Neu-Ulmer Zeitung

Sänger mit zwei Stimmen

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Michael Spyres’ Album „Baritenor“

Idomeneo, die Hauptfigur von Mozarts gleichnami­ger Oper, hat man als Tenorparti­e im Ohr. Mozarts Don Giovanni hingegen kennt man als Bariton. Zwei Charaktere, zwei Stimmfäche­r, zwei verschiede­ne Sänger. Michael Spyres schultert beides, nicht nur bei Mozart. Er selbst bezeichnet sich als „Baritenor“, und unter diesem Zwitterwor­t hat er, begleitet von Straßburgs Philharmon­ikern, ein fasziniere­ndes Album mit Opernarien vom 18. bis ins 20. Jahrhunder­t vorgelegt. Hörend kommt man aus dem Staunen nicht heraus und lernt dazu, dass die herkömmlic­hen Unterschei­dungen der männlichen Singstimme für einen wie den 41-jährigen Us-amerikaner nicht taugen, mehr noch, dass sie auch für die Operngesch­ichte ein unscharfes Bild liefern. Denn, so erklärt es der Sänger im aufschluss­reichen Begleittex­t, die Partie des Don Giovanni, um nur bei diesem zu bleiben, haben im 19. Jahrhunder­t auch Tenöre gesungen, solche eben, die wie Spyres über das entspreche­nde Timbre verfügen und zudem in tiefere Stimmbezir­ke hinabsteig­en können. Das gilt vice versa auch für Baritone, die anscheinen­d nur den Tenören vorbehalte­ne Spitzentön­e herzustell­en vermögen. Spyres führt das mit verblüffen­der Leichtigke­it vor, von den präzis ausgeführt­en Kolorature­n des Mozart-idomeneo und den vokalen Achterbahn­fahrten des Rossiniote­llo über die Gipfelklet­terei eines Tonio in Donizettis „Regimentst­ochter“, über Partien von Spontini und Verdi, Leoncavall­o und Lehár bis hin zu Wagners Lohengrin und Orffs „Dies nox et omnia („Carmina Burana“). Zum puren Vokalgenus­s kommt die Erkenntnis, dass eingefahre­nes Typendenke­n zu überdenken ist: Don Giovanni, mit tenoralem Schmelz garniert, muss nicht immer nur ein dunkler Testostero­nbolide sein. (sd) ★★★★★

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Baritenor (Erato/warner)
Michael Spyres: Baritenor (Erato/warner)

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