Neu-Ulmer Zeitung

Tabuthema Inkontinen­z? Das raten Experten

- VON QUIRIN HÖNIG

Gesundheit Bei der Telefonakt­ion des Beckenbode­nzentrums der Kreisspita­lstiftung konnten Bürger und Bürgerinne­n

Experten anonym Fragen zum Thema Inkontinen­z stellen. Wir haben die Antworten gesammelt

Neu‰ulm Eine Stunde lang haben eine Ärztin und zwei Ärzte Bürgerinne­n und Bürger anonym zum Thema Inkontinen­z beraten. Bei der Telefonakt­ion des Beckenbode­nzentrums der Kreisspita­lstiftung Weißenhorn wurden viele Fragen an den Gynäkologe­n und an den Urologen gestellt. Die Proktologi­n hatte etwas weniger Anrufer. Das raten die Experten den Leidenden.

Der für die Telefonakt­ion eingeplant­e Chefarzt der Allgemeinc­hirurgie, Dr. Christian Bialas, war verhindert und wurde durch Deike Lippold-nusstein, Funktionso­berärztin Proktologi­e und Viszeralch­irurgie vertreten.

Schon vor dem offizielle­n Start um 17 Uhr klingelte das Telefon von Dr. Andreas Reich, dem Chefarzt der Frauenklin­ik an der Donauklini­k Neu-ulm, zum ersten Mal. Dann kommen Reich und Dr. Karl von Dobschütz, Oberarzt in der urologisch­en Klinik am Bundeswehr­krankenhau­s in Ulm, gar nicht mehr von ihren Telefonen weg. Die meisten Anfragen drehten sich um das Thema Harninkont­inenz, welche weitaus häufiger auftritt als Stuhlinkon­tinenz. Daher kamen auch vermehrt Anfragen an den Frauenarzt und den Urologen.

Als die Aktion um 18 Uhr vorbei war, haben sowohl Reich als auch von Dobschütz eine volle Stunde lang Fragen beantworte­t. „Ich bin sehr zufrieden“, sagte Reich, der auch Koordinato­r des Beckenbode­nzentrums ist. Bei der vergangene­n Telefonakt­ion im Juni 2019 sei die Resonanz nicht so groß gewesen.

Wer ist bei Inkontinen­z der erste Ansprechpa­rtner? Bei der Stuhlund Harninkont­inenz kann die betroffene Person zunächst in der hausärztli­chen Praxis vorspreche­n. Dann sollte allerdings eine fachärztli­che Vorstellun­g erfolgen. Bei der Harninkont­inenz seien natürlich auch die urologisch­en und gynäkologi­schen Praxen erste Ansprechpa­rtner, sagt Lippold-nusstein.

Eine 78-Jährige hat eine schwache Blase und hatte vor 10 Jahren eine Reizstrom-therapie. Sie leidet unter ständigem Urinverlus­t, trägt deswegen Windeln und geht nicht mehr außer Haus. Sie war seit zehn Jahren nicht mehr in Therapie. Andreas Reich empfahl der Frau, dass sie auf jeden Fall mit einer Ärztin oder einem Arzt ihres Vertrauens

sprechen solle, da nur so eine adäquate Therapie gefunden werden könne. Es gebe unterschie­dliche Inkontinen­zformen und bevor man eine Therapie empfehle, müsse man wissen, um welche Inkontinen­zform es sich handele. Viele Frauen warten laut Reich viel zu lange, bis sie einen Arzt aufzusuche­n.

Ein älterer Mann hatte vor acht Jahren eine große Operation am Mastdarm mit vorhergehe­nder Bestrahlun­g und Chemothera­pie. Jetzt hat er Probleme, den Stuhl zu kontrollie­ren, und ist dadurch eingeschrä­nkt in seinen Aktivitäte­n.

Deike Lippold-nusstein gab dem Mann einige Ratschläge, wie er mit einfachen Mittel seine Stuhlkonsi­stenz verändern und damit die Stuhlinkon­tinenz reduzieren kann. Sie empfahl dem Anrufer aber auch einige Untersuchu­ngen, um die Ursache der Stuhlinkon­tinenz festzustel­len. Dazu vereinbart­e sie mit dem Mann einen Termin in der Sprechstun­de.

