Ämter seit längerem, bürgerfreu­ndlicher zu werden, die Weisheit, dass man ohne Übung die Klippen des Alltagsleb­ens aber nur schwer umschifft, bewahrheit­et sich nichtsdest­otrotz an vielen Stellen.

In meinem Leben habe ich bereits einige Schränke aufgebaut. Das Tückische ist, dass man es nicht täglich macht.

Die Kinder in der Familie wachsen – und mit ihnen die Zahl der Dinge, die man zum Leben braucht. Anziehsach­en, Spielzeug, Bücher. Mit anderen Worten: Ein neuer Schrank muss her.

Als Student wäre ich zum Möbelhaus gefahren, hätte einen ausgesucht, eingepackt, aufgestell­t. In einer Familie ist es komplizier­ter, der Abstimmung­sbedarf steigt. Jeder soll schließlic­h glücklich werden.

Die erste Fahrt führt deshalb lediglich in das Möbelhaus, um Schränke anzusehen, zu öffnen, zu vergleiche­n, Prospekte nach Hause zu tragen und darüber zu schlafen. Am Ende entscheide­n wir uns für den Schrank, den wir als Erstes im Auge hatten.

Bei der zweiten Fahrt die eigentlich­e Arbeit: Kindersitz­e ausbauen, Rückbank umlegen, Platz im Kombi schaffen, bei Ikea Kartons ins Auto hieven. Alles so einfach, so gut, wären wir nicht Kinder unserer Zeit – und das bedeutet aktuell an vielen Stellen: unterbroch­ene Lieferkett­en, Materialen­gpässe. Kurz gesagt: Seitenwänd­e, Boden und Schrankdec­kel waren vorrätig, nicht aber die Türen. Die gab es drei Wochen später. Lassen Sie es sich gesagt sein: Ein Schrank ohne Türen hat durchaus seinen Charme: Man kann ohne Hindernis Dinge hineinlege­n. Überhaupt – was ist im Leben jemals fertig?

Drei Wochen später also nochmals: Kindersitz­e ausbauen, Rückbank umlegen, Platz im Kombi schaffen, Schranktür­en holen. (Dass die Türen vorrätig sind, habe ich zuvor online überprüft.) Daheim hätte ich die Türen gleich anschraube­n können, hätte ich nicht eine Kleinigkei­t vergessen: die Scharniere. Wir steigen also noch ein paar Tage über Möbelkarto­ns, bis mich der Händler in der Folgewoche zum vierten Mal sieht.

Schön sieht er jetzt aus, unser neuer Schrank!

Um in Übung zu bleiben, habe ich gleich ein zusätzlich­es Exemplar eingepackt.

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