„Freue mich, wenn das Tempolimit nicht kommt“
Interview Audi-chef Markus Duesmann glaubt aber, dass Elektro-mobilität und autonome Autos die Deutschen zum Langsamer-fahren bewegen können. Der Manager spricht offen über seine überwundene Corona-erkrankung
Herr Duesmann, 2020 versicherten Sie: Audi-chef ist mein Traum-job. Ist das immer noch so, zumal auf die knüppelharte Corona-krise die immer dramatischere Chip-krise mit erneuter Kurzarbeit und dem Runterfahren von Produktionslinien gefolgt ist? Markus Duesmann: Audi-chef zu sein, ist und bleibt mein absoluter Traum-job. Ich bin durch und durch Audianer. Und wir haben bereits einiges erreicht. Das erste Halbjahr dieses Jahres war ein Rekordhalbjahr. Wir haben noch nie so viele Autos ausgeliefert. So gingen genau 981681 Fahrzeuge an die Kundinnen und Kunden. Unsere vollelektrischen und Plug-in-hybrid-autos sind zunehmend gefragt. Wir konnten hier im ersten Halbjahr 80000 Fahrzeuge übergeben und damit mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.
Doch die Chip-krise hat die Audi-rekordfahrt jäh gebremst, was sich deutlich in den Zahlen für das dritte Quartal zeigt.
Duesmann: Durch die Chip-krise ist das Autobauen für uns schon enorm aufwendig geworden. Wir konnten bisher eine knapp sechsstellige Zahl an Autos, die wir gerne gefertigt hätten, nicht bauen und werden auch nicht alle davon aufholen. Im ersten Halbjahr sind wir noch gut durchgekommen. Diese Verwerfungen sehen wir noch sehr stark in diesem Jahr und sie werden auch im kommenden Jahr bleiben. Wir hoffen, dass wir mit Ende des ersten Halbjahres 2022 eine Verstetigung in der Produktion und bei der Chiplieferung erreichen.
Das klingt nach einer harten Geduldsprobe für Sie und die Beschäftigten. Duesmann: Wir müssen leider noch auf Sicht fahren. Gleichzeitig liegen unsere Umsatzerlöse nach neun Monaten erfreulicherweise immer noch über Vorjahr und unsere Rendite zeigt mit 9,5 Prozent unsere starke operative Performance. Das Geschäftsjahr 2021 wird also auf alle Fälle noch ein sehr ordentliches Jahr werden, nicht was die Produktionsvolumina, sondern was das Ergebnis betrifft.
Ist das nicht frustrierend: Erst zwingt Corona Audi zum Runterfahren der Produktion und Kurzarbeit, nun verhindert die Chipkrise ein Rekordjahr. Wieder gibt es Kurzarbeit.
Duesmann: Ja, es ist wirklich schade. Die Chip-krise kostet uns ein Rekordjahr. Schon das erste Halbjahr war ein Rekord, das zweite wäre ohne Chip-krise noch besser geworden. Die Chip-krise ist eben ein elementares Problem, wenn auch die Corona-krise unvergleichlich härter für uns war. Wir sind froh, dass die Nachfrage nach unseren Autos immens ist. Doch durch die Chip-krise sind unsere Lieferzeiten länger, als es unseren Kunden und uns lieb ist. Viele, viele Faktoren haben die
Chip-krise ausgelöst und befeuert. Man nennt es den perfekten Sturm.
Wie machen Sie Audi sturmsicherer? Duesmann: Indem wir unsere Lieferketten genau anschauen und überlegen, wie wir mehr Sicherheit reinbekommen. Wir werden also die Lieferkette überarbeiten, um Milliardenstückzahlen an Chips pro Jahr für unseren Konzern zu sichern, werden jedoch nicht selbst zum Chip-produzenten.
Audi setzt voll auf Elektromobilität, will das Verbrenner-zeitalter abstreifen. Was ist Ihr persönlicher Beitrag zum Klimaschutz?
Duesmann: Ich fahre ein Elektroauto mit vier Ringen. Und ich habe ein klimaneutrales Haus mit einer großen Photovoltaikanlage, einem Energiespeicher und einer Wärmepumpe. Alles ist elektrisch. Unsere Familie ist damit energetisch autark. Ich erzeuge so viel Reststrom, dass ich ihn noch in das Netz einspeisen kann. Und dann fahre ich als Radsport-fan auch noch viel Fahrrad.
Ernähren Sie sich auch klimabewusst? Duesmann: Ich habe 25 Jahre lang als Vegetarier gelebt. Jetzt esse ich gelegentlich sehr gerne wieder Fleisch und Fisch, doch wenig. Mein persönlicher Co2-fußabdruck ist also ganz gut. Mein größter Beitrag für den Klimaschutz besteht sicherlich darin, dass ich die Menschen für Elektromobilität begeistern will. Und ich setze mich dafür ein, dass wir möglichst schnell aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas aussteigen. Sie wirken in unserer Gesellschaft wie Drogen.