Eine 76-Jährige leidet an Urinverlus­t, ihre Lebensqual­ität ist stark vermindert. Sie ist übergewich­tig, muss seit etwa zehn Jahren fast

stündlich auf die Toilette und kann deshalb nicht schlafen.

Dieser Anruferin riet Reich, dringend zum Arzt zu gehen, da eine chronische Schlafstör­ung durch häufig auftretend­e nächtliche Harndränge neben der deutlichen Reduktion der Lebensqual­ität auch das Risiko für Bluthochdr­uck, Herzinfark­t oder einen Schlaganfa­ll erhöhe. Reich empfahl bei dieser ausgeprägt­en Symptomati­k eine medikament­öse Therapie, die bei einer Reizblase, bei der der Blasenmusk­el überaktiv ist, Mittel der ersten Wahl wäre. Außerdem kann bei Übergewich­t auch eine Gewichtsab­nahme die Inkontinen­z verbessern.

Ein 70-Jähriger hat festgestel­lt, dass er dreimal nachts aufstehen und tagsüber häufig auf die Toilette muss.

Die Symptome sprechen, laut Karl von Dobschütz, dafür, dass er eine altersbedi­ngte Prostatave­rgrößerung hat. Diese führe dazu, dass sein Harnstrahl abgeschwäc­ht wird und der Blasenmusk­el bei jedem Wasserlass­en diesen erhöhten Auslasswid­erstand überwinden muss. In einem solchen Fall sei es wichtig, frühzeitig eine urologisch­e Praxis aufzusuche­n. Vielleicht könnten Medikament­e, die die Prostata entspannen, dabei helfen, den Harnstrahl wieder zu verbessern. Sollte eine medikament­öse Therapie keine Verbesseru­ng bringen, könnten laut Dobschütz kleinere Operatione­n Abhilfe schaffen. Durch Interventi­onen und kontinuier­liche urologisch­e Kontrolle im ambulanten Bereich lasse sich meist eine hohe Lebensqual­ität erreichen.

Eine 56-jährige Frau berichtet, dass ihr Darm auf die Scheidenhi­nterwand drückt. Sie empfindet das als störendes Senkungsge­fühl. Sie hat zwei normale Geburten erlebt und fragt, ob Beckenbode­ntraining in diesem Fall helfen könne.

Reich erklärte ihr, dass Beckenbode­ntraining als erster Therapiesc­hritt möglich sei. Dieses helfe aber häufig bei einer Senkungser­krankung nicht so gut wie bei einer Harninkont­inenz. Sollte ein konsequent durchgefüh­rtes Beckenbode­ntraining nicht helfen, solle sie zum Arzt gehen. Dieser könne nicht-operativ eine Pessarther­apie verordnen, bei der ein Kunststoff­ring in die Scheide eingesetzt wird. Es wäre aber auch möglich, das Problem durch eine Operation zu beheben. Die Senkungsop­eration führt in den meisten Fällen zu einer langfristi­gen Zufriedenh­eit, wobei eine Rückkehr des Problems im weiteren Leben möglich ist.

Eine 74-Jährige hat Urinverlus­t beim Niesen, beim Husten und bei der Gartenarbe­it.

Laut Reich ist diese Symptomati­k auf eine Schwäche des Harnröhren­verschluss­es zurückzufü­hren. Dafür gebe es mehrere Therapieop­tionen, wie Beckenbode­ngymnastik, eine Pessarther­apie oder eine kleine Operation, bei der ein Kunststoff­band um die Harnröhre gelegt wird.

Bürgerinne­n und Bürger, die sich zu dem Thema beraten lassen wollen, können sich an diese Stellen wenden: Bei Harninkont­inenz an die Urogynäkol­ogische Sprechstun­de der Donauklini­k Neu-ulm, Telefon: 0731/804-1809. Bei Stuhlinkon­tinenz an die Proktologi­sche Sprechstun­de der Stiftungsk­linik Weißenhorn, unter der Telefonnum­mer 07309/870-2550

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Foto: Inga Kjer, dpa (Symbolbild) Inkontinen­z ist häufig mit Scham besetzt. Eine Stunde lang berieten Experten anonym Leidende.
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MONTAG, 25. OKTOBER 2021
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Karl v. Dobschütz
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D. Lippold‰nusstein
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Andreas Reich

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