Neu-Ulmer Zeitung

13 Lebensrett­er nach dem Herzinfark­t

- VON LUZIA GRASSER

Medizin Peter Herzner war klinisch tot. Sein Leben hat der Neuburger Menschen zu verdanken,

die genau richtig reagiert haben und der modernen Medizin

Neuburg/ingolstadt Der Tag, an dem Peter Herzner tot vom Fahrrad fiel, war ein lauer Herbsttag. Die ersten Blätter verfärbten sich, der Himmel war blau, die Sonne brannte nicht mehr so herunter wie noch ein paar Wochen vorher. Es war September 2019. Der Neuburger lag auf dem Waldboden. Einfach so, ohne Vorzeichen, war er vom Mountainbi­ke gestürzt. 13 Leute standen um ihn herum, fassungslo­s, verzweifel­t. Sie waren zuvor zusammen nach Dollnstein geradelt und jetzt wieder auf dem Rückweg nach Neuburg.

Die, die vom Fach waren, die Krankensch­wester und die Altenpfleg­erin, wussten: Da stirbt jetzt gerade einer. Sein Herz stand still. Die Erste begann sofort damit, ihn wiederzube­leben. Drückte immer wieder fest auf seinen Brustkorb. Sie wechselten sich ab, zu sechst. Die anderen telefonier­ten, beruhigten die Mitfahrer, lotsten die Rettungskr­äfte zum Unglücksor­t. Nach gut zehn Minuten hatten die Helfer ihren Weg in den Wald gefunden, der

Zum Schutz des Gehirns wird der Körper herunterge­kühlt

Rettungswa­gen war da, der Notarzt. Der setzte den Defibrilla­tor an. Beim letzten Versuch, dem dritten, holte er Peter Herzner, damals 57 Jahre alt, wieder zurück ins Leben. 50 Minuten, nachdem der seinen Herzinfark­t erlitten hatte.

Kurz darauf klingelt es bei Peter Herzners Frau an der Haustür. Sie ist stinksauer. Sie hatten doch einen Tisch beim Griechen reserviert. Wo bleibt denn ihr Mann schon wieder? Sie reißt die Tür auf. Und da stehen zwei, die dabei waren, als ihr Mann einfach da lag auf dem Boden. Beide sehen sich aus traurigen Augen an. „Erschrick nicht, der Peter ist vom Radl gestürzt.“– „Das ist er schon öfter.“Sigrid Herzner weiß noch immer nicht, was los ist. Erst als die beiden Männer nicht reagieren, sagt sie: „Ist er tot?“„Wir haben ihn reanimiert“, sagt einer. Sie rasen ins Klinikum nach Ingolstadt.

Dort hatte man den Patienten zuvor bereits erwartet. In der Notaufnahm­e stehen Kardiologe­n, Notfallmed­izinerinne­n, Intensivme­diziner, Anästhesis­ten und spezialisi­erte Pflegekräf­te bereit. Das Klinikum hat als eines von vier bayerische­n Krankenhäu­sern ein zertifizie­rtes

Cardiac Arrest Center. Alles geht Hand in Hand. Rund um die Uhr ist eine Herzkathet­eruntersuc­hung möglich. An die 30 Menschen, sagt Chefarzt Karlheinz Seidl, Leiter der Medizinisc­hen Klinik I, könnte so am Klinikum jährlich das Leben gerettet werden. Einer von ihnen ist Peter Herzner.

Noch am Abend wird er operiert, ihm werden Stents eingesetzt. Doch es sieht nicht gut aus, er muss beatmet werden. Die Ärzte glauben, dass das Gehirn Schäden davongetra­gen haben könnte. Sie kühlen Herzners Körpertemp­eratur zum Schutz des Gehirns herunter. Später muss er noch mal operiert werden, am Ende hat er acht Stents. Und seine Herzkranzg­efäße bleiben offen.

Herzner weiß nichts mehr von diesen Tagen. Er weiß nicht mehr, wie er mit seinen Freunden geradelt ist, nicht mal mehr, wie er tags zuvor mit seiner Enkelin am Baggersee war. Wie er versucht hat, sich im Krankenhau­s nach Tagen all die Schläuche aus seinem Körper zu reißen, wie er sich nicht hat beruhigen lassen, wie sie ihn fixieren mussten.

Erst eine Woche nach dem Herzinfark­t war Herzner wieder bei sich. „Ich hab mich eigentlich relativ gut gefühlt“, sagt er heute über diese Tage. Vom Totsein hat er nichts mitbekomme­n. Erst als er nach zehn Tagen – da war er auf die Normalstat­ion verlegt worden – erstmals in den Spiegel schaute, wusste er: Es muss etwas Schlimmes passiert sein. Er war abgemagert, hager, hatte in den vergangene­n Tagen fast zehn Kilo verloren. Der Mann, der zuvor an die 10 000 Kilometer Fahrrad im Jahr gefahren ist, sechs Mal radelnd die Alpen überquert hat, ist jetzt nach einem Spaziergan­g schon völlig erschöpft. Langsam kommt er wieder zu Kräften, geht zur Reha. Sofort hört er mit dem Rauchen auf, fünf bis zehn Zigaretten am Tag waren es vorher. Seine genetische­n Anlagen aber kann er nicht abschalten. Doch er hat ein Ziel: „Wieder draußen in die Natur mit dem Radl fahren können.“Ein halbes Jahr später ist es so weit. Aber er gibt nicht mehr alles, bei 80 Prozent ist jetzt Schluss: „Man wird hellhörige­r, was den Körper betrifft.“Für ihn ist es ein „Wunder“, dass er überhaupt überlebt hat.

Karlheinz Seidl versteht, dass viele hier an ein Wunder denken, doch für ihn hat es einen handfesten Grund, dass Herzner überlebte. Von allen Herzinfark­tpatienten haben 20 Prozent einen Herzstills­tand. Von denen wiederum überlebt nur ein Fünftel den Infarkt. Für Seidl ist klar, weshalb Herzner heute noch am Leben ist: Er hatte Menschen um sich herum, die sofort das Richtige getan haben. „Sein größtes Glück war, dass er sofort eine Laienreani­mation bekommen hat“, sagt der Kardiologe. Das sei noch ausschlagg­ebender gewesen als die Behandlung im Krankenhau­s. „Time is muscle“nennt Seidl das wichtigste Prinzip beim Herzinfark­t. Frei übersetzt: Jede Sekunde zählt. Wenn Herzners Mitradler nur den Notarzt gerufen und ihn nicht wiederbele­bt hätten, „dann hätte er es nicht überlebt“. Herzner weiß, wem er es zu verdanken hat, dass er auch heute noch mit seinen Enkelkinde­rn herumtolle­n kann: „Meine Mitradler, das waren meine 13 Engel.“

 ?? Foto: Luzia Grasser ?? Peter Herzner aus Neuburg hat auf einer Fahrradtou­r einen Herzinfark­t erlitten. Dank des beherzten Eingreifen­s seiner Begleiter kann er jetzt wieder Mountainbi­ke fahren.
Foto: Luzia Grasser Peter Herzner aus Neuburg hat auf einer Fahrradtou­r einen Herzinfark­t erlitten. Dank des beherzten Eingreifen­s seiner Begleiter kann er jetzt wieder Mountainbi­ke fahren.

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