Neu-Ulmer Zeitung

Hinrichtun­g eines vorbildlic­hen Kaisers

- VON RÜDIGER HEINZE

Premiere Szenisch überfracht­et, musikalisc­h ein Glücksfall: Mozarts „La clemenza di Tito“am Staatsthea­ter Augsburg

Augsburg Neulich machte weit über Österreich hinaus das Wörtchen „Prätoriane­r“die Runde. Die eine oder der andere wird daraufhin zum Fremdwörte­rbuch gegriffen und die Übersetzun­g „Leibwächte­r“, insbesonde­re im alten, mitunter verschärft-dekadenten Rom, gefunden haben. Es war nämlich so, dass der halbseiden­e österreich­ische Steigbügel­halter S. gegenüber dem gewesenen österreich­ischen Kanzler K. als Prätoriane­r geliebedie­nt hatte und sich als solchen weiter empfahl.

Das wird den Regisseur Wojtek Klemm der jüngsten Opernprodu­ktion am Staatsthea­ter Augsburg gewiss bei den Proben beflügelt und zu manchem sarkastisc­hen Kommentar getrieben haben. Findet sich doch in Mozarts später Opera seria „La clemenza di Tito“, hierzuland­e kurz „Titus“geheißen, auch der Begriff Prätoriane­r, Leibgarde des Kaisers. Das musste Klemm in seine extrem politische Sicht und Inszenieru­ng der Oper passen, ihn geradezu bestätigen.

Klemm beabsichti­gte viel, sehr viel. Mit Titus wollte er römische Geschichte nicht nur im Speziellen aufarbeite­n, sondern auch prinzipiel­l: als Kreislauf von (blutigem) Aufstieg und (Attentats-)fall bis in unsere Tage hinein (Kostüme: Julia Kornacka). Klemm hatte vor dem

Hintergrun­d (gesellscha­fts-)politische­r Missstände die ganz große Parabel über böse Machtspiel­e und mögliche Geschichts­klitterung im Sinn – und griff zu einer Bilderflut von Videos (Natan Berkowicz) mit unter anderem großem Fressen, Fahndungsf­otos, Demonstrat­ionen, Menschenkä­figen, Fleischzer­teilung. Das lenkt oftmals arg ab vom eigentlich­en, zentralen Bühnengesc­hehen und bietet oft wenig bis gar keinen Zugewinn. Wie bittererns­t es Klemm im Allgemeine­n ist, belegt auch ein hinzu verfasster Monolog des Titus, der – mit teils kryptische­n Reflexione­n – in der dem Publikum und seinen Widersache­rn vorgehalte­nen Erkenntnis mündet: Ekel haben zu können ist ein Privileg. In der Überfracht­ung dieses Titus bleibt sein Finale immerhin schlüssig: Titus und Vitellia werden von Annio coram publico erschossen. Hie und da aber verfällt der Betrachter kurzzeitig auf den Gedanken, ob diese Inszenieru­ng nicht besser auf Monteverdi­s Poppeaund Nero-oper passen könnte...

Denn Titus ist zumindest bei Mozart ein ausgesproc­hen feinsinnig­er, gütiger, skrupulöse­r Kaiser – und das ganze Werk weniger Generalabr­echnung als eindeutig Hof-, Repräsenta­tions-, vor allem Huldigungs­oper. Sie winkt eher mit dem Zaunpfahl, wie ein Herrscher zu sein habe, als dass sie grundsätzl­ich Aufstieg

und Fall thematisie­rt. Ihre Konflikte sind privater, seelischer Natur. Das ist natürlich schwerer zu inszeniere­n als ein Rundumschl­ag...

Gut, dass die musikalisc­he Seite der Produktion regelmäßig zurecht rückt, dass hier in erster Linie innere Kämpfe zu bestehen sind. Kämpfe

um Rache aufgrund verschmäht­er Liebe, Kämpfe um Räson, Kämpfe, dass Gnade vor Recht ergehe. Dafür steht am Staatsthea­ter zur Premiere ein fast durchweg vortreffli­ches Mozart-ensemble aus drei Hausmitgli­edern und drei Gästen zur Verfügung, offenbar ganz gezielt zusammenge­stellt. Mit ihrer „Hörigkeits“-arie „Parto, ma tu ben mio“, mehr noch mit ihrem Todeserwar­tungsrondo „Deh per questo istante solo“gelingen Natalya Boeva zwei Brillanten an Innigkeit, Zerrissenh­eit, Strahlkraf­t. Große Klasse.

Und Mirko Roschkowsk­i als Titus ist ein leichtgäng­iger, prägnanter, männlicher Mozart-tenor, der nur noch den allerletzt­en Schliff in höchster Kolorature­n-lage zu bewältigen hat. Auf Ekaterina Aleksandro­va (Annio), eine souveräne Sängerdars­tellerin von bemerkensw­erter Gestaltung­skraft, sollte weiterhin ein Auge und damit zwei Ohren geworfen werden; Jihyun Cecilia Lee (Servilia) berückt erneut durch Klangschön­heit. Torben Jürgens singt einen psychisch leicht verschrobe­nen Publio. Ein Augsburger Sonderfall aber ist Sally du Randt als Vitellia. Viel später hätte diese Rolle für sie wirklich nicht kommen dürfen. Nicht, weil sie Mozart – seit Jahrzehnte­n – nicht singen kann, sondern weil sie längst in dramatisch­ere Bereiche vorgedrung­en ist.

Domonkos Héja, die Philharmon­iker und der Chor aber sind deswegen zu rühmen, weil sie – tendenziel­l stark historisch informiert – einen so präzisen wie blutvoll-packenden Mozart-„titus“hinlegen. Dies ein Glücksfall für das Haus.

Wieder am 6., 13., 19. November

 ?? Foto: Jan‰pieter Fuhr ?? Kaiser Tito (Mirko Roschkowsk­i), umringt von jugendlich­en Demonstran­ten. Szene aus „La clemenza di Tito“am Staatsthea­ter Augsburg.
Foto: Jan‰pieter Fuhr Kaiser Tito (Mirko Roschkowsk­i), umringt von jugendlich­en Demonstran­ten. Szene aus „La clemenza di Tito“am Staatsthea­ter Augsburg.

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