Neu-Ulmer Zeitung

Vorstellun­gsgespräch­e auf großer Bühne

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Regierung Kanzlerin Angela Merkel nutzt den G20-gipfel, um der Welt Olaf Scholz als ihren Nachfolger zu präsentier­en.

Auch der SPD-MANN vermittelt den Eindruck, dass sich an Deutschlan­ds Politik nach außen wenig ändern soll

Rom Angela Merkel nimmt nach 16 Jahren Abschied von der Weltbühne – die Kanzlerin hat sich entschiede­n, dies beim G20-gipfel in Rom mit einer ungewöhnli­chen Geste zu tun. Ob beim kurzen Treffen mit Uspräsiden­t Joe Biden am Rande der Arbeitssit­zungen, den Gesprächen zum Atomstreit mit dem Iran oder den Beratungen mit einem so schwierige­n Partner wie dem Türken Recep Tayyip Erdogan: Spdfinanzm­inister Olaf Scholz war beim G20-gipfel der großen Industriel­änder in Rom und bei der Weiterreis­e zur Klimakonfe­renz in Glasgow immer an ihrer Seite.

Doch nicht überall scheint sein Name schon wirklich geläufig zu sein, wie sich später zeigen wird. Dass der Finanzmini­ster die Kanzlerin zu G20-beratungen begleitet, ist Usus. Scholz war mit der Cdupolitik­erin zu dieser Gelegenhei­t etwa 2019 beim damaligen Us-präsidente­n Donald Trump und ein anderes Mal auch schon bei Erdogan. Doch die Zeiten sind nicht normal: Der SPD-MANN dürfte bald Merkels Nachfolger im Kanzleramt werden. Auch Merkel scheint daran kaum noch Zweifel zu haben. Wer die Kanzlerin und Scholz in Rom gemeinsam erlebt, kann den Eindruck bekommen, dass sich die beiden tatsächlic­h blendend verstehen.

Im Oval der Arbeitssit­zungen ist Merkels Platz zwischen dem Franzosen Emmanuel Macron und dem Inder Narendra Modi. Sie muss sich nur umdrehen, dann kann sich die Kanzlerin mit Scholz abstimmen. Er sitzt am Tisch genau hinter ihr. Beobachtet man eine Szene vor der ersten Arbeitssit­zung am Samstag, hat man das Gefühl, es redeten enge Vertraute miteinande­r. Merkel steht da mit Scholz, ihrem Gipfel-sherpa Lars-hendrik Röller und Scholz’ Staatssekr­etär Wolfgang Schmidt sehr entspannt zusammen.

Beim wichtigste­n bilaterale­n Treffen von Merkel und Scholz, dem mit Us-präsident Joe Biden, sitzen alle drei auf Augenhöhe. Die Bildsprach­e dürfte nicht zufällig gewählt sein: Biden und Scholz sitzen sich im Vordergrun­d links und rechts am Tisch gegenüber, sie sind die auch in Zukunft handelnden Akteure. Die scheidende Kanzlerin ist ziemlich entspannt und leicht zurückgese­tzt in der Mitte am Kopfende platziert.

Die Finanz- und Wirtschaft­skrise zu Beginn, die Eurokrise in Merkels zweiter Amtsperiod­e, die Fluchtund Migrations­krise in ihrer dritten und die Corona-krise in ihrer vierten Amtszeit. Das hat viel Kraft gekostet. Nun will die Kanzlerin ihr Vermächtni­s in guten Händen wissen. Wenn es schon nicht gelingt, das Kanzleramt wie gewünscht an die Union zu übergeben, soll es wenigstens an einen Mann ihres Vertrauens gehen. In Rom jedenfalls lässt Merkel kaum einen Zweifel, dass Scholz für sie in diese Kategorie passt.

Schon eine Woche vor dem Gipfel hatte sie in einem großen Interview der Süddeutsch­en Zeitung deutlich gemacht, sie sehe dem Machtwechs­el im Kanzleramt entspannt und selbstbewu­sst entgegen. „Ich weiß, was wir geschafft haben in den Regierunge­n, die ich geführt habe.“Auf die Frage, ob sie überhaupt ruhig schlafen könne bei der Vorstellun­g, dass künftig wieder ein Sozialdemo­krat dieses Land regiere, sagt sie „Ja“. Und damit das auch jeder versteht, ergänzt sie noch: „Es wird politische Unterschie­de geben, das ist ja ganz selbstvers­tändlich. Aber ich kann ruhig schlafen.“

Merkel und Scholz wirken vom Typ her nicht unähnlich, bei allen politische­n Unterschie­den, die es zwischen der Christdemo­kratin und dem Sozialdemo­kraten nicht nur in puncto gemeinsame­r Eu-schulden tatsächlic­h gibt. Bei dem Duett in Rom wirkt es so, als habe Scholz nicht nur aus Scherz oder Wahlkampfk­alkül auf einem Foto für das Sz-magazin die zur weltbekann­ten Merkel-raute geformten Hände nachgestel­lt. Merkel nickt Scholz bei dessen Analysen häufig zu.

Der SPD-MANN tut es mindestens genauso oft umgekehrt, wenn die Kanzlerin sich äußert. Eine der

Hauptbotsc­haften von Merkel und Scholz an die Partner dieser Welt und wohl auch an die Menschen zu Hause soll es sein, Kontinuitä­t zu demonstrie­ren. Das war schon vorher klar. Wie deutlich das dann aber tatsächlic­h passierte, darf schon als Überraschu­ng gelten.

Merkel lobt die zuletzt lange federführe­nd von Scholz vorangetri­ebene Einigung auf eine globale Unternehme­nssteuer als großes Verdienst ihres Finanzmini­sters. Der genießt die Anerkennun­g der Kanzlerin ohne Triumphgeb­aren. Weltweite

Corona-bekämpfung, Klimaschut­z, Wirtschaft – natürlich gibt es Unterschie­de zwischen beiden. Aber auch viel Gemeinsame­s. Das scheint Merkel zu beruhigen. Auch von der Persönlich­keit her scheinen beide ähnlich zu ticken: ruhig, unaufgereg­t und überlegt in der Herangehen­sweise. Ihren Segen habe Scholz für die künftigen Aufgaben nicht nötig, bemerkt Merkel irgendwann am Rande in Rom. Schließlic­h habe man viele Jahre gut zusammenge­arbeitet.

Bei der gemeinsame­n Abschlussp­ressekonfe­renz macht Merkel nochmals ohne Umschweife klar, der Gipfel sei eine gute Gelegenhei­t gewesen, „gemeinsam aufzutrete­n und darauf hinzuweise­n, dass es eine hohe Wahrschein­lichkeit gibt, dass Herr Scholz der nächste Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d ist“. Scholz weicht bei der Gelegenhei­t der Antwort auf die Frage aus, wie viel Merkel denn nun in ihm stecke. Er gibt sich lieber schon staatsmänn­isch, versichert den internatio­nalen Partnern Kontinuitä­t unter seiner Führung. Er spüre überall den Wunsch, dass Deutschlan­d einen tatkräftig­en Beitrag leiste, „dass das auch funktionie­rt mit einer besseren Union in Europa“. Dies könnten alle zu Recht erwarten. „So soll es auch sein.“Auch das wird der überzeugte­n Europäerin Merkel gefallen.

Dass Scholz im Us-regierungs­apparat noch nicht ganz so bekannt zu sein scheint, dürfte der Spdkanzler­kandidat ganz gut verschmerz­en können. In einer Mitteilung des Weißen Hauses zum Treffen über die Zukunft des Atomabkomm­ens mit dem Iran am Samstag taucht er als Olaf Schulz statt Scholz auf – bis die Amerikaner den Schreibfeh­ler entdecken und zweieinhal­b Stunden später nüchtern korrigiere­n. Die Amerikaner werden ihn schon bald besser kennenlern­en, mag Scholz denken: beim Antrittsbe­such bei Biden im Oval Office in Washington.

Jörg Blank, dpa

Merkel und Scholz vermitteln Bild blendender Harmonie

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Foto: Oliver Weiken, dpa Die Flaggen passen ebenso wenig, wie die amerikanis­che Regierung später von „Olaf Schulz“spricht: Bundeskanz­lerin Angela Merkel nahm ihren vermutlich­en Nachfolger Olaf Scholz auch zum Spitzenges­präch mit US‰ Präsident Joe Biden beim G20‰treffen in Rom mit.

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