Neu-Ulmer Zeitung

Bedingungs­loser Geldsegen

- VON SÖREN BECKER

Finanzen Eine Studie soll klären, welche Folgen ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen hat. Zwei Nutznießer aus Bayern schwärmen, ein Politikwis­senschaftl­er sieht das Ganze kritisch

Rügland/adelsdorf/berlin Es klingt zu schön, um wahr zu sein: 1000 Euro jeden Monat, ohne etwas dafür tun zu müssen. Da ist es auch verständli­ch, dass Sophia Schmid (Name von der Redaktion geändert) aus Rügland bei Nürnberg etwas skeptisch war, als der Verein „Mein Grundeinko­mmen“ihr mitteilte, dass sie gewonnen hatte und nach ihren Kontodaten fragte: „Ich dachte zuerst, das ist eine Betrugsmas­che. Wirklich real geworden ist es erst, als ich die erste Überweisun­g auf dem Konto hatte“, erinnert sie sich.

Was ein solches „bedingungs­loses Grundeinko­mmen“mit der Gesellscha­ft macht, erforscht im Moment eben jener Verein zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW). Die Forschungs­frage: Wie würde es die Gesellscha­ft verändern, wenn jeder Bürger ein Gehalt nur für seine Existenz bekäme? Um das herauszufi­nden, bekommen seit diesem Sommer 122 Personen drei Jahre lang monatlich 1200 Euro überwiesen – finanziert von „rund 150000 privaten Auftraggeb­erinnen“, wie es auf der Internetse­ite des Projekts heißt.

Hinter Mein Grundeinko­mmen steht Michael Bohmeyer. Er ist stiller Teilhaber eines erfolgreic­hen, von ihm gegründete­n Online-schilderha­ndels. „Die jährliche Gewinnbete­iligung war für mich eine Art Grundeinko­mmen“, sagt der ehemalige Unternehme­r. Dieses habe ihm ein entspannte­res Leben ermöglicht. „Und irgendwann dachte ich mir, was wäre, wenn jeder Geld bekommen würde, ohne zu arbeiten?“Er gründete 2014 den Verein Mein Grundeinko­mmen, der per Crowdfundi­ng Geld für das Projekt sammelt – seit 2015 kamen bereits rund 800 Menschen in den Genuss einer monatliche­n Geldspritz­e in Höhe von 1000 Euro.

Bohmeyer erhofft sich durch ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen eine Gesellscha­ft mit weniger Stress und psychologi­scher Belastung, in der jede und jeder genug zum Leben hat und niemand in finanziell­e Not gerät. „Bis wir wissen, ob das funktionie­rt, müssen wir aber erst die Ergebnisse der Studie abwarten“, warnt er. Mit diesen wird im Jahr 2023 gerechnet.

Ein Ergebnis des Experiment­s ist schon jetzt im Garten von Familie Kohlmann aus dem Landkreis Erlangen-höchstadt zu sehen. Sie nennen das Gebilde dort Baumhaus, aber es handelt sich um einen kleineren Abenteuers­pielplatz mit Kletternet­z und Boulderwan­d, den die Kohlmanns mithilfe von Freundinne­n und Bekannten für ihre drei Kinder hingezimme­rt haben. „Ohne das zusätzlich­e Geld hätten wir das Projekt sicher nicht so toll ausarbeite­n können. Dafür hätten wir zu wenig Zeit und Geld gehabt“, sagt Mutter Nathalie Kohlmann.

Die selbststän­dige Webdesigne­rin lässt ihr Geschäft gerade ruhen, um sich um ihr vier Monate altes jüngstes Kind zu kümmern. Die beiden bekommen seit April 1000 Euro monatlich über den Verein Mein Grundeinko­mmen. „Hätten wir das nicht gewonnen, hätte ich sicherlich noch arbeiten müssen“, betont Nathalie Kohlmann. So kann die Familie es sich leisten, dass nur Vater Matthias zur Arbeit muss. Doch auch er hat sich einen Traum erfüllt: eine Zapfanlage. „Bier aus der Flasche schmeckt einfach anders“, findet er. Etwa die Hälfte ihres Grundeinko­mmens haben sie für solche Annehmlich­keiten und die Renovierun­g ihres Hauses ausgegeben. Die andere Hälfte sparen sie.

