Der Weg zur Freiheitsstatue ist bald wieder frei
Pandemie Die USA hatten sich seit Beginn der Pandemie quasi mit einer Art eisernem Vorhang umgeben. Reisen in das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten waren nur mit Sondergenehmigungen möglich. Doch das ändert sich nun. Was das für Unternehmen wie Familien bedeutet
Lauingen/windach Wenn man der Geschichte von Evelin Peetersdehlau zuhört, dann besteht zuweilen Gänsehautgefahr. Die Lauingerin hat enge Beziehungen zu den USA – vor allem familiärer Natur. Doch dann kam Anfang vergangenen Jahres Corona. Und die Grenzen in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten schlossen sich – beinahe wie ein eiserner Vorhang. Mit der Folge, dass Evelin Peeters-dehlau über ein Jahr lang ihren geliebten Lebenspartner, der in den Vereinigten Staaten arbeitet, nicht sehen konnte. „Das ist schon irgendwie verrückt“, sagt die 65-Jährige, die derzeit auf ihre Greencard wartet. Jene Erlaubnis also, ganz in die Neue Welt übersiedeln zu dürfen. Ein ziemlich komplizierter Verwaltungsakt, der noch schwer im Gange ist.
Aber nun hat Us-präsident Joe Biden angekündigt, dass ab dem 8. November wieder Reisen für Deutsche in die Vereinigten Staaten möglich sind. Auch als Touristin, als Tourist. Wenn man sich an bestimmte Regeln hält. Eine Nachricht, die diesseits des Atlantiks natürlich nicht nur in politischen und wirtschaftlichen, sondern auch in privaten Kreisen mit einem Aufatmen aufgenommen wurde. „Darüber freue ich mich schon sehr“, sagt Evelin Peeters-dehlau. Sie könnte also ab kommendem Montag in eine Maschine steigen und über den Atlantik jetten. Was sie – in ihrem speziellen Fall – aber nicht tun sollte. Doch davon später.
Rückblick auf den 11. März 2020. Der damalige Us-präsident Donald Trump verkündet mit bedeutungsschwerer Miene im Oval Office einen Erlass, der sein Land auf über eineinhalb Jahre hinaus völlig umzäunt. Er sagt: „Es ist der Regierung der Vereinigten Staaten nicht möglich, alle aus dem Schengenraum kommenden Reisenden effektiv zu überprüfen und zu überwachen.“Damals ist der Schengenraum, zu dem bekanntlich auch Deutschland gehört, durch die Corona-ausbrüche etwa in Norditalien und in Frankreich eine Hochburg der Virusinfektion.
Und Menschen aus dem Schengenraum sollten darum vorerst gar nicht mehr einreisen dürfen: „In Übereinstimmung mit dem geltenden Recht tragen der Außenminister, der Verkehrsminister und der Minister für innere Sicherheit dafür Sorge, dass kein Ausländer, auf den diese Proklamation anzuwenden ist, ein Flugzeug besteigt, das in die Vereinigten Staaten fliegt. Diese Proklamation tritt am 13. März 2020 um 23.59 Uhr Ostküsten-sommerzeit in Kraft.“Damit war die Tür in die Vereinigten Staaten zugeschlagen.
In einem weiteren, nur schwer durchschaubaren Regelwerk wurde zudem seitens der USA festgelegt, welche seltenen Ausnahmen von dieser Regel gelten sollten. Us-bürger durften natürlich in die Staaten zurückreisen. Familienzusammenführungen waren auch vorgesehen, wenn etwa ein Deutscher, der durch seine Arbeit in den USA eine Daueraufenthaltsgenehmigung hat, seine Ehefrau nach Amerika holen wollte. Doch die Crux bei Evelin Peetersdehlau und ihrem Partner Guido Besserer ist: Wie so viele Menschen heutzutage sind die beiden ein Paar, und das schon seit 15 Jahren – aber sie sind formal nicht verheiratet.
