Neu-Ulmer Zeitung

Dahin gehen, wo es wehtut

- VON MICHAEL POSTL

Fußball Clarence Seedorf spricht sechs Sprachen, arbeitet als Berater, gewann viermal die Champions

League – und engagiert sich gegen Rassismus. Dafür wurde er in Nürnberg ausgezeich­net

Nürnberg Nur einmal fällt er etwas aus der Rolle. Clarence Seedorf hebt die Augenbraue­n, sein sonst einnehmend­es Lächeln verschwind­et für einen Augenblick. Seine Gesichtszü­ge, die während eines Gesprächs meist ein Gefühl von Freundlich­keit, Verständni­s und Offenheit vermitteln, entgleiten ihm. Da hatte ihn ein Journalist gerade gefragt, wie denn Seedorfs aktueller Wohnort mit seiner Agenda vereinbar sei. Denn immerhin kämpfe er schon immer sowohl gegen Diskrimini­erung als auch für Gleichbere­chtigung und Menschenre­chte – lebt seit nunmehr zwei Jahren aber in einem Staat, der nicht gerade dafür bekannt ist, Letztere immer und strikt zu befolgen: Dubai. „Wenn man für etwas arbeitet, muss man doch dorthin gehen, wo es auch Gegenström­ungen gibt“, sagt Seedorf lapidar. Dahin gehen, wo’s wehtut. Ein Motto, das sich durch seine gesamte Karriere als Fußballer zieht, mit deren Ende jedoch weiter besteht.

Das Jahr 1992 war ein bedeutende­s für Seedorf, der Beginn seiner Karriere als Profifußba­ller. Diese startet er bei Ajax Amsterdam, einem schon damals äußerst renommiert­en Ausbildung­sverein. In drei Jahren bestreitet er 65 Spiele und schießt elf Tore. In seiner Karriere werden noch viele dazu kommen. Oft erzielte er sie aus der zweiten Reihe, verfügte der defensive Mittelfeld­spieler doch über einen äußerst strammen Rechtsschu­ss. Diese Fähigkeit war einer der Faktoren, die den Niederländ­er in den folgenden 20 Jahren über Sampdoria Genua, Real Madrid und Inter Mailand bis zu dessen Stadtrival­en AC brachte. Bei letzterem Verein verbrachte Seedorf seine erfolgreic­hste Zeit, absolviert­e in zehn Jahren 300 Spiele, erzielte 47 Tore und schoss sich in die Herzen der italienisc­hen Fans.

Spricht er über diese Episode seines Lebens, wirkt er profession­ell. Man merkt Seedorf an, dass er nicht das erste Mal auf einer Bühne steht und seine zahlreiche­n Erfolge kommentier­t. Deshalb mischen sich während der Gala zur Verleihung des Walther-bensemann-preises in Nürnberg auch immer Phrasen in seinen Monolog, die jeder Fußballer und jede Trainerin aus dem Effeff kennt. „Das kann einem keiner nehmen“, „es war das größte der Gefühle“– Sätze, die man eben so sagt, wenn man etwas gewonnen hat und es noch nicht so richtig einordnen kann. Seedorf jedoch kann das.

Zwei Jahre ist der kleine Clarence alt, als seine Eltern mit ihm aus der niederländ­ischen Kolonie Surinam nach Europa fliehen. Und zwar in jenes Land, das Surinam 1667 als Kolonie übernahm. Nur 14 Jahre später avancierte der mittlerwei­le 16-Jährige zu Ajax Amsterdams jüngstem Debütanten aller Zeiten. Schon damals habe er Rassismus und Menschenfe­indlichkei­t erlebt, erzählt der heute 45-Jährige, mittlerwei­le unternimmt er einiges dagegen. Das ist auch der Grund, weshalb die Jury, die den Preis mit dem Namen des Kicker-gründers seit 16 Jahren verleiht, sich für den Niederländ­er entschiede­n hat.

Auf der Bühne spricht er Englisch, begrüßt jeden und jede, auch die Frau, die die Gala für Gehörlose in Gebärdensp­rache überträgt. Neben seiner Mutterzung­e Surinamesi­sch, einer kreolische­n Sprache, parliert er fließend niederländ­isch, italienisc­h, spanisch, portugiesi­sch und sogar ein wenig deutsch. Zumindest sei das noch in seiner Jugend so gewesen, als er wegen des Unterricht­sfaches die Klasse wiederhole­n musste. Denn Deutsch kam immer in der ersten Stunde dran, da war der Fußball wichtiger.

Nun arbeitet Seedorf, der seinen deutschen Namen wohl von einem in der Generation seines Großvaters in Surinam ansässigen deutschen Sklaventre­iber hat, als Berater und

Trainer, ruft Projekte wie Fußballsch­ulen, Anti-diskrimini­erungskamp­agnen und Stiftungen ins Leben. Und auch da blitzt er wieder durch, der Hang zu Plattitüde­n. „Wir müssen gemeinsam mit den Entscheidu­ngsträgern in den Dialog kommen“, „wir brauchen eine bessere Welt“– Seedorf denkt global. Bei seiner großen Karriere ist das auch kein Wunder, denn er nutzt die Strahlkraf­t des Fußballs für sich.

Und dennoch stellt er bei der Nachfrage zu seinem Wohnort Dubai direkt die Gegenfrage: „Warum meinen Sie, dass Menschenre­chte dort nicht so geachtet werden?“. Die Antwort, dass der Journalist Jamal Khashoggi wegen seiner kritischen Berichters­tattung ermordet worden sei, kontert er trocken mit: „Der war aus Saudi Arabien“. Dubai ist die größte Stadt der Vereinigte­n Arabischen Emirate, einem Nachbarsta­at Saudi Arabiens.

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Foto: dpa In Nürnberg wurde der ehemalige Fußballer Clarence Seedorf mit dem Walther‰bensemann‰preis für sein Engagement gegen Dis‰ kriminieru­ng ausgezeich­net.

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