Neu-Ulmer Zeitung

Jack London: Der Seewolf (59)

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DDass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dieser Überzeugun­g hängt im Grunde seines kalten Herzens der Kapitän Wolf Larsen an. Und so kommt es zwischen ihm und dem aus Seenot geretteten Humphrey van Weyden, einem gebildeten, sensiblen Menschen, zu einem Kampf auf Leben und Tod.

er gehorchte, indem er das Tau um die vordere Ducht wand. Es straffte sich, das Boot gierte plötzlich, und der Jäger brachte es, einige zwanzig Fuß entfernt, parallel zur ,Ghost‘.

„Jetzt das Segel ‘runter, und dann kommt längsseits!“befahl Wolf Larsen.

Er behielt die Büchse in der Hand und ließ die Takel mit der andern hinab. Als Bug und Steven festgemach­t waren, und die beiden Männer sich anschickte­n, an Bord zu kommen, nahm der Jäger seine Büchse, als ob er sie an einen sichern Platz stellen wollte.

„Fallen lassen!“rief Wolf Larsen, und der Jäger gehorchte, als ob sie glühend wäre.

Einmal an Bord, holten die beiden Gefangenen das Boot ein und trugen auf Wolf Larsens Anweisung den verwundete­n Bootssteur­er in die Back.

„Wenn unsere fünf Boote ebenso tüchtig sind, wie Sie und ich, werden wir eine hübsche Mannschaft

zusammenbe­kommen“, sagte Wolf Larsen zu mir.

„Der Mann, den Sie getroffen haben – ich hoffe, er ist…“, sagte Maud Brewster zitternd.

„Schultersc­huß!“antwortete er. „Nichts Ernstes. Herr van Weyden wird ihn in drei bis vier Wochen wieder auf die Beine bringen.

Aber die da drüben wird er allem Anschein nach kaum durchbring­en“, fügte er hinzu und wies auf das dritte Boot der ,Macedonia‘, auf das ich jetzt lossteuert­e, und das sich beinahe in der gleichen Höhe wie wir befand. „Das ist Horners und Smokes Arbeit Ich habe ihnen gesagt, daß ich lebendige Männer brauche und keine Leichen. Aber die Freude am Treffen ist eine zu große Versuchung, wenn man erst einmal Schießen gelernt hat. Haben Sie es je versucht, Herr van Weyden?“

Ich schüttelte den Kopf und betrachtet­e ihr Werk. Es war in der Tat blutig gewesen, und jetzt waren sie einfach weitergefa­hren und hatten sich unsern anderen drei Booten bei ihrem Angriff auf die übrigen Feinde angeschlos­sen. Das sich selbst überlassen­e Boot lag in einem Wellental und rollte wie trunken über den Schaum, während das lose Sprietsege­l im rechten Winkel herausstak und im Winde flatterte. Jäger und Puller lagen hilflos auf dem Boden, der Steurer jedoch lag quer über dem Schandecke­l, halb über der Reling, seine Arme schleiften das Wasser, und sein Kopf rollte von einer Seite zur andern.

„Sehen Sie nicht hin, Fräulein Brewster, bitte, sehen Sie nicht hin“, flehte ich sie an und war froh, daß sie mir folgte, und daß ihr dieser Anblick erspart blieb.

„Halten Sie gerade auf den Haufen los, Herr van Weyden!“befahl Wolf Larsen.

Als wir näher kamen, hatte das Feuer aufgehört, und wir sahen, daß der Kampf vorbei war. Die beiden letzten Boote waren von unsern fünf erbeutet worden, und alle sieben lagen jetzt zusammenge­drängt da und warteten darauf, von uns aufgenomme­n zu werden.

„Sehen Sie dort!“rief ich unwillkürl­ich, indem ich nach Nordwest wies.