Wie Drogen?
Duesmann: Öl und Gas sind leicht verfügbar. Wir haben uns an diese Drogen gewöhnt. Wir müssen auf Entzug gehen und auf elektrische Antriebe und nachhaltig gewonnene Energie umschalten.
Setzen Sie sich für Klimaschutz auch aus Verantwortung für jüngere Generationen, ja Ihre Kinder ein? Duesmann: Natürlich. Ich denke hier oft an meine Kinder, die noch klein sind. Die Jüngste ist drei Jahre alt. Die nächsten 30 bis 40 Jahre muss sich enorm viel bewegen, damit die Erde noch gut bewohnbar bleibt. Wir müssen alles daransetzen, den Co2-ausstoß deutlich zu verringern – und das geht nur über den Verzicht auf fossile Energieträger wie Kohle oder Erdöl.
Doch wenn wir nicht deutlich mehr grüne Energie erzeugen und Elektroautos weiter mit Strom aus Kohle betanken, ist kaum etwas gewonnen. Duesmann: Es ist wirklich absurd, wenn unsere Elektroautos mit Energie aus Kohle aufgeladen werden. Dann fährt man besser einen unserer modernen und sehr effizienten Diesel. Deutschland ist leider noch zu sehr von fossilen Energieträgern abhängig: Wir haben nur 17 Prozent regenerative Energie.
Was ist Ihr größter Elektro-traum? Duesmann: Mein größter Wunsch an die neue Regierung ist, dass Deutschland einen riesigen Schritt in Richtung regenerativer Energie macht. Die Zahlen zum Ausbau regenerativer Energie, die ich bisher aus dem Bundeswirtschaftsministerium kenne, sind viel zu kurz gesprungen. Wir müssen unsere Energie zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen schöpfen und in Strom umsetzen.
Nachdem die Autoindustrie, was Ökologie betrifft, lange geschlafen hat, macht sie Tempo für den Klimaschutz und scheint der Kundschaft wie der Politik zu enteilen. Duesmann (lacht): Es ist immer besser, wenn die Industrie schneller ist als die Politik. Das ist besser als andersherum. Unsere Aufgabe ist es zu zeigen, was technologisch geht. Doch die Politik muss jetzt für den Klimaschutz klotzen zum Wohle künftiger Generationen.
Manche würden sich sicher ein Elektroauto kaufen. Doch in Tiefgaragen fehlen Ladebuchsen und die drei Plätze zum Aufladen in der Nachbarschaft sind meist von Hybrid-autos blockiert. Duesmann: Für viele ist ein Elektroauto trotzdem das geeignete. Denn es ist das auf die Zukunft ausgerichtete Verkehrsmittel. Zudem ist man nicht so hohen Schwankungen wie jetzt bei den nach oben schießenden Benzin- und Dieselpreisen ausgesetzt. Ich fahre selbst ein Elektroauto, einen RS e-tron-gt. Das funktioniert gut, macht richtig Spaß, vor allem, wenn ich mit dem von mir selbst erzeugten Strom unterwegs bin. Das fühlt sich toll an. Ich räume aber ein, dass Elektro-autos noch nicht für alle geeignet sind.
Ärgert es Sie nicht, wenn alle Ladesäulen mit Hybrid-fahrzeugen und nicht echten Stromern besetzt sind? Duesmann: Das ist kein guter Trend, wenn Hybrid-fahrzeuge Ladeplätze für Elektroautos blockieren. Das sehe ich kritisch. Ich beobachte das etwa in München. Das Thema sollte die Politik regeln. Immerhin müssen Blockierer laut jüngstem Bußgeldkatalog jetzt 55 Euro zahlen oder sogar mit dem Abschleppwagen rechnen. Gleichzeitig muss sich auch das Baurecht verändern, damit überall dort, wo Autos lange stehen, die Möglichkeit zum Aufladen der E-fahrzeuge besteht. Dann wird E-mobilität deutlich komfortabler als das Fahren eines Diesel- oder Benzinautos.
Im September hat Tesla in Europa abgeräumt. Das Model 3 war das am häufigsten verkaufte Auto. Trotzdem sind Sie zuversichtlich, Tesla produktionsseitig einzuholen. Klappt das? Duesmann: Wir gehen davon aus, dass Audi und VW langfristig vorne liegen. Wir sind auf einem super Weg und uns ist nicht bange. Wir bieten Qualitäten an, die neue Wettbewerber so nicht haben, ob es um Design, Oberflächen, ja die gesamte Ausführungsqualität geht. Ich bin definitiv davon überzeugt, dass deutsche Premiummarken auch im Elektrozeitalter ihre weltweit führende Position verteidigen können.
Audi wird jetzt also grün. Duesmann: Ja, Audi wird grün.
