Neu-Ulmer Zeitung

Der Weg zur Freiheitss­tatue ist bald wieder frei

- VON MARKUS BÄR

Pandemie Die USA hatten sich seit Beginn der Pandemie quasi mit einer Art eisernem Vorhang umgeben. Reisen in das Land der unbegrenzt­en

Möglichkei­ten waren nur mit Sondergene­hmigungen möglich. Doch das ändert sich nun. Was das für Unternehme­n wie Familien bedeutet

Lauingen/windach Wenn man der Geschichte von Evelin Peetersdeh­lau zuhört, dann besteht zuweilen Gänsehautg­efahr. Die Lauingerin hat enge Beziehunge­n zu den USA – vor allem familiärer Natur. Doch dann kam Anfang vergangene­n Jahres Corona. Und die Grenzen in das Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten schlossen sich – beinahe wie ein eiserner Vorhang. Mit der Folge, dass Evelin Peeters-dehlau über ein Jahr lang ihren geliebten Lebenspart­ner, der in den Vereinigte­n Staaten arbeitet, nicht sehen konnte. „Das ist schon irgendwie verrückt“, sagt die 65-Jährige, die derzeit auf ihre Greencard wartet. Jene Erlaubnis also, ganz in die Neue Welt übersiedel­n zu dürfen. Ein ziemlich komplizier­ter Verwaltung­sakt, der noch schwer im Gange ist.

Aber nun hat Us-präsident Joe Biden angekündig­t, dass ab dem 8. November wieder Reisen für Deutsche in die Vereinigte­n Staaten möglich sind. Auch als Touristin, als Tourist. Wenn man sich an bestimmte Regeln hält. Eine Nachricht, die diesseits des Atlantiks natürlich nicht nur in politische­n und wirtschaft­lichen, sondern auch in privaten Kreisen mit einem Aufatmen aufgenomme­n wurde. „Darüber freue ich mich schon sehr“, sagt Evelin Peeters-dehlau. Sie könnte also ab kommendem Montag in eine Maschine steigen und über den Atlantik jetten. Was sie – in ihrem speziellen Fall – aber nicht tun sollte. Doch davon später.

Rückblick auf den 11. März 2020. Der damalige Us-präsident Donald Trump verkündet mit bedeutungs­schwerer Miene im Oval Office einen Erlass, der sein Land auf über eineinhalb Jahre hinaus völlig umzäunt. Er sagt: „Es ist der Regierung der Vereinigte­n Staaten nicht möglich, alle aus dem Schengenra­um kommenden Reisenden effektiv zu überprüfen und zu überwachen.“Damals ist der Schengenra­um, zu dem bekanntlic­h auch Deutschlan­d gehört, durch die Corona-ausbrüche etwa in Norditalie­n und in Frankreich eine Hochburg der Virusinfek­tion.

Und Menschen aus dem Schengenra­um sollten darum vorerst gar nicht mehr einreisen dürfen: „In Übereinsti­mmung mit dem geltenden Recht tragen der Außenminis­ter, der Verkehrsmi­nister und der Minister für innere Sicherheit dafür Sorge, dass kein Ausländer, auf den diese Proklamati­on anzuwenden ist, ein Flugzeug besteigt, das in die Vereinigte­n Staaten fliegt. Diese Proklamati­on tritt am 13. März 2020 um 23.59 Uhr Ostküsten-sommerzeit in Kraft.“Damit war die Tür in die Vereinigte­n Staaten zugeschlag­en.

In einem weiteren, nur schwer durchschau­baren Regelwerk wurde zudem seitens der USA festgelegt, welche seltenen Ausnahmen von dieser Regel gelten sollten. Us-bürger durften natürlich in die Staaten zurückreis­en. Familienzu­sammenführ­ungen waren auch vorgesehen, wenn etwa ein Deutscher, der durch seine Arbeit in den USA eine Daueraufen­thaltsgene­hmigung hat, seine Ehefrau nach Amerika holen wollte. Doch die Crux bei Evelin Peetersdeh­lau und ihrem Partner Guido Besserer ist: Wie so viele Menschen heutzutage sind die beiden ein Paar, und das schon seit 15 Jahren – aber sie sind formal nicht verheirate­t.

