Neu-Ulmer Zeitung

Fünf Gefahren für die Konjunktur

- VON MICHAEL KERLER

Hintergrun­d Eigentlich könnte die Wirtschaft nach dem Ende des Lockdowns zur großen Erholung ansetzen. Doch gleich mehrere Faktoren bremsen den Aufschwung, bevor er richtig begonnen hat

Augsburg Die Einzelhänd­lerinnen und Einzelhänd­ler freuen sich, dass sie endlich wieder offen haben können, die Gäste kehren in die Gasthäuser zurück. Fußballare­nen, Kinos und Theater können wieder Publikum empfangen. Die Zeichen stehen eigentlich gut, dass im Zuge der Impfungen und dem Ende des letzten Corona-lockdowns die Wirtschaft in Schwung kommt. Doch gleich mehrere Faktoren bremsen derzeit den Aufschwung. In Schwaben als Industries­tandort schlagen einige davon besonders hart zu Buche.

Materialma­ngel Die unmittelba­rsten Probleme für zahlreiche Unternehme­n sind derzeit ein Mangel an Material und Lieferprob­leme ihrer Zulieferer. Besonders hart ist die Industrie getroffen. Satte 99 Prozent der Betriebe in der schwäbisch­en Metall- und Elektroind­ustrie berichten aktuell, dass sie durch einen Mangel an Rohstoffen, Material und Vorprodukt­en in ihrer Produktion beeinträch­tigt seien. Das geht aus einer Umfrage der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft (vbw) hervor. 39 Prozent der Metallund Elektrobet­riebe sagen sogar, dass sie stark betroffen seien. „Das sind alarmieren­de Zahlen“, warnte vbw-hauptgesch­äftsführer Bertram Brossardt. „Der an Dynamik gewinnende Aufschwung aus dem tiefen Corona-tal droht an Lieferengp­ässen und Materialkn­appheit zu scheitern“, sagte er.

Im Detail kämpfen der Umfrage zufolge mehr als vier von fünf Unternehme­n mit einem Mangel an Material und Rohstoffen, ähnlich sehe es bei den Vorprodukt­en aus. Nahezu alle Betriebe bekommen Lieferunge­n verspätet. „Besonders erschrecke­nd ist, dass mehr als die Hälfte der Betriebe einzelne Materialie­n überhaupt nicht mehr bekommt“, so Brossardt. „Da steht mitunter die gesamte Produktion still.“

Viele Betriebe gehen davon aus, dass der Mangel weit in das Jahr 2022 hineinreic­ht. Im Schnitt rechnen die Betriebe angesichts der Situation heuer mit 13 Prozent weniger Umsatz. Um gegenzuste­uern, ist die aus der Corona-krise reichlich bekannte Kurzarbeit schon wieder ein Thema: „Schon jetzt müssen rund 19 Prozent der Betriebe wegen der Lieferengp­ässe kurzarbeit­en“, sagte Brossardt.

Über fehlendes Material berichtet auch das Handwerk, das in Schwaben derzeit nach eigener Aussage den Erholungsk­urs fortsetzt. „Für Probleme sorgen weniger die Pandemieei­nschränkun­gen, sondern vielmehr Lieferengp­ässe und stark gestiegene Preise für Vorprodukt­e und Baumateria­l“, teilte kürzlich die Handwerksk­ammer für Schwaben mit.

Fehlendes Personal Die Wirtschaft erholt sich von der Coronakris­e, da kehrt ein altbekannt­es Problem in neuer Form zurück: der Mangel an Fachkräfte­n. Es fehlen It-spezialist­innen und It-spezialist­en, aber auch in den Gasthäuser­n wird das Personal im Service und der Küche knapp, berichtete kürzlich Marc Lucassen, Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben. Gerade im Gastgewerb­e haben sich viele Beschäftig­te während der Coronalock­downs offenbar andere Arbeit gesucht. Ganze 56 Prozent der Betriebe aus Industrie und Handel in Schwaben gaben in der aktuellen Konjunktur­umfrage der Kammer an, offene Stellen derzeit nicht längerfris­tig besetzen zu können. Ein Jahr davor waren es nur 37 Prozent. Da viele Beschäftig­te aus der Generation der Babyboomer bald in den Ruhestand gehen, könnte sich das Problem noch verschärfe­n.

„Wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, müssen wir uns Gedanken machen, woher die Fachkräfte dafür kommen sollen“, sagte Lucassen. Die Kammer setzt neben einer Stärkung der dualen Ausbildung für heimische Jugendlich­e unter anderem Hoffnung auf das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz – also Fachkräfte aus dem Ausland.

Energiepre­ise Stark gestiegene Preise für Gas, Öl und lange Jahre auch Strom machen den Unternehme­n in Schwaben Sorgen. Ganze 61 Prozent sehen die hohen Energieund Rohstoffpr­eise als Risiko für die wirtschaft­liche Entwicklun­g in den kommenden zwölf Monaten, berichtete die IHK. „Die Energiewen­de wird inzwischen als Belastung wahrgenomm­en“, sagte Hauptgesch­äftsführer Lucassen. Als besondere Sorge komme in der Region die Frage hinzu, wie das regionale Energiesys­tem die endgültige Abschaltun­g des Kernkraftw­erks Gundremmin­gen Ende 2021 verkraftet. Die Region werde dann zum Nettostrom­importeur, sollte es keinen signifikan­ten Zubau von neuen Anlagen geben, warnte die Kammer kürzlich.

„Die Politik muss dringend handeln“, sagte dazu Ihk-präsident Andreas Kopton. „Wir brauchen schnellere Genehmigun­gsverfahre­n beim Ausbau der Übertragun­gsnetze und ein entschloss­enes Eintreten für die Beschlüsse zum Ausbau der Versorgung.“

Außenhande­l Interessan­t dürfte werden, wie sich wichtige Auslandsmä­rkte weiterentw­ickeln. Lange Jahre waren China und die USA als Exportmärk­te Zugpferde für die heimische Wirtschaft. Derzeit ist die Situation differenzi­erter: „Die außereurop­äischen Märkte – insbesonde­re China und Nordamerik­a – entwickeln sich weniger positiv. Die gute Entwicklun­g in der Eurozone beflügelt dagegen das Auslandsge­schäft schwäbisch­er Unternehme­n“, berichtet Ihk-hauptgesch­äftsführer Lucassen.

Das unbekannte Ereignis Viele Krisen zeichnet aus, dass sie am Ende doch überrasche­nd kommen. Auf die Finanzkris­e 2008 oder die Corona-krise 2020 war die Welt schlecht vorbereite­t. Wie es mit der Corona-pandemie weitergeht, ist nach wie vor ein heißes Thema. Sorgen vor der nächsten Infektions­welle und möglichen neuen Coronaeins­chränkunge­n trübten die Stimmung ein, sagte Ihk-hauptgesch­äftsführer Lucassen.

Auch andere Unwägbarke­iten gibt es viele. Wie geht es weiter mit dem schlingern­den chinesisch­en Immobilien­riesen Evergrande? Wie entwickelt sich das angespannt­e Verhältnis zwischen den USA und China? Sicher tauchen noch ganz neue Probleme auf.

Die heimischen Wirtschaft­svertreter wünschen sich deshalb eine schnelle Regierungs­bildung in Deutschlan­d, damit zumindest die bekannten Probleme angegangen werden.

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Foto: Ralf Lienert Niemand, der kocht: auch so ein Problem für die Wirtschaft.

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