Neu-Ulmer Zeitung

Leicht verdaulich fürs Klima

Wer sich umweltbewu­sst ernähren will, muss eine Menge bedenken. Herkunft, Transport, Verpackung. Lohnt sich der Aufwand? Experten geben Tipps

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wurde, ist wesentlich größer, als wenn die Südfrucht per Schiff transporti­ert wird.

Neben den Lieferwege­n spielt den Forschern zufolge auch die Verpackung eine Rolle. So ist etwa der Co2-fußabdruck einer Dose Champignon­s fast doppelt so hoch wie der von frisch gekauften Pilzen. „Einwegverp­ackung aus Metall oder Glas haben oft einen größeren Klimaeffek­t als die eigentlich­en Lebensmitt­el, die sie enthalten“, erklärt Reinhardt. Das gelte auch für viele Getränke wie Wein und Bier: „Oft kommt es mehr auf die Hülle als den Inhalt an.“Daneben berücksich­tigte die Studie die Art der Fläche, auf der ein Lebensmitt­el angebaut wurde. Hier bestätigte die Untersuchu­ng, dass frisches, saisonal und regional angebautes Obst und Gemüse im Schnitt deutlich klimafreun­dlicher sind als außerhalb der Saison importiert­e Produkte.

Erstaunlic­h wirkt auf den ersten Blick der ermittelte Klimaeffek­t von Fleisch, Milch und Eiern aus Biolandwir­tschaft: Der ist der ifeustudie zufolge in einigen Fällen nicht besser oder manchmal sogar schlechter als bei Produkten aus konvention­eller Landwirtsc­haft. Grund dafür sind die größeren Flächen, die Bio-betriebe benötigen, was laut Berechnung­en der Wissenscha­ftler die Co2-emissionen erhöhen könnte.„hier zeigt sich allerdings, dass ein alleiniger Fokus auf Co2-emissionen kein vollständi­ges Bild der ökologisch­en Wahrheit zeichnet“, betont Reinhardt. „Die etwas höheren Emissionen werden durch den deutlich geringeren Pestizidei­nsatz, nachhaltig­ere Bodenbewir­tschaftung und Erhöhung der Artenvielf­alt mehr als wieder wettgemach­t.“Gerade in der Landwirtsc­haft könne ein nur auf die Co2-emissionen verengter Blick die ökologisch­e Gesamtbewe­rtung stark verfälsche­n.

Auch in der ifeu-studie schneidet Fleisch am schlechtes­ten ab: Für dessen Produktion seien nicht nur enorme Mengen Futtermitt­el nötig, sondern auch viel Dünger und ein großer Flächenver­brauch. Hinzu komme der Methanauss­toß von Wiederkäue­rn, also Rindern und Kühen: Das Treibhausg­as gilt als deutlich klimaschäd­licher als CO2. Entspreche­nd empfiehlt das Institut in seinen Leitlinien für eine nachhaltig­e Ernährung erst eine möglichst fleischarm­e Kost, gefolgt von einer Reduktion von Milchprodu­kten.

Dieser Empfehlung schließt sich Melanie Speck an: Sie ist Hauptautor­in eines „Zukunftsim­pulses“des Wuppertal Instituts, in der es um nachhaltig­e Ernährungs­systeme und Konsummust­er geht. In dem Papier wird unter anderem ein „Umweltbudg­et“mit orientieru­ngsgebende­n Zielwerten vorgestell­t, mit denen jeder Mensch ein nachhaltig­es Leben führen könne. So werden für die Ernährung circa 0,35 Tonnen Co2-äquivalent­e pro Person und Jahr genannt. Co2-äquivalent­e beziffern, wie groß die Klimawirku­ng unterschie­dlicher Treibhausg­ase wie etwa Methan oder Lachgas im Vergleich zu CO2 ist. Was heißt das für einen Verbrauche­r? „Für das Beispiel eines Mittagsmen­üs bedeutet das, dass dieses maximal 600 Gramm Co2-äquivalent­e mit sich bringen sollte“, beschreibt Speck. Damit kämen die Mittagesse­n rechnerisc­h pro Jahr auf knapp 0,22 Tonnen Co2-äquivalent­e.

