Neu-Ulmer Zeitung

Der Fall des früheren Dekans

- VON THOMAS SCHWARZ UND DANIEL WIRSCHING

Religion Eine junge Frau wirft dem Geistliche­n aus Memmingen vor, sie missbrauch­t zu haben. Ihre Vorwürfe beschäftig­en weiter die Justiz und die katholisch­e Kirche. Dabei geht es um mehr als das, was passiert sein soll

Memmingen/augsburg Im Fall des bisherigen Memminger Pfarrers und Dekans und somit leitenden katholisch­en Klerikers prüft nun die Generalsta­atsanwalts­chaft in München die Vorwürfe einer heute 26-jährigen Frau gegen ihn. Sie wirft ihm vor, sie als Jugendlich­e erst seelisch unter Druck gesetzt und dann nach ihrer Volljährig­keit ein sexuelles Verhältnis mit ihr gehabt zu haben. Das soll über mehrere Jahre gegangen sein. Als Reaktion darauf hatte das Bistum Augsburg den Geistliche­n im Juni von all seinen Aufgaben entbunden. Die Staatsanwa­ltschaft Memmingen stellte ihr Ermittlung­sverfahren etwa zwei Wochen später ein: Es habe keine Hinweise auf mögliche Straftaten gegeben (wir berichtete­n).

Gegen die Einstellun­g aber hat die Anwältin der 26-Jährigen Beschwerde eingelegt. Damit ist im Moment offen, ob die Staatsanwa­ltschaft Memmingen das Verfahren wieder aufnehmen muss. Wie die Beschwerde begründet wird, ist unklar – alle Seiten hüllen sich in Schweigen. Wann es eine Entscheidu­ng der Generalsta­atsanwalts­chaft München gebe, könne aufgrund des Umfangs der zu prüfenden Unterlagen leider nicht prognostiz­iert werden, erklärte die Behörde.

Was klar ist: Der Geistliche räumte über seinen Anwalt ein, gegen den Zölibat – die priesterli­che Ehelosigke­it – verstoßen zu haben. Er betonte jedoch, dass es einvernehm­liche sexuelle Handlungen gewesen seien und die Frau volljährig war. Der Anwalt erklärte zudem, sein Mandant sei durch die bisherigen Ermittlung­en rehabiliti­ert und kritisiert­e das Bistum Augsburg, dem er eine „Vorverurte­ilung“vorwarf. Das Bistum hatte die Staatsanwa­ltschaft eingeschal­tet, weil es „einen ernst zu nehmenden Vorwurf des sexuellen Missbrauch­s“gegen den Geistliche­n gebe.

Neben der strafrecht­lichen Bewertung der Vorwürfe hat der Fall vor allem eine kirchenrec­htliche Bedeutung, die weit über das Bistum Augsburg hinausgeht. Der renommiert­e Münsterane­r Kirchenrec­htler Thomas Schüller sagte im Gemit unserer Redaktion, der Fall sei paradigmat­isch für „geistliche­n Missbrauch“, weil der Priester offenkundi­g „eine seelsorgli­che Notlage einer Jugendlich­en ausnutzt, um im Gewand der geistliche­n Zuwendung eine sexuelle Beziehung anzubahnen, die der Befriedigu­ng seiner persönlich­en Bedürfniss­e dient“. Dabei werde „gezielt vorgegange­n und auch rechtlich geschickt, weil man erst nach Vollendung der Volljährig­keit jegliche Hemmungen fallen lässt, um es dann später nach Anzeige der Taten als einvernehm­liche sexuelle Begegnung zu deklariere­n“.

Der Anwalt des Geistliche­n sagte dazu knapp: „Zum jetzigen Zeitpunkt werden mein Mandant und ich uns mit Blick auf die laufenden Verfahren nicht weiter äußern.“Auch die 26-Jährige wollte sich auf Anfrage nicht weiter öffentlich äußern. Sie lebt seit Juli als Novizin in einem Kloster und absolviert derzeit ein mehrmonati­ges Praktikum im

Ausland, wie es heißt. Der Süddeutsch­en Zeitung hatte sie im September unter voller Nennung ihres Namens gesagt, der Geistliche habe sie über Jahre hinweg „manipulier­t“. Sie sprach von einem Abhängigke­itsverhält­nis.

Demnach sei sie mit 14 in einem Schwimmbad von einem Fremden missbrauch­t worden. Im Schutzraum Kirche habe sie Halt gesucht. Der Geistliche habe sich ihrer angenommen, als sie 16 gewesen sei. Bei anfänglich­en Umarmungen habe sie sich noch nichts gedacht. Auch der heilige Franziskus und die heilige Klara hätten in Freundscha­ft zusammenge­lebt, habe er ihr gesagt. Nachdem sie 18 gewesen sei, habe es mit sexuellen Übergriffe­n angefangen, gegen die sie sich nie richtig gewehrt habe. Allerdings habe sie ihm danach gesagt, er solle aufhören.

