Kann man Tabaksucht weghypnotisieren?
Psychologie Viele ehemalige Raucher berichten, dass sie sich ihre Sucht durch Hypnose abtrainiert haben. Wissenschaft und Krankenkassen sind aber noch skeptisch. Funktioniert die Methode? Ein Selbstversuch
Augsburg/tübingen Wenn man etwas zum letzten Mal macht, vermisst man es immer schon ein wenig. Ich stehe an einer Bushaltestelle und gönne mir meine hoffentlich letzte Zigarette. Während der Rauch durch meine Bronchien qualmt und das Nikotin mein Gehirn benebelt, geht mir ein altes Lied der Band „Monsters of Liedermaching“durch den Kopf. „Ich wünschte, diese Kippe wär’ vier Meter lang“summe ich vor mich hin, während ich die leere rote Schachtel in meiner Faust zerknülle und in den Papierkorb werfe. Perfektes Timing für eine leere Schachtel, denn ich bin gleich mit dem Mann verabredet, der mir die Zigaretten für immer ausreden soll.
Michael Wolf ist Heilpädagoge in Augsburg und hypnotisiert Menschen, um ihre Tabaksucht zu heilen. Meine schlechte Angewohnheit mit dem Tabak steht schon länger auf der Kippe. Ich weiß, dass es ungesund und teuer ist. Außerdem verursacht es nicht mal einen angenehmen Rausch. Alles, was das Rauchen für einen tut, ist, dass man mehr rauchen will. Doch das Aufhören ist leichter gesagt als getan: Es handelt sich bereits um die vierte letzte Zigarette in diesem Jahr. Wenn mein Nikotinspiegel zu sehr sinkt, fühlt es sich an, als würde mir jemand eine Schnur in meinem Kopf spannen. Diese Spannung zeigt sich darin, dass ich im Auto andere Verkehrsteilnehmer anbrülle, dass meine Kiefer beginnen zu mahlen und ich einen leichten, pulsierenden Kopfschmerz spüre.
Heilpädagoge Wolf soll mir helfen, das Problem abzutrainieren. Hypnose ist für ihn etwas ganz Alltägliches: „Jeder Werbespot versucht, auf unser Unterbewusstes einzuwirken, und ist damit eine Form der Hypnose“, findet er. Auch er will heute mein Unterbewusstes beeinflussen. Die spezielle Form, die er für mich erkoren hat, ist die Autosystemhypnose, mit deren Hilfe er selbst vor mittlerweile zwölf Jahren das Rauchen aufgehört hat. Zu Deutsch: Die Auslöser, die mir den Spaß am Rauchen verderben, sollen von mir kommen und nicht von ihm. Er bittet mich, in einem Ledersessel Platz zu nehmen und meine Brille abzuziehen, mich auf meine Atmung zu konzentrieren, meinen Kiefer hängen zu lassen und in den Sessel zu versinken. Anders als Hypnotiseure, die aus den Medien bekannt sind, wedelt er mir nicht mit einer Taschenuhr oder einer Spirale vor meinem Gesicht herum, sondern beginnt einfach zu erzählen. Wie ich eine Treppe heruntergehe und auf einer Sommerwiese ankomme, wie ich mich von dort in den Wald begebe und wie ich dort an einen See komme und schwimmen gehe, wie ich tauche und tauche, bis ich wieder auf der Sommerwiese ankomme. „Du bist im Reich der Fantasie“, ergänzt er.
Während der Hypnose nicke ich einmal kurz weg. War das nun ein Trancezustand? Oder bin ich eingeschlafen? So oder so bin ich in einer Höhle, als ich aufwache, in der ich, wie Wolf mir erzählt, einen Teil von mir finde, den ich visualisieren möge. Ich stelle mir eine warme Marmorkugel vor. In einem ähnlichen Verfahren soll ich mir vorstellen, welche Farbe mein Ziel – das Aufhören – hat (grün). Und wie mein Verlangen zu rauchen aussieht (wie eine gespannte Schnur). Letzteres soll ich dann in meinem Kopf zerstören. Ich entscheide mich, die Schnur zu verbrennen. Die Farbe soll ich immer visualisieren, wenn ich rauchen will.
Krankenkassen sind skeptisch, ob solche Übungen funktionieren, und wollen die Therapie oft nicht bezahlen: „Ob die Hypnose die Chancen auf einen langfristig erfolgreichen Rauchverzicht steigert, ist nicht in
Studien nachgewiesen“, heißt es etwa von der Techniker Krankenkasse. Auch eine groß angelegte Metastudie, also eine Auswertung vieler kleinerer Studien, kam zu folgendem Schluss: „Es gibt keine klare Evidenz dafür, dass eine Hypnotherapie besser als andere Ansätze darin ist, Menschen zu helfen, mit dem Rauchen aufzuhören“, heißt es dort. Wenn es einen Effekt gebe, sei dieser „auf der vorherrschenden Evidenzbasis wahrscheinlich sehr gering“.