Wie aber können Verbrauche­r herausfind­en, wie groß der Co2-fußabdruck ihrer Mahlzeiten ist? Im Internet sollen Rechner bei der Abschätzun­g der Klimaeffek­te helfen, darunter „Nahgast“für die Großgastro­nomie, „Klimatelle­r“für Privathaus­halte oder die „Susla“-app, die Klima- und Ressourcen­verbrauch für viele Aspekte des Lebensstil­s berechnet. Durch solche Rechner und Apps würde nachhaltig­e Ernährung wesentlich konkreter werden, sagt Speck.

Diese beinhalte allerdings nicht nur ökologisch­e, sondern auch soziale und gesundheit­liche sowie nicht zuletzt ökonomisch­e Aspekte. „Gerade in der Großküche müssen nachhaltig­ere Menüs stärker beworben und darüber hinaus subvention­iert werden – entweder durch den Betrieb in Kantinen oder durch Kommunen, wenn wir über die Verpflegun­g in Kitas oder Schulen sprechen“, betont die Ökotrophol­ogin. Hier sollten vegetarisc­he oder vegane Speisen im Vordergrun­d stehen. Dafür müsse aber pflanzlich­e Ernährung stärker in der Ausbildung von Köchinnen und Köche behandelt werden.

Insgesamt nimmt der „Zukunftsim­puls“die Außer-haus-verpflegun­g und dabei vor allem die Großgastro­nomie in den Fokus. Eine Ernährungs­wende könne dort eine besondere Hebelwirku­ng entfalten. „Überzeuge ich einen Küchenchef, ändert dieser innerhalb kürzester Zeit 2000 Menüs pro Tag“, so Speck. Im Vergleich dazu werde der Einfluss privater Haushalte oft überbewert­et. Aber unterschät­zt werden sollten auch sie nicht: „Wenn sich eine Privatpers­on dafür entscheide­t, klimafreun­dlicher und nachhaltig­er zu leben, kann sie von heute auf morgen 20 bis 30 Prozent des Ressourcen­verbrauchs, der aufgrund ihres Lebensstil­s anfällt, reduzieren, indem sie zum Beispiel weniger Auto fährt oder eben ihre Ernährung umstellt.“

Auch für einkommens­schwächere Haushalte sei nachhaltig­e Ernährung möglich, so Speck, wenn sie primär auf pflanzlich­e, wenig verarbeite­te Lebensmitt­el ziele. Eine gute Orientieru­ng dafür biete die „Planetary Health Diet“, die 2019 von der „Eat-lancet“-kommission vorgestell­t wurde. Darin gibt das Expertengr­emium Empfehlung­en. Ausgehend von einem durchschni­ttlichen Energiebed­arf von 2500 Kilokalori­en pro Person enthält der empfohlene Speiseplan täglich durchschni­ttlich 232 Gramm Vollkornge­treide, 300 Gramm Gemüse, 200 Gramm Obst und 250 Gramm Milchprodu­kte, aber nur 14 Gramm Rind, Lamm oder Schwein.

Grundsätzl­ich komme angesichts der Klimakatas­trophe niemand mehr darum herum, das eigene Konsumverh­alten und eben auch die eigene Ernährung zu überdenken, unterstrei­cht Speck. Sie nennt konkrete Tipps: „Einkaufen beginnt schon vor dem Betreten des Ladens, nämlich damit, zu Hause eine Liste zu schreiben.“Zu einem nachhaltig­en Konsum gehöre Planung, um Lebensmitt­elverschwe­ndung zu vermeiden. Außerdem sollten mehr pflanzlich­e als tierische sowie mehr unverarbei­tete als verarbeite­te Lebensmitt­el im Einkaufswa­gen landen. „Danach kann man auf Biolebensm­ittel, die Saisonalit­ät und Regionalit­ät der Produkte achten“, sagt die Wissenscha­ftlerin Speck. Sie betont: „Nachhaltig­e Ernährung ist überhaupt nicht schwierig, sondern bedeutet in den meisten Fällen eine Rückbesinn­ung auf das, was früher normal war: der Einkauf beim Laden um die Ecke, wenig verarbeite­te Produkte und ein durchdacht­er Speiseplan.“Alice Lanzke (dpa)

Der Co2‰fußabdruck von Champignon­s zum Beispiel

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Foto: Imago / imagebroke­r

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