Hinrichtung eines vorbildlichen Kaisers
Premiere Szenisch überfrachtet, musikalisch ein Glücksfall: Mozarts „La clemenza di Tito“am Staatstheater Augsburg
Augsburg Neulich machte weit über Österreich hinaus das Wörtchen „Prätorianer“die Runde. Die eine oder der andere wird daraufhin zum Fremdwörterbuch gegriffen und die Übersetzung „Leibwächter“, insbesondere im alten, mitunter verschärft-dekadenten Rom, gefunden haben. Es war nämlich so, dass der halbseidene österreichische Steigbügelhalter S. gegenüber dem gewesenen österreichischen Kanzler K. als Prätorianer geliebedient hatte und sich als solchen weiter empfahl.
Das wird den Regisseur Wojtek Klemm der jüngsten Opernproduktion am Staatstheater Augsburg gewiss bei den Proben beflügelt und zu manchem sarkastischen Kommentar getrieben haben. Findet sich doch in Mozarts später Opera seria „La clemenza di Tito“, hierzulande kurz „Titus“geheißen, auch der Begriff Prätorianer, Leibgarde des Kaisers. Das musste Klemm in seine extrem politische Sicht und Inszenierung der Oper passen, ihn geradezu bestätigen.
Klemm beabsichtigte viel, sehr viel. Mit Titus wollte er römische Geschichte nicht nur im Speziellen aufarbeiten, sondern auch prinzipiell: als Kreislauf von (blutigem) Aufstieg und (Attentats-)fall bis in unsere Tage hinein (Kostüme: Julia Kornacka). Klemm hatte vor dem
Hintergrund (gesellschafts-)politischer Missstände die ganz große Parabel über böse Machtspiele und mögliche Geschichtsklitterung im Sinn – und griff zu einer Bilderflut von Videos (Natan Berkowicz) mit unter anderem großem Fressen, Fahndungsfotos, Demonstrationen, Menschenkäfigen, Fleischzerteilung. Das lenkt oftmals arg ab vom eigentlichen, zentralen Bühnengeschehen und bietet oft wenig bis gar keinen Zugewinn. Wie bitterernst es Klemm im Allgemeinen ist, belegt auch ein hinzu verfasster Monolog des Titus, der – mit teils kryptischen Reflexionen – in der dem Publikum und seinen Widersachern vorgehaltenen Erkenntnis mündet: Ekel haben zu können ist ein Privileg. In der Überfrachtung dieses Titus bleibt sein Finale immerhin schlüssig: Titus und Vitellia werden von Annio coram publico erschossen. Hie und da aber verfällt der Betrachter kurzzeitig auf den Gedanken, ob diese Inszenierung nicht besser auf Monteverdis Poppeaund Nero-oper passen könnte...
Denn Titus ist zumindest bei Mozart ein ausgesprochen feinsinniger, gütiger, skrupulöser Kaiser – und das ganze Werk weniger Generalabrechnung als eindeutig Hof-, Repräsentations-, vor allem Huldigungsoper. Sie winkt eher mit dem Zaunpfahl, wie ein Herrscher zu sein habe, als dass sie grundsätzlich Aufstieg
und Fall thematisiert. Ihre Konflikte sind privater, seelischer Natur. Das ist natürlich schwerer zu inszenieren als ein Rundumschlag...
Gut, dass die musikalische Seite der Produktion regelmäßig zurecht rückt, dass hier in erster Linie innere Kämpfe zu bestehen sind. Kämpfe
um Rache aufgrund verschmähter Liebe, Kämpfe um Räson, Kämpfe, dass Gnade vor Recht ergehe. Dafür steht am Staatstheater zur Premiere ein fast durchweg vortreffliches Mozart-ensemble aus drei Hausmitgliedern und drei Gästen zur Verfügung, offenbar ganz gezielt zusammengestellt. Mit ihrer „Hörigkeits“-arie „Parto, ma tu ben mio“, mehr noch mit ihrem Todeserwartungsrondo „Deh per questo istante solo“gelingen Natalya Boeva zwei Brillanten an Innigkeit, Zerrissenheit, Strahlkraft. Große Klasse.
Und Mirko Roschkowski als Titus ist ein leichtgängiger, prägnanter, männlicher Mozart-tenor, der nur noch den allerletzten Schliff in höchster Koloraturen-lage zu bewältigen hat. Auf Ekaterina Aleksandrova (Annio), eine souveräne Sängerdarstellerin von bemerkenswerter Gestaltungskraft, sollte weiterhin ein Auge und damit zwei Ohren geworfen werden; Jihyun Cecilia Lee (Servilia) berückt erneut durch Klangschönheit. Torben Jürgens singt einen psychisch leicht verschrobenen Publio. Ein Augsburger Sonderfall aber ist Sally du Randt als Vitellia. Viel später hätte diese Rolle für sie wirklich nicht kommen dürfen. Nicht, weil sie Mozart – seit Jahrzehnten – nicht singen kann, sondern weil sie längst in dramatischere Bereiche vorgedrungen ist.
Domonkos Héja, die Philharmoniker und der Chor aber sind deswegen zu rühmen, weil sie – tendenziell stark historisch informiert – einen so präzisen wie blutvoll-packenden Mozart-„titus“hinlegen. Dies ein Glücksfall für das Haus.
Wieder am 6., 13., 19. November