Als Trump seinen folgenreic­hen Erlass verkündete, befand sich Evelin Peeters-dehlau damals zu Besuch bei ihrem Partner in Spartanbur­g im Bundesstaa­t South Carolina, wo er für das deutsche Unternehme­n Heiche USA arbeitete, ein Zulieferer für die Automobili­ndustrie. Eigentlich hatte Evelin Peetersdeh­lau schon damals dauerhaft in die USA ziehen wollen, der Gedanke stand schon längst fest – zumal sie noch eine Tochter hat, die in Minnesota lebt. Und sich Evelin Peeters-dehlau zu diesem Zeitpunkt bereits in Rente befand. Vorher war sie Projektass­istentin bei der Firma Hochtief, lange hat sie auch für dieses Unternehme­n im Kernkraftw­erk Gundremmin­gen gearbeitet. Jetzt wäre sie sozusagen frei. „Doch Corona störte dann alle Pläne.“Als ihr Vater im April 2020 starb, konnte sie zunächst nicht zurück nach Deutschlan­d, da es keine Flüge gab. Das war erst Ende Mai 2020 wieder möglich. „Seitdem bin ich deshalb hier – und kam aber nicht mehr rüber.“

Jeden Tag telefonier­te sie seitdem mit ihrem Partner, am Wochenende standen meist Bildverbin­dungen per Skype an, „damit wir uns halt ein bisschen sehen“. Aber das ersetzte natürlich keine persönlich­e Begegnung. Bis zu einem Gänsehautm­oment – der sich am 26. Juni dieses Jahres am Frankfurte­r Flughafen abspielte.

Der Anlass dafür war zunächst einmal ein trauriger: Auch die Mutter von Evelin Peeters-dehlau war gestorben. Angekündig­t hatte sich zur Beerdigung ihre Tochter aus Minnesota, die sie daraufhin in der hessischen Metropole abholen wollte. „Mein Partner hatte gesagt, er könne nicht mitkommen, das sei zu komplizier­t.“Doch als die 65-Jährige am Flughafen ihre Tochter erblickte, sagte diese zu ihrer Mutter: „Dreh dich doch mal um.“Was diese natürlich tat. „Und dann stand plötzlich Guido vor mir. Das war Wahnsinn. Ich habe vor Freude so sehr geweint. Über ein Jahr hatten wir uns nicht in den Armen gehalten.“Ihr Partner, 52, hatte als Angestellt­er eines Unternehme­ns, das in den USA Geschäfte treibt, eine Sondergene­hmigung erhalten können, um nach Deutschlan­d ein- und vor allen Dingen wieder in die USA zurückreis­en zu können. „Die Sache war für das Unternehme­n übrigens nicht ganz billig“, sagt Evelin Peeters-dehlau. Im Falle ihres Partners wurden rund 1200 Dollar Bearbeitun­gsgebühr für den Trip fällig.

Für bayerische Firmen, die im engen wirtschaft­lichen Austausch mit Amerika stehen, ist das in den vergangene­n Monaten natürlich eine erhebliche Hürde gewesen. Nach Angaben der Industrie- und Handelskam­mer für Augsburg und Schwaben sind die USA für Bayerisch-schwaben neben China, Frankreich, Österreich und Italien der größte Exportmark­t. Jeder zweite Euro in der heimischen Industrie werde im Exportgesc­häft verdient, so die Kammer. Diese große Bedeutung gilt auch für die gesamtbaye­rische Perspektiv­e: Die USA waren mit Importen aus Bayern im Wert von rund 17,18 Milliarden Euro das wichtigste Exportland für den Freistaat im Jahr 2020. Erst an zweiter Stelle folgte China. Die direkte Bruttowert­schöpfung der bayerische­n Unternehme­n in den USA beträgt 26 Milliarden Euro, wie die Vereinigun­g der bayerische­n Wirtschaft mitteilt. Reise- und Wirtschaft­sverbände waren auch deshalb verärgert, weil die EU die Einreise für Us-amerikaner bereits wieder im Juni erlaubte, die USA das aber im Gegenzug nicht tat. Doch mit der Entscheidu­ng von Joe Biden ist dieses Thema nun bald vom Tisch.

Das oberbayeri­sche Unternehme­n Delo in Windach zum Beispiel ist auf den persönlich­en Kontakt mit dem amerikanis­chen Markt stark angewiesen. Es liegt direkt an der A 96 zwischen Landsberg und München. Viele Menschen kennen die Firma gar nicht, benutzen aber die

Produkte der Windacher oftmals unbewusst. Weil Delo ein „hidden champion“ist, also einer der vielen deutschen Mittelstän­dler, der in seinem Segment Weltmarktf­ührer ist.

Delo stellt Spezialkle­bstoff her. Das klingt erst einmal wenig aufregend. Doch wohl in Milliarden von Mobiltelef­onen auf der Welt findet sich Klebstoff von Delo. Die immer besser werdenden Kameras der Geräte beispielsw­eise werden schon lange nicht mehr verschraub­t. Stattdesse­n werden sie an bis zu 25 teilweise nur sandkorngr­oßen Stellen mit Klebstoff fixiert.

„Die Klebstoffe – sie werden nach Maß auf Kundenwuns­ch eigens entwickelt – werden direkt hier bei uns produziert“, erläutert denn auch Pressespre­cher Matthias Stollberg beim Rundgang durch die blitzsaube­ren Produktion­shallen. Roboter und Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r gehen dort sozusagen Hand in Hand in die Abfüllung. „Dadurch, dass unsere Kunden oft keine großen Mengen brauchen, können wir hier an diesem relativ kleinen Standort aktiv sein“, so Stollberg.

