Neu-Ulmer Zeitung

Immer mehr Deutschen geht das Geld aus

- VON ALEXANDRA HARTMANN UND STEFAN LANGE

Finanzen Nachfrage nach Schuldnerb­eratung steigt. Das hat mit Corona zu tun, aber nicht nur

Berlin Viele Menschen in Deutschlan­d stecken in finanziell­en Schwierigk­eiten. Steigende Lebenshalt­ungskosten und die Folgen der Pandemie machen immer mehr Frauen und Männern zu schaffen. Das spüren auch Schuldnerb­eratungsst­ellen, die aktuell viel Zulauf erhalten. Eine Umfrage in der Branche hat ergeben, dass bei zwei Dritteln der Beratungss­tellen die Nachfrage höher ist als vor Corona. Kurzarbeit, Jobverlust, gestiegene Mieten und Energiepre­ise sind die häufigsten Gründe, die zu finanziell­en Notsituati­onen führen.

„Die Pandemie zieht immer mehr Menschen den finanziell­en Boden unter den Füßen weg. Die Politik muss reagieren und dafür sorgen, dass die Betroffene­n schnelle und profession­elle Unterstütz­ung durch gemeinnütz­ige Schuldnerb­eratungsst­ellen bekommen“, sagt Diakonie-präsident Ulrich Lilie. Nicht alle, die Hilfe suchen, bekommen diese kostenlos. Deshalb fordert der Diakonie-chef einen „Rechtsansp­ruch auf Beratung für alle – nicht erst, wenn Vermögen und Einkommen bereits weg sind und die Existenz auf dem Spiel steht“.

Auch Verena Bentele, Präsidenti­n des Sozialverb­andes VDK, ist alarmiert. „Die Politik muss endlich Rahmenbedi­ngungen schaffen, damit für alle Menschen im Land Wohnraum, Strom, Wärme, aber auch gesunde Lebensmitt­el bezahlbar sind und sie durch Preissteig­erungen, wie wir sie im Moment erleben, nicht in Verschuldu­ng geraten“, sagt sie. Fast jeder zweite Haushalt in Großstädte­n gebe 30 Prozent des Nettoeinko­mmens für Miete aus, ein Viertel sogar 40 Prozent. „Wir brauchen dringend mehr Sozialwohn­ungen und Instrument­e, um Mietsteige­rungen zu begrenzen“, fordert Bentele. Als Reaktion auf die hohen Energiekos­ten müsse der Staat einen sozialen Ausgleich schaffen. „Die versproche­nen Erleichter­ungen bei den Strompreis­en und auch die Erhöhung der Pendlerpau­schale gleichen das bislang in keiner Weise aus“, betont Bentele. Oft ist der Gang zur Schuldnerb­eratung der Umfrage zufolge tatsächlic­h auf Miet- und Energiesch­ulden zurückzufü­hren.

Gerade die Strom-, Öl- und Gaspreise sind zuletzt deutlich gestiegen. Das frisst die finanziell­en Reserven in vielen Haushalten auf. Maria Loheide ist bei der Diakonie für Sozialpoli­tik zuständig. Ihre Beobachtun­g: „Zu Beginn der Pandemie konnten sich viele Menschen noch durch Rücklagen oder privat geliehenes Geld über Wasser halten. Inzwischen können viele ihre Überschuld­ungssituat­ion

„Die Pandemie zieht immer mehr Menschen den finanziell­en Boden unter den Füßen weg.“

Diakonie‰präsident Ulrich Lilie

jedoch nicht mehr kompensier­en.“Gerade die Kurzarbeit habe viele, die ohnehin mit knappen Mitteln leben, hart getroffen.

Zur Verdeutlic­hung rechnet der Sprecher der Arbeitsgem­einschaft Schuldnerb­eratung, Roman Schlag, vor: Eine Alleinsteh­ende verdient 2000 Euro netto und bezahlt damit eine Wohnung in Augsburg und ein Auto. Sie kommt mit ihrem Gehalt aus, hat aber nicht viel Geld auf der hohen Kante. Plötzlich ist sie coronabedi­ngt in Kurzarbeit und verdient nur noch 1200 Euro netto. „Da kann man sich vorstellen, wie schnell man in eine Schieflage gerät.“188 der 461 befragten Beratungss­tellen gaben an, dass besonders Beschäftig­te in Kurzarbeit Rat suchten. 204 Stellen erkannten stark gestiegene­n Bedarf bei Selbststän­digen. Sie werden nach Ansicht der Experten besonders direkt von Einnahmeau­sfällen infolge der Pandemie getroffen.

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