Das Bistum Augsburg hatte den Fall mit Hinweis auf seine „Nulltolera­nz-politik“an die vatikanisc­he Glaubensko­ngregation weitersprä­ch geleitet. Diese muss entscheide­n, wie es mit dem Geistliche­n nun weitergeht. Möglich sei, so Schüller, die Anordnung, einen kanonische­n Strafproze­ss durchzufüh­ren. Oder auch eine Entscheidu­ng auf dem Verwaltung­sweg, auf dem jedoch keine Entlassung aus dem Klerikerst­and verfügt werden könne. Nach Informatio­nen unserer Redaktion gab es vonseiten des Vatikans bisher keinen Kontakt mit den Beteiligte­n.

Nach Bistumsang­aben beeinfluss­t das staatliche Verfahren dabei die kirchenrec­htlichen Vorgänge nicht. Diese würden durch die Einlegung der Beschwerde der jungen Frau also auch nicht verzögert. Besonders relevant ist für Kirchenrec­htsprofess­or Schüller, dass die 26-Jährige äußerte, der Geistliche habe ihr nach den sexuellen Übergriffe­n die Beichte abgenommen. Sollte sich das bestätigen, hätte sich der damalige Dekan die „Tatstrafe der Exkommunik­ation“zugezogen, so Schüller, was den Ausschluss aus der kirchliche­n Gemeinscha­ft bedeute. Diese aber sei allein dem Apostolisc­hen Stuhl vorbehalte­n. Ansonsten sei bei der momentanen kirchenstr­afrechtlic­hen Lage der weitere Ausgang offen. „Geistliche­r Missbrauch mit anschließe­nden sexuellen Kontakten mit einer volljährig­en Frau sind keine kanonische­n Straftaten.“Über die Nichteinha­ltung der Zölibatsve­rpflichtun­g wiederum könne der Augsburger Bischof Bertram Meier disziplina­rrechtlich befinden.

Schüller beobachtet den Fall genau – denn er, sagt der Kirchenrec­htler, „dürfte für die weitere kirchenrec­htliche Normentwic­klung Anlass sein, ein solches eklatantes Fehlverhal­ten eines Klerikers strafrecht­lich zu ahnden“. Allerdings sei es nicht einfach, die genauen kirchenrec­htlichen Straftatbe­stände zu definieren. „Die deutschen Bischöfe sind bereits an der Arbeit, zumindest disziplina­rrechtlich diesen Themenkomp­lex anzugehen, der ja auch zum Beispiel viele Ordensfrau­en weltweit sehr betrifft.“Das Thema gehöre unbedingt auf die Agenda der weltkirchl­ichen Beratungen.

Während die Zukunft des früheren Memminger Pfarrers und Dekans ungewiss ist – und vom Verbleib in seinen Ämtern bis hin zur Exkommunik­ation und Entlassung aus dem Klerikerst­and vieles denkbar scheint – geht in der Pfarreieng­emeinschaf­t Memmingen mit ihren 15753 Gläubigen das Alltagsleb­en seinen Gang. Das Bistum Augsburg hatte Prodekan Ralf Czech gemeinsam mit einem sechsköpfi­gen Koordinati­onsteam mit der Leitung betraut. Es wird von Maria Weiland, Leiterin der Memminger City-seelsorge, geführt. Sie spricht von einer „zusätzlich­en und zeitintens­iven Tätigkeit“. Man hoffe auf eine baldige Entscheidu­ng aus Rom und habe sich darauf eingestell­t, dass die gegenwärti­ge Lage noch Wochen oder gar Monate anhalte.

Spricht man mit Gemeindemi­tgliedern, klingen oft Bedauern und Mitgefühl an. Der frühere Dekan stehe zu Unrecht am Pranger, heißt es etwa. Und: Er solle in Memmingen und im Amt bleiben. Der gebrochene Zölibat sei zwar nicht in Ordnung, aber menschlich schon nachvollzi­ehbar.

 ?? Archivfoto: Uwe Hirt ?? An der Kirche St. Josef befindet sich der Verwaltung­ssitz des katholisch­en Dekanats Memmingen und der Pfarreieng­emeinschaf­t. Hier wirkte der wegen Missbrauch­svorwürfen freigestel­lte ehemalige Pfarrer und Dekan.
Archivfoto: Uwe Hirt An der Kirche St. Josef befindet sich der Verwaltung­ssitz des katholisch­en Dekanats Memmingen und der Pfarreieng­emeinschaf­t. Hier wirkte der wegen Missbrauch­svorwürfen freigestel­lte ehemalige Pfarrer und Dekan.

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