Wo sind die Intensivbetten geblieben?
Pandemie In Bayern wächst die Anzahl der schweren Covid-fälle wieder. Zugleich gibt es aber 700 Plätze weniger auf den Stationen als vor einem Jahr, um sie zu versorgen. Woran das liegt
München Die kühlere Jahreszeit hält Einzug, das Aufkommen von Corona-infektionen häuft sich wieder massiv – und die bayerischen Intensivstationen, die mit der Versorgung schwerer Corona-fälle betraut sind, sind mancherorts schon völlig ausgelastet. Es gibt aktuell im Freistaat mit 359 Covid-intensivfällen (Stand 27. Oktober) wesentlich mehr als etwa vor einem Jahr, als am 27. Oktober 129 Intensivbetten mit Covidfällen belegt waren. Dazu kommt ein Riesenproblem: Im Vergleich zum vergangenen Oktober gibt es nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin (Divi) rund 700 Intensivbetten weniger, die in Bayern zur Verfügung stehen. Doch woran liegt das eigentlich?
Eine interessante Frage, denn schon seit langer Zeit wird unter anderem in Kreisen von Corona-skeptikern behauptet, dass die Zahl der Intensivbetten künstlich verknappt wird. Es würden Betten geschlossen, um dann zu sagen, die Intensivstationen seien prozentual gesehen voll. Und dann bekomme man mehr Zuschüsse vom Staat. „Wir können diese Behauptungen nur immer wieder kopfschüttelnd verneinen“, betont Professor Gernot Marx, Präsident der Divi und Direktor der Klinik für operative Intensivmedizin an der Uniklinik Aachen, gegenüber unserer Redaktion. „Ein betreibbares Intensivbett, in dem ein Patient liegt, rechnet sich für jede Klinik. Hier wird Geld verdient. Es absichtlich nicht zur Verfügung zu stellen und dann darauf zu hoffen, dass der Staat Zuschüsse zahlt, würde jeden Klinikmanager den Job kosten“, sagt Marx.
Der Grund für die deutlich kleinere Anzahl der Intensivbetten im Freistaat – 3112 derzeit und 3789 vor genau einem Jahr – sei viel einfacherer Natur: „Das Problem ist der Pflegekräftemangel“, sagt Marx. Es war schon vor der Coronakrise schwierig, Pflegepersonal für die schwierige und kräftezehrende Arbeit auf den Intensivstationen zu bekommen. Zumal in den Großstädten, wo die Lebenshaltungskosten für Menschen mit den Gehaltsstufen der Pflege oft zu hoch sind.
Für die anspruchsvolle Versorgung der Patienten auf Intensivstationen gibt es überdies eine gesetzliche Untergrenze: „Sie dürfen als Intensivstation die Betten nur belegen, wenn tagsüber für zwei Patienten eine Pflegekraft anwesend ist.“Nachts sind pro Pflegekraft drei Patienten vorgesehen. „Haben Sie zu wenig Personal, bleiben die Betten leer und werden nicht mehr bei uns im Register als ,vorhanden‘ gemeldet. Teilweise stehen derzeit ganze Abteilungen oder gar Stockwerke in Kliniken leer, weil die Pflegekräfte nicht mehr auf den Intensivstationen arbeiten oder ihre Arbeitszeit deutlich reduziert haben“, so Marx.
Bilder von leeren Intensivstationen geistern dann durch das Internet – als Beleg, dass dort nichts los ist, sagt auch Divi-pressesprecherin Nina Meckel. „Doch die Ursache ist mit dem Personalmangel eben eine ganz andere.“
Dass es zu Beginn der Coronakrise erheblich mehr Intensivbetten gab, lag nur daran, dass der Gesetzgeber wegen der Corona-krise die gesetzliche Untergrenze notfallmäßig einfach aufgehoben hatte. Doch das sollte natürlich keine Dauereinrichtung sein, denn das würde zu einer massiven Überlastung der Pflegekräfte führen. Was sich wiederum nachteilig für die Patientinnen und Patienten auswirken könnte. Also wurde die Pflegeuntergrenze am 1.August 2020 wieder eingeführt – zunächst aber nur mit dem Verhältnis 2,5 Intensivpatienten am Tag und 3,5 Intensivpatientinnen in der Nacht pro Pflegekraft. Erst am 1.Februar dieses Jahres wurde der ursprüngliche Schlüssel wieder verordnet. Viele Intensivpflegekräfte hätten in der Corona-krise ihre Konsequenzen gezogen, seien entweder in andere Bereiche der Pflege gegangen, hätten ganz aufgehört oder die Arbeitszeit reduziert, so Pressesprecherin Meckel. Das habe neben dem Wiedereinsetzen der Personaluntergrenze den Pflegekräftemangel verschärft.
Im Vergleich zur vergangenen Woche sind laut Divi in Bayern rund 100 Intensivbetten mehr mit Covid-patienten belegt. Und wie die Uniklinik Augsburg mitteilt, sind 80 Prozent ihrer Covid-intensivpatienten ungeimpft.