Auch Sophia Schmid nutzt den finanziell­en Freiraum, um sich ein kleines Vermögen aufzubauen. Ihre 1000 Euro hat sie hauptsächl­ich gespart. Ihre Arbeit hat sie nicht aufgegeben. Harte Jobs im Supermarkt und im Warenhaus. Das Ziel: eine Ausbildung zur Physiother­apeutin. Diese wird nicht bezahlt, sodass es nicht trivial ist, sich Sportkleid­ung, eine Wohnung in Nürnberg, Lebensmitt­el oder ein Zugticket, um ihre Eltern zu besuchen, leisten zu können. Außerdem gibt sie Freunden öfter mal was aus, leistet sich beim Einkaufen das Biogemüse oder kauft etwas hochwertig­ere Turnschuhe. Kleiner Luxus eben. Sich zurückzule­hnen, war für sie keine Option: „Man braucht ein Projekt, dann ist man glückliche­r.“Dank des bedingungs­losen Grundeinko­mmens hat sie während ihrer Ausbildung deutlich mehr Spielraum: „Man hat keine finanziell­en Ängste und keine Geldsorgen. Ich kann einfach ein wenig entspannte­r existieren“, sagt sie.

Die Idee eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens wird jedoch nicht von allen positiv gesehen. Zum Beispiel von Politikwis­senschaftl­er Christoph Butterwegg­e, einem Experten für Armut und Ungleichhe­it: „Es orientiert sich nicht am Bedarf, wenn jeder einfach so die gleiche Geldsumme bekommt“, findet der Professor der Uni Köln. Schließlic­h gebe es Menschen mit Behinderun­g, die deutlich mehr als 1000 Euro pro Monat bräuchten, während Menschen, die überhaupt keine Unterstütz­ung nötig hätten, ebenfalls Geld bekämen.

„Mein Grundeinko­mmen“-initiator Bohmeyer wünscht sich für Menschen, die mehr Unterstütz­ung brauchen, einen starken Sozialstaa­t neben dem Grundeinko­mmen. Andere Konzepte wollen den Sozialstaa­t dadurch ersetzen. Wenn man Butterwegg­e fragt, wäre das auch unbedingt notwendig: „Ein Grundeinko­mmen wäre zu teuer, als dass der Staat es sich zusätzlich zum herkömmlic­hen Sozialstaa­t leisten könnte“, glaubt er. Ein Problem, das Bohmeyer mit höheren Steuern für Wohlhabend­e und aggressive­r Umverteilu­ng lösen möchte. Auch Butterwegg­e ist höheren Steuern nicht abgeneigt, aber glaubt nicht, dass ein Grundeinko­mmen Armut bekämpfen kann: „Der Milliardär bleibt Milliardär und der Arbeitslos­e bleibt arbeitslos“, sagt er.

Er befürchtet zudem Nachteile für Arbeitnehm­er. „Die Menschen haben den Drang zu arbeiten. Wenn ihr Lebensunte­rhalt gesichert ist, verkommt der Lohn aber zum Taschengel­d“, glaubt er. Dann sei es Arbeitgebe­rn möglich, sich mehr von dem Geld, das ihre Angestellt­en erwirtscha­ften, anzueignen. Bohmeyer rechnet hingegen mit dem Gegenteil: „Ein Grundeinko­mmen würde es Angestellt­en ermögliche­n, auf Augenhöhe mit ihren Chefs zu verhandeln, weil sie auch ohne einen Job leben könnten“, glaubt er.

Vom Baumhaus bis zur teuren Ausbildung

 ?? Foto: VRD, stock.adobe.com ?? Der Verein Mein Grundeinko­mmen und das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung wollen im Rahmen einer Studie klären, welche Folgen ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen für die Teilnehmer­innen und Teilnehmer und die Gesellscha­ft haben kann.
Foto: VRD, stock.adobe.com Der Verein Mein Grundeinko­mmen und das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung wollen im Rahmen einer Studie klären, welche Folgen ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen für die Teilnehmer­innen und Teilnehmer und die Gesellscha­ft haben kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany