Dahin gehen, wo es wehtut
Fußball Clarence Seedorf spricht sechs Sprachen, arbeitet als Berater, gewann viermal die Champions
League – und engagiert sich gegen Rassismus. Dafür wurde er in Nürnberg ausgezeichnet
Nürnberg Nur einmal fällt er etwas aus der Rolle. Clarence Seedorf hebt die Augenbrauen, sein sonst einnehmendes Lächeln verschwindet für einen Augenblick. Seine Gesichtszüge, die während eines Gesprächs meist ein Gefühl von Freundlichkeit, Verständnis und Offenheit vermitteln, entgleiten ihm. Da hatte ihn ein Journalist gerade gefragt, wie denn Seedorfs aktueller Wohnort mit seiner Agenda vereinbar sei. Denn immerhin kämpfe er schon immer sowohl gegen Diskriminierung als auch für Gleichberechtigung und Menschenrechte – lebt seit nunmehr zwei Jahren aber in einem Staat, der nicht gerade dafür bekannt ist, Letztere immer und strikt zu befolgen: Dubai. „Wenn man für etwas arbeitet, muss man doch dorthin gehen, wo es auch Gegenströmungen gibt“, sagt Seedorf lapidar. Dahin gehen, wo’s wehtut. Ein Motto, das sich durch seine gesamte Karriere als Fußballer zieht, mit deren Ende jedoch weiter besteht.
Das Jahr 1992 war ein bedeutendes für Seedorf, der Beginn seiner Karriere als Profifußballer. Diese startet er bei Ajax Amsterdam, einem schon damals äußerst renommierten Ausbildungsverein. In drei Jahren bestreitet er 65 Spiele und schießt elf Tore. In seiner Karriere werden noch viele dazu kommen. Oft erzielte er sie aus der zweiten Reihe, verfügte der defensive Mittelfeldspieler doch über einen äußerst strammen Rechtsschuss. Diese Fähigkeit war einer der Faktoren, die den Niederländer in den folgenden 20 Jahren über Sampdoria Genua, Real Madrid und Inter Mailand bis zu dessen Stadtrivalen AC brachte. Bei letzterem Verein verbrachte Seedorf seine erfolgreichste Zeit, absolvierte in zehn Jahren 300 Spiele, erzielte 47 Tore und schoss sich in die Herzen der italienischen Fans.
Spricht er über diese Episode seines Lebens, wirkt er professionell. Man merkt Seedorf an, dass er nicht das erste Mal auf einer Bühne steht und seine zahlreichen Erfolge kommentiert. Deshalb mischen sich während der Gala zur Verleihung des Walther-bensemann-preises in Nürnberg auch immer Phrasen in seinen Monolog, die jeder Fußballer und jede Trainerin aus dem Effeff kennt. „Das kann einem keiner nehmen“, „es war das größte der Gefühle“– Sätze, die man eben so sagt, wenn man etwas gewonnen hat und es noch nicht so richtig einordnen kann. Seedorf jedoch kann das.
Zwei Jahre ist der kleine Clarence alt, als seine Eltern mit ihm aus der niederländischen Kolonie Surinam nach Europa fliehen. Und zwar in jenes Land, das Surinam 1667 als Kolonie übernahm. Nur 14 Jahre später avancierte der mittlerweile 16-Jährige zu Ajax Amsterdams jüngstem Debütanten aller Zeiten. Schon damals habe er Rassismus und Menschenfeindlichkeit erlebt, erzählt der heute 45-Jährige, mittlerweile unternimmt er einiges dagegen. Das ist auch der Grund, weshalb die Jury, die den Preis mit dem Namen des Kicker-gründers seit 16 Jahren verleiht, sich für den Niederländer entschieden hat.
Auf der Bühne spricht er Englisch, begrüßt jeden und jede, auch die Frau, die die Gala für Gehörlose in Gebärdensprache überträgt. Neben seiner Mutterzunge Surinamesisch, einer kreolischen Sprache, parliert er fließend niederländisch, italienisch, spanisch, portugiesisch und sogar ein wenig deutsch. Zumindest sei das noch in seiner Jugend so gewesen, als er wegen des Unterrichtsfaches die Klasse wiederholen musste. Denn Deutsch kam immer in der ersten Stunde dran, da war der Fußball wichtiger.
Nun arbeitet Seedorf, der seinen deutschen Namen wohl von einem in der Generation seines Großvaters in Surinam ansässigen deutschen Sklaventreiber hat, als Berater und
Trainer, ruft Projekte wie Fußballschulen, Anti-diskriminierungskampagnen und Stiftungen ins Leben. Und auch da blitzt er wieder durch, der Hang zu Plattitüden. „Wir müssen gemeinsam mit den Entscheidungsträgern in den Dialog kommen“, „wir brauchen eine bessere Welt“– Seedorf denkt global. Bei seiner großen Karriere ist das auch kein Wunder, denn er nutzt die Strahlkraft des Fußballs für sich.
Und dennoch stellt er bei der Nachfrage zu seinem Wohnort Dubai direkt die Gegenfrage: „Warum meinen Sie, dass Menschenrechte dort nicht so geachtet werden?“. Die Antwort, dass der Journalist Jamal Khashoggi wegen seiner kritischen Berichterstattung ermordet worden sei, kontert er trocken mit: „Der war aus Saudi Arabien“. Dubai ist die größte Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate, einem Nachbarstaat Saudi Arabiens.
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