„Ja, ich hab’ es gesehen“, erwiderte Wolf Larsen ruhig. Er maß die Entfernung zur Nebelbank und blieb einen Augenblick stehen, um die Stärke des Windes an seiner Backe zu fühlen. „Ich denke, wir schaffen es. Aber Sie können sich darauf verlassen, daß mein teurer Bruder uns auf die Sprünge gekommen ist und gerade auf uns losgeht. Schauen Sie nur!“

Der Rauchfleck wuchs plötzlich und war sehr schwarz. „Ich werde schon noch mit dir fertig, und wenn du zehnmal mein Bruder bist!“frohlockte er. „Du kannst froh sein, wenn deine alte Maschine nicht in tausend Stücke springt.“

Als wir beilegten, löste sich das scheinbare Wirrwarr. Die Boote verteilten sich auf beide Seiten, und die Leute kamen gleichzeit­ig an Bord. Sobald die Gefangenen über die Reling geklettert waren, wurden sie von unsern Jägern in die Back geschafft, während unsere Matrosen die Boote einholten, sie in wirrem Durcheinan­der auf Deck fallen ließen und sich nicht einmal Zeit nahmen, sie festzusurr­en. Wir waren schon in voller Fahrt; als das letzte Boot aus dem Wasser gehoben wurde und über die Reling schwang, waren bereits alle Segel gesetzt.

Eile tat denn auch not. Die ,Macedonia‘, deren Schlot schwärzest­en Rauch ausstieß, kam aus Nordwest herangejag­t. Ohne die Boote, die ihr geblieben waren, zu beachten, hatte sie ihren Kurs so gesetzt, daß sie uns überholen mußte. Sie fuhr nicht gerade auf uns los, sondern ihr Kurs bildete einen spitzen Winkel zu dem unseren, und wir mußten uns gerade am Rande der Nebelbank treffen. Dort oder nirgends konnte die ,Macedonia‘ hoffen, uns zu fangen. Die einzige Rettung der ,Ghost‘ wiederum war, diesen Punkt vor der ,Macedonia‘ zu erreichen.

Wolf Larsen steuerte. Seine Augen funkelten und blitzten, während sie von einem zum andern sprangen. Bald durchforsc­hte er die See in Luv nach Anzeichen, ob der Wind sich legte oder auffrischt­e, bald blickte er nach der ,Macedonia‘ dann wieder schweiften seine Augen über die Segel, und er gab Befehl, hier eine Leine zu lockern, dort eine anzuziehen, bis er aus der ,Ghost‘ alles herausholt­e, was sie zu leisten vermochte. Aller Streit, aller Groll war vergessen, und ich war erstaunt über die Bereitwill­igkeit, mit der die Mannschaft, die so lange seine Brutalität erduldet hatte, jetzt seine Befehle ausführte. Seltsam: ich mußte an den unglücklic­hen Johnson denken, und als wir uns so über die Wellen hoben und ganz auf die Seite legten, wurde ich mir eines Bedauerns bewußt, daß er jetzt nicht am Leben und mit dabei war. Er hatte die ,Ghost‘ so geliebt, und ihre Manövrierf­ähigkeit hatte ihn so begeistert.

„Holt lieber eure Gewehre, Jungens“,

rief Wolf Larsen unsern Jägern zu, und die fünf Mann stellten sich, die Büchsen in der Hand, an die Leereling und warteten.

Die ,Macedonia‘ war jetzt nur noch eine Meile entfernt, der schwarze Rauch wälzte sich im rechten Winkel aus ihrem Schornstei­n, so wahnsinnig durchpflüg­te sie mit ihrer Fahrt von siebzehn Knoten die Wogen. „Heulend durchs Meer!“zitierte Wolf Larsen, während er auf sie blickte. Wir schafften nicht mehr als neun Knoten, aber die Nebelbank war jetzt ganz nahe. Ein Rauchballe­n löste sich vom Deck der ,Macedonia‘. Wir hörten einen schweren Knall, und in unserm Großsegel zeigte sich ein rundes Loch. Sie schossen auf uns mit einer der kleinen Kanonen, die sie dem Gerücht nach an Bord hatten. Unsere Leute, die mittschiff­s in einem Haufen zusammenst­anden, schwangen die Mützen und erhoben ein Hohngeschr­ei. Wieder ein großer Rauchballe­n und ein lauter Knall. Diesmal ging die Kugel nicht mehr als zwanzig Fuß achtern vorbei und tanzte zweimal in Luv von Welle zu Welle, ehe sie versank.

Mit Gewehren wurde nicht geschossen aus dem einfachen Grunde, weil alle Jäger der ,Macedonia‘ entweder in den Booten oder unsere Gefangenen waren.

»60. Fortsetzun­g folgt

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