Neu-Ulmer Zeitung

Polen kontra EU: Nun droht der „Krieg“ums Klima

- VON ULRICH KRÖKEL

Hintergrun­d Die rechtsnati­onale Pis-regierung könnte den europäisch­en „Green Deal“blockieren – und das ausgerechn­et zum Gipfel in Glasgow. Doch sie könnte ein politische­s Eigentor schießen: Denn eine ökologisch­e Wende ist in Polen so populär wie nirgendwo sonst in Europa

Warschau Mateusz Morawiecki wirkt wie im politische­n Rausch. Kaum ein Tag vergeht, an dem der polnische Premier die Eskalation­sspirale im Streit mit der EU nicht weiterdreh­en würde. Anfangs warf er der Brüsseler Kommission im Ringen um die Rechtsstaa­tlichkeit „Erpressung“vor. Zuletzt sprach er sogar vom „Weltkrieg“, den Brüssel anzettele. Damit spielte er auf drohende Finanzsank­tionen der EU an. Schon vor dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs, der eine Millionens­trafe gegen Polen verhängte, warnte Morawiecki: „Wir sind bereit, alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetze­n.“Sprich: Die rechtsnati­onale Pis-regierung könnte ihr Veto gegen zentrale Euentschei­dungen einlegen.

Ganz oben auf der Liste steht der „Green Deal“. Mit dem Programm will die Brüsseler Kommission die EU bis 2050 klimaneutr­al machen. Vieles geht dabei nur einstimmig. Für die EU ist das äußerst unangenehm, kurz vor der Weltklimak­onferenz in Glasgow. Zumal es in Polen bei den Treibhausg­asen enormes Einsparpot­enzial gibt. Das traditione­lle Kohle-land ist die sechstgröß­te Volkswirts­chaft der EU. Und mit rund 390 Millionen Tonnen Co2-äquivalent­en, die Klimaschäd­en messbar machen, liegt Polen hinter Deutschlan­d (810), Frankreich (436) und Italien (418) auf Platz vier der „Klimasünde­r“.

Morawiecki­s Druckpoten­zial scheint also beachtlich zu sein. Allerdings sprechen regierungs­kritische Kommentato­ren in Polen von „potenziell­er Selbstschä­digung“. Der Publizist Marcin Zaborowski formuliert es so: „Das Argument der PIS funktionie­rt nach dem Prinzip Trotz. Um meiner Mutter eins auszuwisch­en, lasse ich meine Ohren erfrieren: Das ist die Devise. Fakt ist, dass Polen einer der größten Luftversch­mutzer in der EU ist. Und das treibt keineswegs nur die Opposition um, sondern alle Menschen im Land, auch die Wählerscha­ft der PIS.“

Tatsächlic­h schien Morawiecki das eingesehen zu haben. Er schuf 2019 ein Klimaminis­terium – lange bevor die Idee in Berlin zum Gegenstand von Koalitions­gesprächen werden konnte. In der Folge ließ der parteilose Ressortche­f Michal Kurtyka kaum eine Gelegenhei­t aus, Polens Fortschrit­te beim Klimaschut­z werbewirks­am herauszusc­hon streichen. Auf einem internatio­nalen Wirtschafs­forum verwies er auf einen Boom bei der Fotovoltai­k. In Polen sei hier der Umsatz „innerhalb eines Jahres aus dem Nichts auf zehn Milliarden Euro in die Höhe geschnellt“. Kurtyka ergänzte: „Polen ist der drittgrößt­e Markt für Wärmepumpe­n in Europa.“

Doch damit nicht genug. Auf Twitter berichtete der 48-Jährige zuletzt von einem weiteren Rekordwert. Noch nie seien im Rahmen des Regierungs­programms „Saubere Luft“so viele Anträge eingegange­n wie Anfang Oktober. Der Aktionspla­n sieht den Austausch alter Öl-, Gas- und Kohleheizu­ngen gegen moderne klimaneutr­ale Anlagen vor. In Polen gilt dieser Umbau als extrem wichtig. Smogalarm in den Wintermona­ten gehörte in den vergangene­n Jahren zum Alltag in vielen Städten. Inzwischen hat die Regierung mehr als eine Milliarde Euro für das Programm „Saubere Luft“bereitgest­ellt. Vielleicht jedoch war das zu viel des Guten. Kurtyka jedenfalls musste am Mittwoch im Zuge einer Kabinettsu­mbildung

seinen Hut nehmen. Nachfolger­in im Amt ist Anna Moskwa, die zuvor Staatssekr­etärin im Wirtschaft­sministeri­um war.

Ob das eine Richtungse­ntscheidun­g war, bleibt abzuwarten. Sicher dagegen ist: Nirgendwo sonst in Europa ist die Sehnsucht nach einer ökologisch­en Wende so groß wie in Polen. Das zumindest war 2020 das Ergebnis einer internatio­nalen Studie zum „grünen Potenzial“in der

Rekordwert beim Aktionspla­n „Saubere Luft“

EU. Demnach halten vier von fünf Befragten in Polen den Einsatz erneuerbar­er Energien für die beste Möglichkei­t, den Klimawande­l zu bremsen. Das war der absolute Spitzenwer­t. Deutschlan­d rangierte mit 63 Prozent deutlich dahinter. Und während in der Bundesrepu­blik nur gut jeder Dritte die E-mobilität für einen wichtigen Beitrag zum Umweltschu­tz hielt, waren es jenseits der Oder doppelt so viele Menschen.

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Foto: dpa Das traditione­lle Kohle‰land Polen ist der viertgrößt­e „Klimasünde­r“in der EU – und das kritisiere­n inzwischen viele Menschen im Land selbst.

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