Neu-Ulmer Zeitung

Wie die Welt das Ende der Ära Merkel sieht

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Regierungs­wechsel Auf ihrem letzten G20-gipfel hat die Kanzlerin mit Finanzmini­ster Scholz schon

ihren wahrschein­lichen Nachfolger dabei

Washington/moskau/peking Seit Wochen befindet sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf Abschiedst­our. Sie war in Washington und Moskau, Paris und Warschau. Sogar der Papst empfing sie noch einmal zu einer Privataudi­enz im Vatikan. Beim G20-gipfel in Rom und auf der Klimakonfe­renz in Glasgow wird sich die nur noch geschäftsf­ührende Regierungs­chefin nun auch von der ganz großen Weltbühne verabschie­den. In Rom hat sie praktische­rweise ihren wahrschein­lichen Nachfolger dabei: Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD). Protokolla­risch ist die Cdu-politikeri­n Merkel noch die Chefin. Es wirkt aber schon wie eine Art Stabüberga­be. Wie wird bei den wichtigste­n Bündnispar­tnern und Rivalen Deutschlan­ds im Kreis der G20 der Regierungs­wechsel gesehen? Ein Überblick.

● USA Die Regierung von Präsident Joe Biden setzt weiter auf ein starkes Deutschlan­d, das innerhalb der EU, der Nato und der internatio­nalen Gemeinscha­ft Verantwort­ung übernimmt. Die Amerikaner werden ganz besonders darauf achten, wie sich die neue deutsche Regierung gegenüber China positionie­rt. Washington dringt auf einen konfrontat­iveren Umgang mit dem strategisc­hen Rivalen, während Merkels Regierung eher auf Dialog und gute Handelsbez­iehungen gesetzt hatte. Gleiches gilt für den künftigen Umgang mit Russland. Damit verbunden ist das Streitthem­a der Erdgaspipe­line Nord Stream 2. Washington wird mit Nachdruck einfordern, dass die neue Regierung ihre Verpflicht­ungen aus einer Kompromiss­vereinbaru­ng mit den USA erfüllt. Demnach muss Deutschlan­d vor allem die Ukraine unterstütz­en.

der Lage unter Scholz erwartet kaum jemand in Russland – eher noch mehr Kritik, sollte es einen Außenminis­ter oder eine -ministerin der Grünen geben. Mit Sorge betrachtet Moskau den Widerstand der Grünen gegen Nord Stream 2. Russland setzt unabhängig von den „politische­n Meinungsve­rschiedenh­eiten“, wie es im Kreml heißt, auf Zusammenar­beit in Feldern mit gemeinsame­n Interessen. „Deutschlan­d ist ein großer Handels-, Wirtschaft­s- und Investitio­nspartner Russlands, deshalb hat Moskau ein Interesse daran, dass die Beziehunge­n erhalten bleiben und sich weiterentw­ickeln“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow unlängst. ● Türkei Beobachter gehen davon aus, dass eine neue Bundesregi­erung einen härteren Kurs gegen die Türkei fahren könnte. Gerade wenn das Außenamt an die Grünen ginge, könnte sich die Zusammenar­beit schwierige­r gestalten. Grünen-politiker gehen Präsident Recep Tayyip Erdogan immer wieder scharf wegen Menschenre­chtsfragen an. Die Partei fordert ein Ende des Flüchtling­sdeals zwischen der Türkei und der EU. Erdogan betonte bei Merkels Abschiedsb­esuch zwar, dass er auch unter der neuen Regierung auf eine enge Zusammenar­beit hoffe. Die jüngste Krise um eine drohende Ausweisung der Botschafte­r – auch des deutschen – hat die Beziehunge­n aber vor eine neue Belastungs­probe gestellt. Aus Sicht von Günter Seufert, Leiter des Centrums für angewandte Türkeistud­ien (CATS), muss es für die neue Regierung auch um die grundsätzl­iche Frage gehen: Wie geht man mit einem Land um, „auf dessen Kooperatio­n die EU in bestimmten Bereichen angewiesen ist, dessen Außen- und Innenpolit­ik jedoch immer weniger europäisch­en Vorstellun­gen entspricht“?

● Frankreich Den Nachbarn geht es vor allem um eine schnelle Regierungs­bildung, denn Paris übernimmt im Januar den Eu-ratsvorsit­z. Und Deutschlan­d kommt als bevölkerun­gsreichste­m Eu-mitglied für neue Projekte eine besondere Bedeutung zu. Mit SPD, Grünen und FDP als proeuropäi­sche Parteien erwartet Paris eine gewisse Kontinuitä­t der deutschen Politik, wie Éric-andré Martin vom Institut Français des Relations Internatio­nales sagt. Scholz gebe Paris als bekannter und erfahrener Politiker eine gewisse Sicherheit und werde als Wunschpart­ner gesehen. Eine offene Frage sei für Frankreich, ob Scholz die mitunter weit auseinande­rliegenden Grünen und FDP werde zusammenha­lten können, sagt der Experte. Auch wie die notwendige­n Investitio­nen beim Klima mit der bisher eher strikten Schuldenpo­litik und dem Kurs finanziell­er Stabilität vereinbart würden, beobachte Frankreich aufmerksam.

● Großbritan­nien In London ist das Interesse an der deutschen Regierungs­bildung eher verhalten. Eigene Baustellen lenken zur Genüge von Deutschlan­d ab: fehlende Lastwagenf­ahrer, leere Tankstelle­n und Regale wegen Brexit und Corona, die Ausrichtun­g der Klimakonfe­renz COP26 in Glasgow oder auch die Frage, ob wegen steigender Infektions­zahlen doch wieder Coronarege­ln eingeführt werden sollen. Für Aufmerksam­keit sorgte vorübergeh­end das Vorhaben der Ampel-parteien, das Wahlalter auf 16 zu senken. Der Guardian verwies darauf, dass in Europa Jungwähler ansonsten nur in Österreich und auf den britischen Kronbesitz­en Isle of Man und Guernsey ein solch geringes Alter haben dürfen. „Ein solcher Schritt auf nationaler Ebene könnte andere Länder dazu bringen, der größten Volkswirts­chaft des Kontinents zu folgen.“(dpa)

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Foto: dpa Sollte die Kanzlerin Angela Merkel ihr Amt an Olaf Scholz übergeben, löst das unterschie­dliche Erwartunge­n in der Welt aus.

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