Das wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen.
Duesmann: Das stimmt. Da waren viele nicht soweit. Der Druck auf die Gesellschaft, sich für mehr Klimaschutz zu engagieren, war noch nicht so groß wie heute. Der Klimawandel ist heute unübersehbar, wie die Überschwemmungskatastrophe in diesem Jahr in Deutschland gezeigt hat. Der Klimawandel ist menschengemacht. Es ist höchste Zeit, daran etwas zu ändern. Elektroautos sind ein wichtiger Hebel.
Und Elektroautos könnten selbst manch rasenden Deutschen bewegen, entspannter zu fahren, damit der Akku möglichst lange hält. Könnte dies eine Art natürliches Tempolimit werden? Duesmann: E-mobilität und im nächsten Schritt das autonome Fahren führen zu geringeren Geschwindigkeiten. Es ist deutlich attraktiver, ein Elektroauto mit moderater Geschwindigkeit zu fahren. Die Deutschen werden durch die E-mobilität nicht nur langsamer, sondern auch sauberer und sicherer fahren.
Sind Sie FDP-CHEF Christian Lindner dankbar, dass er wohl ein generelles Tempo-limit verhindern wird? Duesmann: Ich freue mich, wenn uns diese Freiheit in Deutschland erhalten bleibt und das Tempolimit nicht kommt. Das nicht vorhandene Tempolimit wird in der ganzen Welt bewundert.
Der Audi A2 war ein Auto für Antiraser und als Spritsparwunder seiner Zeit voraus. Dennoch wurde der Wagen eingestellt. Gibt es eine Neuauflage des A2 in elektrischer Form? Duesmann: Wir bauen sicher keinen direkten A2-nachfolger in elektrischer Form. Aber lassen Sie sich überraschen. Wir werden sicher attraktive Autos in einem ähnlichen Segment anbieten. Ich bin ein großer A2-fan. Das ist ein schönes und extrem langlebiges Auto. Es ist unkaputtbar. Ein Klassiker. Es könnte also einen Stadt-stromer geben, der in der Tradition des A2 steht. Das wird aber noch länger dauern.
Audi versucht nach der grauen Corona-zeit mit immer bunteren und fröhlicheren Autofarben zu punkten. Duesmann: Farben sind mir sehr wichtig. Wir diskutieren intensiv darüber. Ich fahre auch nie ein graues, schwarzes oder weißes Auto, sondern immer eines mit Farben. Von Orange über Grün bis hin zu Lila, was nicht mein Favorit ist, bieten wir hier einiges an. Ich hoffe, dass die Autowelt bunter wird.
Ihr Leben war für einige Monate sehr grau. Im April sind Sie an Corona erkrankt. Wie geht es Ihnen heute? Duesmann: Ich musste leider nach der Erkrankung einen längeren Weg gehen, meinen Körper gegen das Virus zu immunisieren. Das war eine sehr schwere Zeit. Ich hatte die Erkrankung sehr gut überstanden, dann kam aber noch einmal eine Phase der Erschöpfung im Sommer. Ich habe mich für zwei Wochen in eine Reha zurückgezogen. Das war für mich kein Drama. Das war sogar nett. Die Reha war schön. Jetzt bin ich wieder komplett hergestellt.
Haben Sie trotz Impfung Corona bekommen?
Duesmann: Ich habe mich bedauerlicherweise in der Woche, in der ich geimpft werden sollte, also kurz vor dem Termin, infiziert. Später habe ich mich trotz der Immunisierung durch die Erkrankung noch impfen lassen. Ich rate bei uns jeder und jedem, sich impfen zu lassen. Das ist der deutlich bessere Weg, sich zu immunisieren. Am Ende wird sich jeder Körper früher oder später mit dem Virus auseinandersetzen müssen. Da ist die Impfung die erheblich komfortablere Variante.
Haben Sie Verständnis für Impfskeptiker wie Joshua Kimmich? Duesmann: Das muss jeder selbst entscheiden. Ich respektiere, wenn sich jemand nicht impfen lässt. Mein klarer Appell lautet aber: Lasst Euch impfen. Denn ich wünsche niemandem, dass es ihm so ergeht, wie es mir ergangen ist. Diese Pandemie hat uns immer noch im Würgegriff. Mit der Impfung können wir uns daraus befreien.
Leiden Sie unter Langfrist-coronafolgen, also Long-covid?
Duesmann: Jetzt spüre ich davon nichts mehr. Darüber bin ich sehr glücklich. Bei meinem Job brauche ich 100 Prozent Einsatzvermögen und kann auf keine zehn Prozent verzichten.
Interview: Stefan Stahl
Markus Duesmann, 52, begann sei ne Karriere nach dem Maschinen baustudium bei Mercedesbenz.
Der Diplomingenieur wechselte zu BMW und wurde 2020 Audichef.