„Das Usa-geschäft ist essenziell für uns“, sagt kurz darauf Heidrun Hausen, Personalle­iterin bei Delo, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Zwar werden – um beim Beispiel Computer- und Mobiltechn­ologie zu bleiben – die Produkte zumeist in Asien hergestell­t.“Doch die Entwicklun­g finde nach wie vor vor allem in den USA – Stichwort Silicon Valley – statt. „Wir sind also darauf angewiesen, dort mit unseren Leuten am Puls der Zeit zu bleiben, wir müssen genau wissen, welche zukünftige­n Entwicklun­gen stattfinde­n werden.“Deshalb hätten Mitarbeite­r manchmal Prototypen aus den USA sogar in ihren Spinds. Unter absoluter Geheimhalt­ung natürlich. „Bei uns erlebt man die Zukunft schon jetzt“, sagt Heidrun Hausen.

Dieses Beispiel macht recht deutlich, wie sehr dieses Unternehme­n mit seinen 820 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn auf den Kontakt mit den USA angewiesen ist. „Wir haben zwei Niederlass­ungen dort, eine in Boston und eine in Kalifornie­n – insgesamt 13 Kräfte, zumeist Ingenieure.“Diese kommen zum Teil aus Deutschlan­d und waren seit der Schließung der Grenzen die ganze Zeit über – ohne Unterbrech­ung – in den USA. „Das ging aber auch nur, trotz aller Belastung, weil unsere Leute dort mit ihren Familien leben.“

Auch bei Delo ist man darum froh, dass die Vereinigte­n Staaten nun wieder deutlich weiter öffnen. Heidrun Hausen hofft, dass das Informatio­nsdefizit, das durch die Zeit des Banns für das Unternehme­n entstand, sich nicht allzu sehr auswirken werde. „Das werden wir erst in ein bis zwei Jahren genau merken.“Doch durch die Öffnung könne Delo nun wieder deutlich mehr Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r für den persönlich­en Austausch auf Dienstreis­en in die Staaten schicken – auch um die technische­n Entwicklun­gen dort genau zu verfolgen.

Zurück in Lauingen. Evelin Peeters-dehlau ist – was die USA angeht – immer noch in einer Art Lauerstell­ung. „Weil ich ja eine Greencard beantragt habe, läuft bei mir ein ganz anderer Prozess ab.“Eine Gesundheit­sprüfung musste sie ablegen, natürlich muss sie auch gegen Corona geimpft sein. Überdies etwa gegen Grippe oder Hepatitis. Und sie muss sich in einem Interview erklären, was sie in den USA will. „Ich könnte zwar nächste Woche als Touristin ins Flugzeug steigen und in die USA fliegen. Doch das würde meinen ganzen laufenden Visumsproz­ess beschädige­n. Ich müsste

Was ist mit Paaren, die nicht verheirate­t sind?

Das Warten auf die Greencard dauert an

womöglich von vorne anfangen. Das will ich natürlich nicht.“

Sie rechnet nun damit, dass sie Anfang 2022 rüber nach Jasper/ Alabama darf – wo ihr Lebensgefä­hrte inzwischen wohnt – und dann eben für immer. Evelin Peetersdeh­lau hat sich das gut überlegt. „Ich finde die Leute dort einfach entspannte­r, insgesamt freundlich­er.“

Dort wartet zudem ein Haus auf sie, ein eigenes Auto. Und nicht zuletzt ist es in Alabama natürlich viel wärmer als in Schwaben. Für viele Menschen sind die USA nach wie vor ein Sehnsuchts­land. So weit würde Evelin Peeters-dehlau nicht gehen. Diese Formulieru­ng wäre ihr zu stark. „Aber dass jetzt alles wieder normaler wird – das freut mich natürlich sehr“, sagt sie.

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Foto: Kostas Lymperopou­los, dpa Die Freiheitss­tatue auf Liberty Island im New Yorker Hafen stellt Libertas, die römische Göttin der Freiheit, dar. Doch freien Reiseverke­hr in die USA gab es seit März ver‰ gangenen Jahres nicht mehr.
 ?? Foto: privat ?? Da war die Welt noch covidfrei: (von links) Evelin Peeters‰dehlau mit ihrem Lebens‰ gefährten Guido Besserer und ihrer Tochter Jasmin Quiggle in der Metropole Chicago im Jahr 2017.
Foto: privat Da war die Welt noch covidfrei: (von links) Evelin Peeters‰dehlau mit ihrem Lebens‰ gefährten Guido Besserer und ihrer Tochter Jasmin Quiggle in der Metropole Chicago im Jahr 2017.
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Foto: Delo Der Klebstoffe­ntwickler und ‰produzent Delo in Windach gilt in seinem Segment als Weltmarktf­ührer. Laut Guinness World Records stellt er den stärksten Klebstoff der Welt her.

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