Als Trump seinen folgenreichen Erlass verkündete, befand sich Evelin Peeters-dehlau damals zu Besuch bei ihrem Partner in Spartanburg im Bundesstaat South Carolina, wo er für das deutsche Unternehmen Heiche USA arbeitete, ein Zulieferer für die Automobilindustrie. Eigentlich hatte Evelin Peetersdehlau schon damals dauerhaft in die USA ziehen wollen, der Gedanke stand schon längst fest – zumal sie noch eine Tochter hat, die in Minnesota lebt. Und sich Evelin Peeters-dehlau zu diesem Zeitpunkt bereits in Rente befand. Vorher war sie Projektassistentin bei der Firma Hochtief, lange hat sie auch für dieses Unternehmen im Kernkraftwerk Gundremmingen gearbeitet. Jetzt wäre sie sozusagen frei. „Doch Corona störte dann alle Pläne.“Als ihr Vater im April 2020 starb, konnte sie zunächst nicht zurück nach Deutschland, da es keine Flüge gab. Das war erst Ende Mai 2020 wieder möglich. „Seitdem bin ich deshalb hier – und kam aber nicht mehr rüber.“
Jeden Tag telefonierte sie seitdem mit ihrem Partner, am Wochenende standen meist Bildverbindungen per Skype an, „damit wir uns halt ein bisschen sehen“. Aber das ersetzte natürlich keine persönliche Begegnung. Bis zu einem Gänsehautmoment – der sich am 26. Juni dieses Jahres am Frankfurter Flughafen abspielte.
Der Anlass dafür war zunächst einmal ein trauriger: Auch die Mutter von Evelin Peeters-dehlau war gestorben. Angekündigt hatte sich zur Beerdigung ihre Tochter aus Minnesota, die sie daraufhin in der hessischen Metropole abholen wollte. „Mein Partner hatte gesagt, er könne nicht mitkommen, das sei zu kompliziert.“Doch als die 65-Jährige am Flughafen ihre Tochter erblickte, sagte diese zu ihrer Mutter: „Dreh dich doch mal um.“Was diese natürlich tat. „Und dann stand plötzlich Guido vor mir. Das war Wahnsinn. Ich habe vor Freude so sehr geweint. Über ein Jahr hatten wir uns nicht in den Armen gehalten.“Ihr Partner, 52, hatte als Angestellter eines Unternehmens, das in den USA Geschäfte treibt, eine Sondergenehmigung erhalten können, um nach Deutschland ein- und vor allen Dingen wieder in die USA zurückreisen zu können. „Die Sache war für das Unternehmen übrigens nicht ganz billig“, sagt Evelin Peeters-dehlau. Im Falle ihres Partners wurden rund 1200 Dollar Bearbeitungsgebühr für den Trip fällig.
Für bayerische Firmen, die im engen wirtschaftlichen Austausch mit Amerika stehen, ist das in den vergangenen Monaten natürlich eine erhebliche Hürde gewesen. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer für Augsburg und Schwaben sind die USA für Bayerisch-schwaben neben China, Frankreich, Österreich und Italien der größte Exportmarkt. Jeder zweite Euro in der heimischen Industrie werde im Exportgeschäft verdient, so die Kammer. Diese große Bedeutung gilt auch für die gesamtbayerische Perspektive: Die USA waren mit Importen aus Bayern im Wert von rund 17,18 Milliarden Euro das wichtigste Exportland für den Freistaat im Jahr 2020. Erst an zweiter Stelle folgte China. Die direkte Bruttowertschöpfung der bayerischen Unternehmen in den USA beträgt 26 Milliarden Euro, wie die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft mitteilt. Reise- und Wirtschaftsverbände waren auch deshalb verärgert, weil die EU die Einreise für Us-amerikaner bereits wieder im Juni erlaubte, die USA das aber im Gegenzug nicht tat. Doch mit der Entscheidung von Joe Biden ist dieses Thema nun bald vom Tisch.
Das oberbayerische Unternehmen Delo in Windach zum Beispiel ist auf den persönlichen Kontakt mit dem amerikanischen Markt stark angewiesen. Es liegt direkt an der A 96 zwischen Landsberg und München. Viele Menschen kennen die Firma gar nicht, benutzen aber die
Produkte der Windacher oftmals unbewusst. Weil Delo ein „hidden champion“ist, also einer der vielen deutschen Mittelständler, der in seinem Segment Weltmarktführer ist.
Delo stellt Spezialklebstoff her. Das klingt erst einmal wenig aufregend. Doch wohl in Milliarden von Mobiltelefonen auf der Welt findet sich Klebstoff von Delo. Die immer besser werdenden Kameras der Geräte beispielsweise werden schon lange nicht mehr verschraubt. Stattdessen werden sie an bis zu 25 teilweise nur sandkorngroßen Stellen mit Klebstoff fixiert.
