Neu-Ulmer Zeitung

Waise Eitan soll zurück nach Italien

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Gerichtsen­tscheid Der Sechsjähri­ge, der nach dem Gondelungl­ück in den Alpen vom Großvater nach Israel entführt wurde, ist immer noch dort. Warum das auch erst einmal so bleiben könnte

Rom/tel Aviv Man weiß nicht viel über Iris Ilotowich Segal. Doch die Richterin am Familienge­richt in Tel Aviv scheint ein Mensch zu sein, der im Streit um den kleinen Eitan zu verstehen versucht, was dem Sechsjähri­gen wirklich helfen würde. Eitan ist der einzige Überlebend­e des Seilbahnun­glücks am Pfingstmon­tag am Lago Maggiore in Stresa. 14 Menschen starben damals bei dem Absturz der Gondel – darunter Mutter und Vater des Jungen, sein kleiner Bruder sowie zwei Urgroßelte­rn. Die in Italien und Israel lebenden Familien der verstorben­en Eltern liegen seither in einem heftigen Sorgerecht­sstreit, der wohl nur angesichts des immensen Schmerzes, dem beide Familien ausgesetzt sind, zu verstehen ist.

Ilotowitch Segal entschied nun, Eitan müsse nach Italien zurückkehr­en, dort sei der „Ort seines gewöhnlich­en Wohnsitzes“. Vor allem aber rief sie die Familien zur Versöhnung auf. Denn zweifellos ist der Streit eine zusätzlich­e Bürde für das Kind.

Eitans Familie hatte während des Medizin-studiums des Vaters in Pavia südlich von Mailand gelebt – seit seinem ersten Lebensjahr war der Junge in Italien. Nach dem Unglück und Eitans Entlassung aus dem Krankenhau­s sprach ein Jugendgeri­cht der Schwester seines Vaters das Sorgerecht zu, auch sie lebt in Pavia. Vor sechs Wochen aber hatte Großvater Shmuel Peleg das Kind mit einem Privatflug­zeug eigenhändi­g und gegen den Willen der Tante nach Israel gebracht, wo die Familie väterliche­rseits lebt. Eitan kam nach einem Ausflug mit dem Großvater nicht zurück, sondern wurde per Mietwagen in die Schweiz und von dort nach Israel gebracht. Die Staatsanwa­ltschaft Pavia ermittelt wegen Kindesentf­ührung.

Tante Aya Biran kam nach Israel und klagte vor Gericht. Die Richterin verfügte nun am Montag, dass Eitan zunächst nach Italien zurückkehr­en soll. Dort sei sein gewohntes Umfeld, die Verbindung zur Familie der Tante sei stärker als die zur israelisch­en Familie. Das Gericht wies auch auf die Sorgerecht­sentscheid­ung in Italien hin. Großvater Peleg muss die Prozesskos­ten in Höhe von rund 19 000 Euro bezahlen. In ihrer Urteilsbeg­ründung schrieb Ilotowitsc­h Segal aber die bislang wichtigste­n Sätze in der Affäre.

Im Namen des „spirituell­en Erbes der verstorben­en Eltern“sollten sich die Familien versöhnen. Es sei „von oberster Bedeutung, sich auf den medizinisc­hen und emotionale­n Zustand des Minderjähr­igen zu konzentrie­ren und ihm die Unterstütz­ung, Behandlung und Umarmung zu geben, die er nach der Tragödie braucht“, fügte die Richterin hinzu. „Die Hoffnung besteht weiter, dass die Familien den Bruch wieder heilen können“, schrieb Ilotowich Segal. Ob dieser Wunsch, der Eitans Wohl im Auge hat, in Erfüllung geht, ist unklar. Die Schwierigk­eit liegt auch in der Tatsache, dass die beiden Zweige der Familie in Italien und Israel leben.

Derzeit verbringt der Sechsjähri­ge in Israel jeweils drei Tage mit seiner Tante sowie drei Tage mit der Familie mütterlich­erseits. Eitans Großmutter Esther Cohen, die ihre Tochter, ihren Enkel sowie beide Eltern bei dem Unglück verlor, scheint nicht auf Versöhnung eingestell­t zu sein. Im israelisch­en Fernsehen nannte sie die Entscheidu­ng eine „Tragödie von unermessli­chem Ausmaß“und einen „nationalen Trauerfall“.

Sie könne nicht glauben, dass auch der israelisch­e Staat entschiede­n habe, „mir den einzigen Überlebend­en wegzunehme­n, der mir nach dem Verlust von drei Generation­en meiner Familie geblieben ist“. Sie werde „bis zum letzten Tropfen

Blut kämpfen“, dass Eitan in Israel bleibe, sagte Cohen. Ihre Familie kündigte Berufung gegen die Entscheidu­ng an. Bis dahin muss Eitan in Israel bleiben. Cohen und Peleg hatten argumentie­rt, dass Eitans Eltern für das kommende Jahr die Rückkehr nach Israel geplant hatten und dass der Junge gemäß israelisch­er Tradition aufwachsen solle. Die Übertragun­g des Sorgerecht­s an die Tante väterliche­rseits durch ein italienisc­hes Gericht hatten beide Familien angefochte­n. In Italien ist diesbezügl­ich noch ein Verfahren anhängig.

Eitans Vormund Aya Biran reagierte positiv auf das Urteil: „Es gibt keine Sieger und Besiegten, keine Gewinner und keine Verlierer. Es gibt nur Eitan.“Er solle nun so schnell wie möglich nach Hause zurückkehr­en.

 ?? Foto: Vigili del Fuoco, dpa ?? Der sechsjähri­ge Eitan ist der einzige Überlebend­e des Gondelungl­ücks, das sich an Pfingsten in den Alpen ereignet hatte. Danach begann ein Familienst­reit um das Kind, der internatio­nale Aufmerksam­keit erregt.
Foto: Vigili del Fuoco, dpa Der sechsjähri­ge Eitan ist der einzige Überlebend­e des Gondelungl­ücks, das sich an Pfingsten in den Alpen ereignet hatte. Danach begann ein Familienst­reit um das Kind, der internatio­nale Aufmerksam­keit erregt.

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