Eine der Studien, die dort analysiert wurde, stammt von Anil Batra, der eine Raucherambulanz an der Uniklinik Tübingen leitet. Er hat die Hypnose mit der klassischen Verhaltenstherapie verglichen. Sein Schluss: Die Hypnose funktioniert etwas weniger gut als die klassische Verhaltenstherapie, die man anwenden würde. Langfristig helfe sie etwa genauso gut – während sie kurzfristig etwas schlechter abschneidet. Dennoch: „Die Studienlage ist nicht ideal, aber wie es aussieht, ist Hypnose eine legitime Methode, die Tabaksucht zu behandeln, wenn der Patient dies wünscht“, findet Batra. Dennoch empfiehlt er, das Ganze mit Verhaltenstherapie zu kombinieren. In seiner Raucherambulanz arbeitet eine Psychologin mit Rauchern, die aufhören wollen, in Gruppenarbeit heraus, warum sie das wollen. Warum sie scheitern und wie sie damit umgehen.
Auch Wolf hält das für einen wichtigen Teil der Therapie und führt vor jeder Hypnose ein längeres Gespräch, bei dem er versucht, genau diese Fragen herauszuarbeiten: „Hypnose ist nur ein Werkzeug, das ich benutze“, betont er. Zudem wolle er seine Patientinnen und Patienten kennenlernen und eine Bekanntschaft zu ihnen aufzubauen. Bei mir hat das Therapiegespräch ergeben, dass meine Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören, meist an Rauchenden in meiner Umgebung scheitern und dass das Rauchen für mich ein Grund ist, Pause zu machen. Nach drei Tagen soll das Schlimmste vorbei sein. Folglich soll ich mich ein Wochenende von anderen Menschen abkapseln und die Zigarettenpause durch einen Spaziergang ersetzen.
Nach der Hypnose fahre ich allerdings trotzdem noch ins Büro, um den Arbeitstag zu vollenden. Ein Verlangen nach einer Zigarette habe ich jedoch nicht. Meine Laune ist gut und die Arbeit geht leicht von der Hand.
Der Feierabend wird hingegen schon schwieriger: Da ich nicht unter Menschen gehen soll und das Netflix-programm heute Abend nicht gerade erster Klasse ist, kann mein Gehirn sich voll und ganz auf den Nikotinmangel konzentrieren. Auch mir die Farbe Grün vorzustellen, hilft mir nicht, bis es mir nachts um halb elf zu viel wird. Ich mache mitten in der Nacht einen Spaziergang.
In einem Pavillon in einem nahen Park sehe ich eine johlende Gruppe Jugendlicher, die munter vor sich hin rauchen. Ich überlege mir, eine zu schnorren, aber gehe stattdessen lieber weiter, egal, wie sehr mein Stammhirn quengelt. Ich halte kurz an einer 24 Stunden geöffneten Tankstelle und überlege mir eine Ersatzbefriedigung. Die bunte Wand aus Zigarettenschachteln hinter der Kassiererin macht das Ganze nicht unbedingt einfacher. Schließlich fällt die Wahl auf eine Dose Kaugummis. Laut Packung handelt es sich um eine Xxl-größe, doch als ich am Montag wieder arbeiten muss, ist sie leer. Aber: Die Entzugserscheinungen sind schon deutlich zurückgegangen. Sie kommen nur zurück, wenn ich sehe, wie jemand anderes raucht, oder eine Zigarettenwerbung erblicke.
Das ist jetzt sieben Wochen her: Mittlerweile ist das Verlangen zu Rauchen komplett weg. Meine Laune ist besser als vorher. Ich kann mich besser konzentrieren und habe Geld gespart.
Liegt das an der Hypnose von Michael Wolf? Das bezweifle ich ehrlich gesagt. Was mich deutlich mehr motiviert hat, ist, dass ich allen meinen Kollegen erzählt habe, dass ich mit dem Rauchen aufhören und drüber schreiben will. Eine Angst vorm Scheitern, die sichergestellt hat, dass ich mich so schnell nicht mehr mit einer Zigarette blicken lasse. Deutlich hilfreicher waren hingegen die Techniken, die Wolf mir außerhalb der Trance mitgegeben hat.