„Die Klebstoffe – sie werden nach Maß auf Kundenwunsch eigens entwickelt – werden direkt hier bei uns produziert“, erläutert denn auch Pressesprecher Matthias Stollberg beim Rundgang durch die blitzsauberen Produktionshallen. Roboter und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen dort sozusagen Hand in Hand in die Abfüllung. „Dadurch, dass unsere Kunden oft keine großen Mengen brauchen, können wir hier an diesem relativ kleinen Standort aktiv sein“, so Stollberg.
„Das Usa-geschäft ist essenziell für uns“, sagt kurz darauf Heidrun Hausen, Personalleiterin bei Delo, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Zwar werden – um beim Beispiel Computer- und Mobiltechnologie zu bleiben – die Produkte zumeist in Asien hergestellt.“Doch die Entwicklung finde nach wie vor vor allem in den USA – Stichwort Silicon Valley – statt. „Wir sind also darauf angewiesen, dort mit unseren Leuten am Puls der Zeit zu bleiben, wir müssen genau wissen, welche zukünftigen Entwicklungen stattfinden werden.“Deshalb hätten Mitarbeiter manchmal Prototypen aus den USA sogar in ihren Spinds. Unter absoluter Geheimhaltung natürlich. „Bei uns erlebt man die Zukunft schon jetzt“, sagt Heidrun Hausen.
Dieses Beispiel macht recht deutlich, wie sehr dieses Unternehmen mit seinen 820 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf den Kontakt mit den USA angewiesen ist. „Wir haben zwei Niederlassungen dort, eine in Boston und eine in Kalifornien – insgesamt 13 Kräfte, zumeist Ingenieure.“Diese kommen zum Teil aus Deutschland und waren seit der Schließung der Grenzen die ganze Zeit über – ohne Unterbrechung – in den USA. „Das ging aber auch nur, trotz aller Belastung, weil unsere Leute dort mit ihren Familien leben.“
Auch bei Delo ist man darum froh, dass die Vereinigten Staaten nun wieder deutlich weiter öffnen. Heidrun Hausen hofft, dass das Informationsdefizit, das durch die Zeit des Banns für das Unternehmen entstand, sich nicht allzu sehr auswirken werde. „Das werden wir erst in ein bis zwei Jahren genau merken.“Doch durch die Öffnung könne Delo nun wieder deutlich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den persönlichen Austausch auf Dienstreisen in die Staaten schicken – auch um die technischen Entwicklungen dort genau zu verfolgen.
Zurück in Lauingen. Evelin Peeters-dehlau ist – was die USA angeht – immer noch in einer Art Lauerstellung. „Weil ich ja eine Greencard beantragt habe, läuft bei mir ein ganz anderer Prozess ab.“Eine Gesundheitsprüfung musste sie ablegen, natürlich muss sie auch gegen Corona geimpft sein. Überdies etwa gegen Grippe oder Hepatitis. Und sie muss sich in einem Interview erklären, was sie in den USA will. „Ich könnte zwar nächste Woche als Touristin ins Flugzeug steigen und in die USA fliegen. Doch das würde meinen ganzen laufenden Visumsprozess beschädigen. Ich müsste
Was ist mit Paaren, die nicht verheiratet sind?
Das Warten auf die Greencard dauert an
womöglich von vorne anfangen. Das will ich natürlich nicht.“
Sie rechnet nun damit, dass sie Anfang 2022 rüber nach Jasper/ Alabama darf – wo ihr Lebensgefährte inzwischen wohnt – und dann eben für immer. Evelin Peetersdehlau hat sich das gut überlegt. „Ich finde die Leute dort einfach entspannter, insgesamt freundlicher.“
Dort wartet zudem ein Haus auf sie, ein eigenes Auto. Und nicht zuletzt ist es in Alabama natürlich viel wärmer als in Schwaben. Für viele Menschen sind die USA nach wie vor ein Sehnsuchtsland. So weit würde Evelin Peeters-dehlau nicht gehen. Diese Formulierung wäre ihr zu stark. „Aber dass jetzt alles wieder normaler wird – das freut mich natürlich sehr“, sagt sie.